Endzeitszenarien in Klimastudien: Die Krux mit der Katastrophe

Stirbt die Menschheit aus? Die schlimmstmögliche Folge der Erderhitzung würde zu wenig untersucht, kritisieren Kli­ma­for­sche­r:in­nen.

Braun ausgetrocknetes Flussbett, davor ein Auto auf einem Highway

Sieht nur schön aus, wenn man dort nicht leben muss: ausgetrocknetes Flussbett in Nebraska Foto: Chris Machian/Omaha World Heritage via ap

BERLIN taz | Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Menschheit durch die Klimakrise ausstirbt. Gut, es ist nicht das wahrscheinlichste Szenario. In seiner Absolutheit ist es sogar ziemlich unwahrscheinlich. Möglich ist es aber eben doch. Und auch Gesellschaften, die sich nicht mehr auf viel einigen können, dürften zu dem gemeinsamen Schluss kommen, dass das unbedingt vermieden werden sollte.

Namhafte Kli­ma­for­sche­r:in­nen warnen jetzt: Wir beschäftigen uns noch nicht genug mit solchen extremen Klima-Katastrophen-Szenarien. Die schlimmstmöglichen Gefahren zu berücksichtigen sei aber nötig, um das Risiko der Klimakrise richtig zu verstehen und damit umzugehen. Das schreiben die internationalen Ex­per­t:in­nen in einem Artikel im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences. Die Überschrift „Klima-Endspiel: katastrophale Klimawandel-Szenarien erforschen“.

Unwetterzerstörung, lebensfeindliche Hitze, Hungersnöte, Kampf um den verbleibenden Lebensraum – mit jedem Zehntelgrad Erderhitzung nehmen die Folgen des Klimawandels zu. Sie kommen nicht schlagartig mit einem Mal, an so einiges wird sich die Menschheit anpassen können, vor allem an den wohlhabenden Orten der Welt. Aber was ist, wenn das Ganze völlig außer Kontrolle gerät?

„Katastrophale Größenordnung“

Zu den Mahnenden gehören auch Hans-Joachim Schellnhuber und Johan Rockström, ehemaliger sowie amtierender Chef des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Ihr Appell richtet sich nicht nur an die Öffentlichkeit, sondern sogar besonders an die Fachwelt. Die Au­to­r:in­nen finden, dass auch die Klimaforschung sich bislang nicht ausreichend mit extremen Klimawandel-Szenarien befasst. Deshalb wisse man bisher zu wenig über deren Wahrscheinlichkeit, heißt es. „Es gibt vielfältige Hinweise darauf, dass der Klimawandel eine katastrophale Größenordnung erreichen könnte“, schreiben die Wissenschaftler:innen.

Tatsächlich ist die Welt nicht auf dem Weg, ihre im Pariser Weltklimaabkommen selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Die Staaten wollen die Erderhitzung bei deutlich unter 2 Grad Celsius aufhalten, möglichst sogar bei 1,5 Grad Celsius. Was die Forschung über den Unterschied zwischen beiden Zielmarken weiß, hat der Weltklimarat IPCC 2018 in einem Sonderbericht zusammengestellt.

Demnach ist klar, dass die 1,5-Grad-Welt deutlich gefährlicher ist als die heutige 1,2-Grad-Welt und dass die 2-Grad-Welt noch einmal deutlich höhere Risiken birgt. Nur: Obwohl sich alle Regierungen per Unterzeichnung des Abkommens diesen Zielen verschrieben haben, haben sie längst noch nicht ihre Politik daran angepasst. „Die Welt ist auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2100 eine Erderhitzung zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu sehen“, warnen die Kli­ma­for­sche­r:in­nen in dem aktuellen Fachartikel. Dennoch fokussiere sich die Forschung auf Szenarien mit moderatem Temperaturanstieg, kritisieren sie. „Bestenfalls naiv“ sei es, Extrem-Szenarien außer Acht zu lassen, „schlimmstenfalls verhängnisvoll töricht“.

Keine ideale, konfliktfreie Welt

Von den Fach­kol­le­g:in­nen kommen gemischte Reaktionen. Dass die Klimaforschung Extrem-Szenarien außer Acht lasse, würden die Au­to­r:in­nen „nicht überzeugend belegen“, meint der Klimaforscher Carl-Friedrich Schleussner von der Berliner Humboldt-Universität. „In der Tat ist das Gegenteil der Fall.“ Viele Studien würden die – kaum noch in Reichweite befindlichen – 1,5-Grad-Szenarien vernachlässigen.

Richtig sei aber das „Risikodenken bezüglich gesellschaftlicher Stabilität, Konflikten und extremen Disruptionen“, so der Wissenschaftler. Oft würde man die Risiken des Klimawandels in einer sonst idealisierten und konfliktfreien Welt betrachten, die Realität sei aber eine andere. „Im Jahr 2022 und leider vermutlich auch über lange Zeit im 21. Jahrhundert“, so Schleussner. Wichtig ist ihm aber, dass geografische Lage und Geld einen Einfluss darauf haben, ab wann die Klimakrise katastrophal wird. „Aus der Sicht vieler besonders vulnerabler Staaten der Welt hat deren ‚Climate Endgame‘ längst begonnen.“

Der Physiker Philipp Schrögel vom Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien der Universität Heidelberg teilt hingegen den Eindruck, dass die Klimaforschung „in der letzten Zeit ihren Blick besonders auf kleine Schritte und seltener auf Extrem-Szenarien“ richte – „um den Vorwurf als Untergangspropheten zu vermeiden“. Trotzdem mahnt er zur Vorsicht bei der Außenkommunikation von schwerwiegenden, aber unwahrscheinlichen Klimawandelfolgen – gerade wenn der Forschungsstand nicht eindeutig ist. Teils könne das sogar zu weniger Risikobewusstsein führen. „Es kann vorkommen, dass Einzelne davon überwältigt werden, keine individuellen Handlungsperspektiven sehen und die Szenarien ignorieren.“

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