Elternschaft und Arbeit: Mütter als Störfaktor
Eine Thüringer Stadträtin wird angezeigt, weil sie ihr Baby zur Sitzung mitgenommen hatte. Wieder einmal soll eine Mutter verdrängt werden.
„Heute haben es Frauen in der Politik nicht mehr schwerer.“ Erst eine Woche ist es her, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble diesen Satz gegenüber der Bild am Sonntag sagte. Ein Satz, über den man eigentlich nur hämisch lachen kann.
Empfohlener externer Inhalt
Der Politikbetrieb ist in Deutschland noch immer eine Männerdomäne, Frauen sind in allen Bereichen unterpräsentiert: Egal ob es um den Posten eine:r Ministerpräsident:in oder Bürgermeister:in geht. An diesem Fakt änderte auch eine 16 Jahre lange Kanzlerinnenschaft nichts.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Dazu zählen die Vorurteile und Anfeindungen, der Hass und die Hetze bis hin zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen, den Politiker:innen ausgesetzt sind und gegen die sie in ihrem Berufsleben ankämpfen müssen. Dass Schäubles Aussage schlicht und ergreifend falsch ist, lässt sich also nicht nur durch Dutzende Erfahrungsberichte von Politikerinnen belegen, sondern auch an einem aktuellen Fall aus Thüringen, der ein Schlaglicht auf die Diskriminierung von Müttern im Politikbetrieb wirft.
Dort sieht sich Ann-Sophie Bohm aktuell mit einer Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung konfrontiert. Was sie getan hat? Die Co-Chefin der Thüringer Grünen und ihr Ehemann, beide Stadträt:innen in Weimar, hatten Mitte Juni ihr sechs Monate altes Baby zu einer Sitzung mitgenommen.
Einer anonymen Person, die die Stadtratssitzung wohl über den Livestream mitverfolgt hatte, missfiel das offensichtlich und so erstattete sie Anzeige. Die Begründung: Es sei einem Baby nicht zuzumuten, so spät am Abend noch wach zu sein. Das Jugendamt wurde eingeschaltet. Bohm machte den Fall diese Woche bei Twitter öffentlich.
Keine Elternzeit für Politiker:innen
Laut Anzeige soll das Baby bis 22 Uhr im Sitzungssaal gewesen sein. Bohm widersprach und sagte gegenüber dem MDR, ihr Mann habe die Sitzung mit dem Baby gegen 20.30 Uhr verlassen. Doch ganz unabhängig von der Uhrzeit, ist es unwahrscheinlich, dass es dem oder der Anzeigenerstatter:in wirklich um das Wohl des Kindes ging, sondern eher um Eltern- beziehungsweise Mütterfeindlichkeit. So kommentierte auch Bohm: „Man versucht offenbar, Menschen mit kleinen Kindern aus der Politik zu drängen. Die Politik braucht aber genau diese Menschen.“
Die Geschichte von Bohm ist kein Einzelfall. Das Problem kein individuelles, sondern ein strukturelles. Die Vereinbarkeit von Politik und Care-Arbeit ist schwer, Sitzungen finden meistens spät bis in die Nacht statt, eine Kinderbetreuung für die Zeit wird in der Regel nicht angeboten, so auch nicht im Stadtrat von Weimar. Bei Abstimmungen können sich Politiker:innen nicht vertreten lassen, und weder Bundestagsabgeordneten noch ehrenamtlichen Bürgermeister:innen oder Stadträt:innen steht eine Elternzeit zu.
Dass Kinder überhaupt in politische Sitzungen mitgenommen werden dürfen, ist keine Selbstverständlichkeit. Im August 2018 wurde die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling mit ihrem sechs Wochen alten Baby vom Landtagspräsidenten des Thüringischen Landtags aus dem Plenarsaal verwiesen. Nach dem Rausschmiss entwickelte sich eine Debatte über die Vereinbarkeit von Kindern und Arbeiten in der Politik.
Henfling und die Landtagsfraktion der Grünen hatten gegen den Rausschmiss geklagt – und Recht bekommen. Das Thüringer Verfassungsgericht urteilte 2020, dass Eltern künftig ihre Kinder bis zum 1. Lebensjahr zu Landtagssitzungen mitbringen dürfen.
Ein Fortschritt, doch keiner, der das Problem in Gänze löst. In den vergangenen Jahren kam es weltweit immer wieder zu Skandalisierungen und Diskussionen, wenn Politiker:innen ihre Babys mit zu Sitzungen brachten oder sie stillten. Gleichzeitig fehlen in vielen politischen Institutionen noch immer Stillräume.
Kaum Schutz am Arbeitsplatz
Doch es ist nicht nur die Politik, die systematisch versucht, Mütter zu verdrängen. Eltern werden in Betrieben in der Regel als Störung wahrgenommen – das betrifft zwar Mütter und Väter, doch nicht gleichermaßen. Noch immer liegt ein Großteil der Verantwortung der Care-Arbeit bei den Müttern, die Coronakrise hat diesen Zustand nur noch einmal verschlimmert.
Die Diskriminierung am Arbeitsplatz von Eltern reicht von abgelehnten Bewerbungen wegen Schwangerschaft bis hin zu torpedierten Elternzeitanträgen, Jobkündigungen, Degradierungen nach der Elternzeit, schlechteren Karrierechancen bis hin zu unflexiblen Arbeitszeiten und wichtigen Meetings in Abendstunden.
Doch Eltern sind in Deutschland gesetzlich am Arbeitsplatz nicht genügend geschützt, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden sie nicht mitgedacht. Denn obwohl es knapp 30 Millionen Elternteile in Deutschland gibt, die mit einem Kind unter 18 Jahren in einem Haushalt leben und die Diskriminierung von Eltern am Arbeitsplatz hinreichend bekannt und belegt ist, wird der Aspekt der Elternschaft im AGG nicht berücksichtigt.
Und das ist nur ein Aspekt, der sich verändern müsste. Es braucht eine Politik, die durch finanzielle Maßnahmen und Gesetze die Unvereinbarkeit von Lohn- und Care-Arbeit auflöst – wie mit umfangreichen Betreuungsangeboten, flexibleren Arbeitszeiten, dem Abbau von steuerlichen Nachteilen für Mütter und am besten gleich der Abschaffung der 40-Stunden-Lohnarbeitswoche.
Doch Gesetze allein werden nicht reichen – auch das zeigt der Fall von Bohm – es braucht dazu auch noch eine Gesellschaft, die dieser Vereinbarkeit den nötigen Raum gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau