EU-Handelsabkommen Ceta mit Kanada: Ratifizierung im Galopp

Die Grünen wollen das Wirtschaftsabkommen Ceta schnell ratifizieren – trotz der umstrittenen Schiedsgerichte und der Klageprivilegien für Konzerne.

STOP CETA rote Buchstaben werden vor dem Eu Parlament in Strassburg hochgehalten, ein hölzernes trojanisches Pferd ist dahinter zu sehen

Lange Schatten: Schon 2017 warnten Aktivisten vor dem Abkommen, hier in Straßburg Foto: ­Do­mi­ni­que Gutekunst/picture alliance

BERLIN taz | Viele Jahre passierte nichts, jetzt geht es zack, zack: Schon am kommenden Donnerstag wird der Gesetzentwurf für die Ratifizierung des europäisch-kanadischen Handelsabkommens Ceta in erster Lesung im Bundestag behandelt. Dabei haben sich SPD, FDP und Grüne erst vor Kurzem auf die Ratifizierung geeinigt. Im Herbst soll der Wirtschaftspakt vom Bundestag endgültig angenommen werden.

Für die Grünen leitet das Ceta-Gesetz und die damit verbundene handelspolitische Agenda eine neue Etappe ein. „Damit kann sich Deutschland endlich für eine faire europäische Handelspolitik einsetzen“, sagt die grüne Staatssekretärin Franziska Brantner. Wirtschaftsverbände sind begeistert. „In der aktuellen Krise ist es entscheidend, dass die größte Wirtschafts- und Handelsnation in der EU deutlich macht, dass wir keine isolationistische Politik verfolgen“, begrüßt etwa Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, den Vorstoß.

Doch die Stopp-Ceta-Szene ist entsetzt. „Wir sind maximal enttäuscht“, sagt Anne Bundschuh von Powershift, eine von sieben Organisationen, die einen offenen Brief an die grüne Partei- und Fraktionsspitze und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geschrieben haben. Unter der Überschrift „Liebe Grüne, stellt Euch der Zivilgesellschaft“ fordern sie, Ceta nicht überstürzt zu ratifizieren. Nicht einmal 24 Stunden hatten Verbände Zeit, eine Stellungnahme zum Ceta-Gesetz abzugeben, bevor der Entwurf am vergangenen Freitag ins Kabinett ging. Die Grünen haben eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen Ceta gespielt, jetzt versuchen sie es im Hauruckverfahren durchzudrücken, kritisiert Bundschuh. „Dabei hat sich nichts geändert“, betont sie. Die umstrittenen Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten verklagen können, bleiben Bestandteil des Vertrags.

Der Wirtschaftspakt Ceta ist zum großen Teil bereits seit 2017 in Kraft, kann aber erst nach der Ratifizierung aller EU-Mitglieder vollständig angewendet werden. Bislang haben Kanada sowie 15 EU-Länder das Abkommen abgesegnet, Deutschland und 11 weitere noch nicht, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande. Für Kanada ist Ceta wichtig, um von dem dominierenden Handelspartner USA unabhängiger zu werden. Für die EU und vor allem Deutschland ist der kanadische Markt sehr attraktiv, denn die Kaufkraft der Bür­ge­r:in­nen ist hoch.

In zwei Teile gesplittet

Weil der Vertrag in vielen europäischen Ländern sehr umstritten ist, hat die EU das Abkommen in zwei Teile gesplittet: einen, der vorläufig gilt und einen, der erst nach der Ratifizierung durch alle EU-Mitglieder in Kraft tritt. Bereits wirksam ist der Verzicht auf etliche Zölle. In den drei Jahren nach Ceta wuchs der Handel zwischen der EU und Kanada deutlich schneller als in den drei Jahren davor – dann hat die Coronakrise für ein Abschwächen gesorgt. Offenbar wird das Potenzial des Vertrags noch nicht richtig ausgeschöpft. Ökonomen des Instituts für Weltwirtschaft Kiel haben in einer Stellungnahme für den Bundestag im Jahr 2021 berichtet, dass erstaunlich viele deutsche Unternehmen bislang von den Zollvergünstigungen relativ wenig Gebrauch machen, vor allem die Autoindustrie. Die Gründe dafür sind unklar. Möglicherweise ist es zu aufwändig, die geforderten Herkunftsbelege für exportierte Produkte beizubringen. Denn nur wenn sie und ihre Bestandteile nachweisbar überwiegend in der EU gefertigt wurden, gibt es Zollvergünstigungen.

In den zweiten Teil hat die EU-Kommission jene Elemente gepackt, die besonders umstritten sind, etwa die berüchtigten Schiedsgerichte, mit denen Konzerne ihre Interessen gegen Staaten durchsetzen können. Ein Beispiel von vielen: RWE und Uniper haben die Niederlande vor einem Schiedsgericht auf einen Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt, weil die aus der Kohleverstromung aussteigen wollen.

Unter anderem gegen die Verankerung solcher Klagemöglichkeiten haben Hunderttausende in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland protestiert – darunter viele Grüne. Dabei ging es auch um den seinerzeit verhandelten europäisch-US-amerikanischen Wirtschaftspakt TTIP, der allerdings bereits vor dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump gescheitert ist. Neben den Klageprivilegien für Konzerne fürchten Ceta-Gegner:innen, dass Unternehmen generell mehr Macht bekommen, weil sie früh in speziellen Ausschüssen, der sogenannten regulatorischen Kooperation, über Gesetzesvorhaben informiert werden und sie unbemerkt verhindern könnten. Groß ist auch die Angst, dass Umwelt- und Verbraucherstandards auf beiden Seiten des Atlantiks auf das jeweils niedrigere Level abgesenkt werden.

SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag verabredet, ausstehende Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu Ceta abzuwarten. Im März haben die Rich­te­r:in­nen alle Klagen gegen Ceta abgewiesen, darunter eine Verfassungsbeschwerde von mehr als 125.000 Bür­ge­r:in­nen.

Danach verständigten sich die drei Parteien auf Nachbesserungen, mit denen sie Ceta annehmbar machen wollen. Sie wollen die Klagemöglichkeiten von Konzernen gegen Staaten einschränken, sie sollen nur bei direkten Enteignungen und Diskriminierungen möglich sein. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Konzerne etwa wegen eines Klimagesetzes Schadenersatz verlangen, weil ihnen dadurch Gewinne verloren gehen. Außerdem will die Ampel bei der regulatorischen Kooperation die Befugnisse des Europäischen Parlaments stärken.

Damit der Ceta-Vertrag nicht neu verhandelt werden muss, sollen die Änderungen durch eine angehängte Interpretationserklärung geregelt werden. Sie soll aus einem Text bestehen, den das aus Ver­tre­te­r:in­nen der EU und Kanadas zusammengesetzte Ceta-Komitee verabschiedet. Geg­ne­r:i­nnen der Schiedsgerichte kann die Ampelregierung damit nicht einfangen. „Die Ampel führt damit die Handelspolitik der Großen Koalition einfach fort, anstatt neue Impulse zu setzen“, sagt der Co-Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan. Von einem „Feigenblatt“ spricht der BUND. Für Powershift-Handelsexpertin Bundschuh sind die vorgesehenen Formulierungen nicht mehr als Symbolpolitik. „Ob die angestrebte Interpretationserklärung rechtlich verbindlich wäre, bleibt völlig unklar“, sagt sie. „Und selbst wenn, würde sie das Grundproblem der Schiedsgerichte nicht beseitigen.“

Die zweite und dritte Lesung im Bundestag soll stattfinden, sobald das Ceta-Komitee die Erklärung abgegeben hat. Da die deutsche Regierung Vorgespräche geführt hat, dürfte zumindest das ohne Probleme über die Bühne gehen. Eine andere Frage ist, wie die Öffentlichkeit das Thema aufnimmt. Das Bündnis, das einst die großen Stopp-TTIP und Stopp-Ceta-Proteste organisiert hat, will auch jetzt wieder mobil machen.

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