EU-Asylrecht wird verschärft: Grüne Basis entsetzt
Die Grünen wollen die geplante Reform des EU-Asylrechts mittragen. In einem Brief an ihre Spitze protestieren mehr als 700 Parteimitglieder dagegen.
„Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind“, heißt es weiter. „Mitgliedsstaaten werden teilweise zur Inhaftierung der Schutzsuchenden verpflichtet und erhalten zusätzliche massive Möglichkeiten zu Asylrechtsverschärfungen auf nationaler Ebene.“
Das gemeinsame Ziel der Grünen sei ein anderes gewesen: „eine Reform, die geeignet ist, das Grundrecht auf Asyl zu schützen, menschenunwürdige Bedingungen zu beenden und für eine faire Verteilung zu sorgen“. Auch wenn die Verhandlungssituation in Brüssel sicherlich schwierig sei, sei es schwer nachvollziehbar, warum die deutsche Verhandlungsposition nicht annähernd den Inhalten des Koalitionsvertrags entspreche.
Unterzeichnet haben den Brief unter anderem die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, der Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus und die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Astrid Rothe-Beinlich. „Ich könnte kein Lager an EU-Außengrenzen mitvertreten, das geht mit grüner, menschenrechtsorientierter Flüchtlingspolitik nicht zusammen“, sagte Rothe-Beinlich der taz. Es habe auch mit ihrer Ost-Erfahrung zu tun, dass sie grundsätzlich gegen tödliche Grenzen aufbegehre.
Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben soll. Die Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.
Entsprechend hatten sich auch Baerbock und Habeck geäußert. Die Außenministerin sagte, Grenzverfahren seien hochproblematisch – der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem „geordneten und humanen Verteilungsverfahren“ zu kommen.
Die Unterzeichner*innen des Briefes fordern die Grünen in Regierung, Bundestag und an der Parteispitze zu mehr Selbstbewusstsein in der Asyldebatte auf. „Wir erwarten nicht, dass sich die schwierige Lage in der europäischen Asylpolitik von heute auf morgen ändert. Aber wir erwarten, dass ihr gemeinsam mit viel Rückenwind aus der Partei, Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird und wir die Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend