piwik no script img

EM-Stadion in RegenbogenfarbenWer im Glasstadion sitzt

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Das grelle Wehklagen nach der Uefa-Entscheidung zum Regenbogen ist verlogen. Im deutschen Fußball ist es kaum besser. Deswegen outet sich kein Profi.

Schon im Mai 2019 ein Zeichen gegen Diskriminierung: Eckfahne in der Münchner Alianz-Arena Foto: Peter Schatz/imago

E s ist zu einfach, im Regime Viktor Orbáns in Ungarn und im europäischen Fußballverband Uefa die Schuldigen, die fundamentalen Übeltäter dafür zu sehen, dass das Münchner EM-Turnier-Stadion nicht in Regenbogenfarben erstrahlen darf. In Wahrheit ist der viel zu hysterische Protest und das grelle Wehklagen über die Uefa, die als Turnierveranstalter der Fußball-EM die Verregenbogisierung des Spielplatzes samt illuminierbarer Außenhülle untersagt hat, wohlfeil. Als ob jene, die diese Idee überhaupt ins Spiel brachten, darauf hofften, dass die Uefa sich verweigert und Orbán sich empört.

Richtig ist, dass in Ungarn Gesetze beschlossen wurden, die faktisch alles Queere, ob nun schwul, lesbisch oder trans, aus der Öffentlichkeit, aus Schulen und Bildungseinrichtungen bei Strafe verbannt sehen will. Das Münchner Stadion im Namen von Toleranz als Regenbogen zu inszenieren, käme indes einer Belehrung, einem Pranger gleich, einer Geste, die da sagt: Hey, wir sind die Guten und ihr die Bösen. Stimmt ja womöglich auch, für Ungarns Queers ist das Leben im Heimatland mehr als nur beschwerlich geworden, und das schon seit sehr vielen Jahren, als es noch keine Gesetze für Homo- und Transphobes gab.

Das deutsche Goodwill pro Queer Culture blamiert sich freilich aus der Sache selbst heraus. Klar: In Deutschland, überhaupt Mitteleuropa, gibt es LGBTI-Kulturen, die auch ungarischen Lesben, Schwulen und trans*­ Men­schen vielleicht nicht Paradiesisches verheißen, aber erheblich bessere Lebensumstände schon. Nur: Männerfußball ist zwar die zentrale Sportart, das einzige Lagerfeuer der Republik, an dem sich alle irgendwie versammeln können, doch zugleich gibt es in den Profi-Ligen keinen einzigen offen schwulen Fußballer.

Vor diesem Hintergrund ist es doch verwunderlich, mit dem Finger auf osteuropäische Länder wie Ungarn zu zeigen. Ist nicht völlig falsch, aber: Ein Profifußballer in Deutschland, der sich als homosexuell outet, hat seinen Marktwert auf Anhieb um 90 Prozent gemindert. Denn zum Bild dieser Sportart gehört eben auch eine nichtschwule Aura. Wer schwul ist und dies nicht belügt, ist aus dem Spiel so gut wie raus. Insofern: Wendet die Zeigefinger von Uefa und Orbán ab – und zeigt gefälligst auf euch selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • "Ein Profifußballer in Deutschland, der sich als homosexuell outet, hat seinen Marktwert auf Anhieb um 90 Prozent gemindert."

    Steile These. Man könnte umgekehrt argumentieren, dass sich sein Marktwert verdoppeln würde, zumindest was die Vermarktung als Werbeträger angeht. Und an der Arbeitsleistung sollte eine Aussage zur sexuellen Orientierung wohl nichts ändern.

  • Sorry, aber so einfach ist die Sache hier dann leider nicht. Immerhin sollen "unsere" Fußballproleten ja als Maskottchen einer besseren Gesellschaft herhalten. Seht her, bei uns singen sie keine bösen Lieder, sondern schwenken bunte Fahnen.



    Es stinkt schon vom Himmel, wie einig "wir" uns da auf einmal sind -- in einem in kollektiver Abgrenzung konstruierten, scheinheiligen Wir.Und genau darauf macht der Artikel -- zurecht -- aufmerksam.

  • anschließe mich meinen Vorrednern!



    Aber auch JAF JAF sei Dank for assist =>

    kurz - Wo‘s Gummibärchen JAF JAF -



    Draufsteht - auch JAF JAF drin ist!



    & Wie schön 👍 =>



    Diese Sorte von Verläßlich - heit!



    Erregt wieder allgemeine Heiterkeit 😂

  • Es ist schon etwas grundlegend anderes, ob ein Staat homophobe Gesetze macht, oder ob ein Fussballverein Ressentiments gegen Homosexuelle nur schwer überwinden kann.



    Ich bin gewiss kein Freund von Symbolpolitik, aber die Regenbogenbeleuchtung des Stadions wäre ein wichtiges und richtiges Zeichen der Toleranz - auch nach Ungarn, aber eben nicht nur nach Ungarn - gewesen. Dagegen konnte eigentlich niemand ernsthaft etwas haben - sollte man meinen.

  • Ach ja. Mal wieder vermischt man Fussballproleten mit Staaten. Als ob an beide der gleiche Maßstab anlegbar wäre. Ansonsten outet sich der Autor auch als jemand, der jetzt schnell eine Meinung haben muss, aber eigentlich nicht weiß, was im deutschen Fussball Stand der Dinge ist. Gerade in Berlin wurde doch zuletzt häufig Wert auf Antifaschismus gelegt. In München, Wolfsburg, Hamburg, Freiburg trägt man Regenbogenbinde, über einem Hamburger Stadion weht dauerhaft der Regenbogen, in Bremen sind die Eckfahnen entsprechend. Der DFB befasst sich seit 10 Jahren mit Vielfalt, auch sexueller. Dabei auch oft mit Regenbogen. Mal wieder sitzt man links auf sehr hohem Moralross und kann nicht anerkennen, dass beim gefühlten Klassenfeind auch mal was gut gemacht wird. Ja, es outet sich immer noch kein aktiver Fussballer. Aber die Zeichen sind da, die Versuche, die Stimmung zu ändern, sind da. Man darf sich aufregen, dass die UEFA ein Zeichen verweigert. Mehr ist es nicht. Es hätte sich danach und deswegen wohl kein Profi geoutet (obgleich die Vorstellung schön wäre: nach dem Spiel im Interview mit Regenbogen im Hintergrund). Es hätte sich auch nichts an Ungarns Gesetzgebung geändert. Es wäre aber ein Zeichen gewesen. Ein schönes. Nicht mehr und nicht weniger.

  • München hätte ohne weiteres für sämtliche Spiele die entsprechende Beleuchtung beantragen können. Das wäre möglicherweise sogar durchgegangen.

    Der jetzt unter Hinweis auf die aktuelle Gesetzesänderung in Ungarn gestellte Antrag auf entsprechende Beleuchtung musste schlicht weg scheitern.

    Die Vorgehensweise des OB war einfach nur platt und vollkommen sinnlos.

  • Lieber Herr Feddersen,

    natürlich ist so ein Scharmützel ein wunderbarer Anlass, auch die "Queere im Männerfußball"-Sau mal wieder durchs Dorf zu treiben und dabei eifrig mit den Fingern zu zeigen. Aber muss das wirklich sein?

    Mal davon abgesehen, dass der Münchner Stadtrat die Uefa mit der Art, wie er sein Anliegen begründete in eine unmögliche Position gebracht und regelrecht zwangspolitisiert hat, ist das Ergebnis - eine breite Regenbogenaktion, an der sich das ganze Land beteiligt - natürlich AUCH wunderschön im Sinne hiesiger queerer Fußballer. Denn das "Wir sind die Guten" ist nicht nur Moralpodest sondern auch Anspruch.

    Adressat von Regenbogensymbolen sind ja nicht die, die kein Problem damit hätten, wenn sich 10% oder mehr Spieler der Bundesliga als irgendwie queer bezeichneten. Es sind vielmehr - neben den LGBTIQ-Menschen selbst - diejenigen, die das nicht so sehen und damit der Grund sind, warum sich kein Fußballprofi outet. IHNEN wird das Signal gesendet, dass sie mit ihrer Ablehnung SICH SELBST zu den Schmuddelkindern der Gesellschaft stellen und nicht etwa die Queeren.

    Genau darum sollte es doch gehen: Den Beteiligten an Diskriminierung (also Opfern UND Tätern) klarmachen, dass ihre Mitmenschen bis auf wenige Ausnahmen die Diskriminierten und nicht die Hater als ihre Nächsten betrachten, mit denen sie eine Gesellschaft bilden wollen. Jetzt mit "Whatabout Bundesliga?" zu kommen, untergräbt diese Botschaft eher.

  • Eigentlich geht mir Fussball... ach lassen wir das.

    Die Beleuchtung des Münchner Spielplatzes jedoch sehe ich wie das Gendersternchen. Für sich genommen ändert sie nichts -- solange sie aber provoziert und zum Denken anregt ist sie wertvoll.

    Also machen wir das. Auch wenn's manchmal künstlich wirkt. Auch wenn mich das nicht gleich zum woken Feministen macht. Auch wenn da noch massenhaft Leichen im Keller gammeln. Es könnte helfen, genau das zu ändern, und das ist der Sinn.

    Uefa? Chance verpasst. Hatte ich aber kaum anders erwartet.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Toleranz ist ein hohes Gut, ein solches ist aber auch Gastfreundschaft. Und sonderlich gastfreundlich zeigt sich die Stadt München nicht gerade, wenn sie ihre ungarischen Gäste mit einem etwas besserwisserischen Fingerzeig auf deren böse Politik begrüßt. Gerade Deutschen sollte dies bewusst sein, wo man als solcher im Ausland auch stets ein potentieller Enkel von Kriegsverbrechern ist, so pazifistisch, tolerant und links man selbst auch sein mag.



    Die Sinnlosigkeit dieser Art von Provokation gegenüber ausländischen Staatsoberhäuptern sollte spätestens durch Erdogan klar geworden sein, der durch ausländische Angriffe zuhause nur gestärkt wurde.



    Aber ich vermute ohnehin, dass die Initiative in München mehr mit dem deutschen Wahlkampf zu tun hat als mit ungarischen Gesetzen.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Sie wissen, mit wem Ungarn im Zweiten Weltkrieg verbündet war…?

      • @Suryo:

        Weiß er sicher. Er meint wohl, die Münchner hätten aus reiner Gastfreundschaft besser die Hakenkreuzfahnen aus dem Keller holen sollen, um die ungarischen Pfeilkreuzlerfans angemessen zu begrüßen.

  • Stimmt schon, im Profifußball gibt es zwar hier symbolische Gesten und da Fensterreden, aber am Ende halten die Marktmechanismen und die Atmosphäre die Spieler doch vom Coming-out ab.



    Trotzdem fand ich die Idee gut. Regelmäßige Präsenz des Themas kann schon etwas bewirken ("Steter Tropfen...").

    • @phalanx:

      Sie haben ganz recht, mit den symbolische Gesten und den Fensterreden, aber auch mit dem steten Tropfen.

      Je mehr "Anders sein" in den Alltag integriert wird, desto mehr wird es auch wahr genommen und akzeptiert, und ist dann irgendwann auch nicht mehr anders. Das gilt ja nicht nur für eine sexuelle Ausrichtung, sondern auch für verschiedene Lebensmodelle (in meiner Kindheit galten z.B. Patchworkfamilien noch als Assis), Relgionen usw..

  • 0G
    06227 (Profil gelöscht)

    Was für bizarre Relativierungen und logische Sprünge sind das denn bitte schön?



    Getreu dem Motto 'weil China so viel CO2 produziert müssen wir gar keinen Finger zum Klimaschutz krümmen.' 1000 mal gehört aber immer noch ein Fehlschluss.



    Ist ja völlig richtig, dass im deutschen Fußball alles andere als Friede-Freude-Eierkuchen besteht was Toleranz angeht, aber das entkräftet die Richtigkeit eines Positiven Statements.......jetzt wie genau?



    Und das die Beteiligten von deutscher Seite irgendwie selbstgerecht auftreten würden ist auch erstmal nichts als Projektion. Das ganze kann natürlich genauso als Kampfansage an all die homophoben Kartoffeln verstanden werden die da betrunken die Nationalhymne grölen.

  • So ein Quatsch. 1. Es sind ja nicht die Fußballer, die sich empören. 2. Allein die straffreie Option sich zu outen steht einem Rechtsstaat gut zu Gesicht. 3. Wenn die Fußballer es nicht oder erst nach der Karriere tun, so ist es eben einzig und allein Sache der Fußballer. 4. Und sich gegen den Beschluss der UEFA zu entrüsten ist richtig, weil es ja nicht nur Fußballer betrifft - hat was mit Solidarität zu tun.

  • Die einen müssen fürchten, keine Millionäre mehr zu werden und die anderen müssen mit staatlicher Diskriminierung, Drangsalierung und Zunahme von gesellschaftlicher tödlicher Gewalt rechnen. Ich würde daher vorschlagen, mit dem Finger auf sich selbst und auf Uefa sowie Orbán zu zeigen.

  • für wahr!

  • Aha, und eine bewusste Abstandnahme vom öffentlichen Zeigen von Toleranz und Unterstützung für die LGBTQI-Community soll es Profifußballern jetzt leichter machen, sich zu outen und nicht etwa die Assoziation noch verstärken, dass Fußball und LGBTQI nichts miteinander zu tun haben?