Berliner Olympiastadion als buntes Zeichen: Allerorten Outing mit Symbolpolitik

Schon irre, wie sich auf einmal alle um die Regenbogenfahne scharen. Auch das Olympiastadion leuchtet während der Partie Deutschland-Ungarn bunt.

Das Olympiastadion in Berlin, während des EM-Spiels Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben beleuchtet

Regenbogenbunte Symbolpolitik: das beleuchtete Olympiastadion Foto: Christophe Gateau/dpa

Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust!“, möchte man rufen angesichts der neu entdeckten Liebe der Deutschen zum Regenbogen (und zur Solidarität mit LGBTIQ). Das Stadion in München blieb am Mittwoch zum Länderspiel gegen Ungarn zwar blass, aber der Rest des Landes erstrahlte bunt: Firmenlogos auf Twitter, Profilbilder von Privatleuten, ein Windrad in München und Fußballstadien bundesweit. Ganz vorn dabei: Berlin, auch das hiesige Olympiastadion leuchtete farbig, Spielort des Bundesligisten Hertha BSC, der schon seit Jahren krampfhaft versucht, an den hedonistisch-progressiven Geist der Stadt anzudocken.

Doch was bringt das alles? Nützt es politisch etwas, ein paar farbige Glühbirnen anzuknipsen? Nein, natürlich nicht. Farbige Profilbilder oder Stadionbeleuchtungen ändern nichts an bestehender Diskriminierung, weder in Deutschland noch in Ungarn noch sonst wo. Das ist alles reine Symbolpolitik ohne konkreten Nutzen – aber gleichzeitig eine Symbolpolitik, die es jahrelang so nicht gab, die man jahrelang kaum für möglich gehalten hätte.

Ist schon irre, wie sich auf einmal fast alle Parteien, die großen Firmen, die großen Sportklubs, die Bundeskanzlerin und die Präsidentin der Europäischen Kommission um die Regenbogenfahne scharen. Natürlich ist das wohlfeil und kostenlos, natürlich ist es widerwärtig, wie hier Deutschland seine eigene moralische Überlegenheit zelebriert, wie mit dem Finger auf Ungarn als rückwärts­gewandtes Land gezeigt wird. Es ist ekelhaft, dass sogar die EU-Grenzpolizei Frontex ihr Logo bunt einfärbt. Das ist Rainbow-Washing, menschenfeindliche Politik mit einem Diversitätsmäntelchen. Den Flüchtlingen in der Ägäis ist es egal, ob der EU-Scherge, der ihr Schlauchboot gerade zurück aufs offene Meer schubst, einen Regenbogensticker an der Jacke hat.

In der deutschen Innenpolitik die gleiche Verlogenheit: Markus Söder lässt sich mit Regenbogen-Mundschutz im Stadion fotografieren, dabei hat Bayern als einziges Land keinen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, dabei war die Union immer Bremse der Gleichberechtigung. Alle Fortschritte in Sachen LGBTIQ-Politik in Deutschland mussten gegen Widerstand der Union durchgeboxt werden. Noch immer dürfen trans Menschen ihr Geschlecht nicht selbst bestimmen, noch immer werden LGBTIQ bei der Blutspende benachteiligt.

Fußball, der Hort verklemmter Männlichkeit, macht auf queer-friendly

Andererseits: Söder, ein Populist und Instinktpolitiker, eignet sich den Regenbogen an. Fußball, der Hort verklemmter Männlichkeit, macht auf queer-friendly. Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Es ändert sich was in dieser Gesellschaft. Viele der neuen Regenbogen-Fans trauen sich zwar nicht, die Wörter „schwul“ oder „lesbisch“ oder „homosexuell“ zu sagen, aber die Geste ist eindeutig: LGBTIQ gehören dazu.

Da sind die zwei Herzen, die da schlagen in der Brust, die widerstrebenden Gefühle: die Freude dazuzugehören, das Misstrauen, wie ernst das jetzt gemeint sein soll, die Wut, vereinnahmt und nur als Feigenblatt benutzt zu werden. Es ist kompliziert.

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Berliner mit Kartoffelhintergrund. 2011-2020 bei der taz, u.a. als Ressortleiter Online, jetzt Autor, Themen: Privilegien, Machtstrukturen, USA, Italien, Fußball, Queer, Comics u.a.

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