EEG-Autor zur Strommarktreform: „Meine Grünen müssen hinschauen“
Der frühere Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell ist einer der Väter des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Heute sieht er großen Reformbedarf.
taz: Herr Fell, als Sie vor mehr als 22 Jahren das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) miterfanden, haben Sie und Ihre Bundestagskolleg:innen damals geglaubt, dass klimafreundlicher Strom aus Solar- und Windenergie einmal so günstig sein wird wie jetzt?
Hans-Josef Fell: Ja, das war unsere klare Strategie. Wir wussten ja: Im Unterschied zu den Fossilenergien sind Solar-, Wind-, Wasserkraft, Geothermie frei von Rohstoffkosten. Und heute ist eine verlässliche Versorgung mit erneuerbaren Energien selbst mit Speichern die günstigste Art der Stromerzeugung. Das ist doch phänomenal.
Jahrgang 1952, ist Chef des Netzwerks Energy Watch Group. Er war Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes im Jahr 2000.
Mittlerweile wird Grünstrom über die Börse vermarktet. War das auch Ihr Plan?
Nein, die Vermarktung über Grünstromunternehmen war das Ziel. Es gibt ja seit Längerem einige eindeutig zertifizierte Unternehmen, die Ökostrom direkt an ihre Kunden verkaufen. Aber an der Börse sollte Grünstrom nicht vermarktet werden. Im Gegenteil.
Der Börsenstrompreis geht zurzeit in der aktuellen Energiekrise durch die Decke. Er steigt aber schon seit Mitte 2021 stark. Wie ist es dazu gekommen?
Es sind viele Gründe. Ein wichtiger ist: Der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat 2009 das ursprüngliche EEG-Prinzip mit einer Änderung der Berechnung der EEG-Umlage abgeschafft. Ich konnte es damals aus der Opposition heraus nicht verhindern. In den Jahren danach hat es erhebliche Verwerfungen gegeben. Vor allem stieg dadurch die EEG-Umlage massiv an, obwohl die Erneuerbaren-Erzeuger-Preise sanken. Und heute bestimmt das teuerste Kraftwerk bei der Börsenvermarktung den Strompreis. Der ist wegen der gestiegenen Erdgaspreise sehr teuer. Eine widersinnige Konstruktion! Denn dadurch erzielen nicht nur Ökostromproduzenten, sondern vor allem aber Betreiber von Kohle- oder Atomkraftwerken überdimensionierte Gewinne. Dieses Marktdesign muss abgeschafft werden, die Gewinne müssen wir abschöpfen. Es muss immer wieder klar gesagt werden: Nicht der Ökostrom ist zu teuer, sondern dieser Marktmechanismus ist falsch.
Die Bundesregierung will kurzfristig eine Strompreisbremse auf die Beine stellen. Wie könnte eine langfristige Lösung des Problems aussehen?
Wir brauchen zwei Märkte: einen schnell wachsenden für die erneuerbaren Energien und einen für die Alt-Energien. Weil der so teuer wird, werden die Kunden dort schnell verschwinden. Die momentane Vermischung der Erneuerbaren mit den fossilen Energien ist das entscheidende Problem. Das Beispiel des Ökostrom-Anbieters Naturstrom zeigt, es geht auch anders: Das Unternehmen erzeugt schon ein Drittel eigenen Ökostrom und kann seinen Neukunden heute günstigere Angebote machen als seine meisten Konkurrenten. Aber günstigen Ökostrom kann auch jeder selber produzieren, im Unternehmen, auf dem Haus, gemeinschaftlich im Quartier. Man muss nicht auf Angebote warten.
Sie empfehlen also Wind- oder Solarbetreiber:innen, ihren Ökostrom anders zu vermarkten als über die Börse?
Ja. Denn Ökostrom hat einen anderen Charakter als „konventionell“ erzeugter. Die Konzerne haben die Gewinnmaximierung als Ziel, wollen also über die Börse gehen. Kleinere Wind- oder Solarstrom-Erzeuger können zunächst ihren Strom selbst nutzen, sich selbst Kunden suchen, zum Beispiel über sogenannte PPA-Verträge direkt an Stadt- oder Gemeindewerke verkaufen. Das muss ausgeweitet werden, damit der kostengünstige Ökostrom an die Verbraucher herankommt.
Dabei lecken sich gerade die Betreiber:innen ausgeförderter Solarstromanlagen ja zurzeit die Finger: Gut 2 Cent pro Kilowattstunde wurde ihnen für den Weiterbetrieb nach dem 20-Jahre-Fördersystem versprochen, für das Jahr 2022 dürften es als durchschnittlicher Börsenstrompreis wohl fast 20 Cent werden. Was halten Sie davon?
Entscheidend ist, dass Hausbesitzer mit eigener Anlage die Eigenstromnutzung massiv erhöhen. Wenn sie 60 bis 80 Prozent Eigenstrom nutzen, ist viel gewonnen. Stellen Sie die Heizung auf Wärmepumpe um, laden Sie das Elektroauto daheim. Richtig ist zwar auch: Fachunternehmen kommen zurzeit nicht nach mit den Installationen. Aber seit 20 Jahren hätten viele etwas machen können, das darf auch nicht vergessen werden.
Aber mehr Eigenstrom im Einfamilienhaus kann doch nicht die einzige Lösung sein.
Nein, es sind auch gesetzliche Änderungen notwendig. Energy Sharing unter Nachbarn muss erlaubt werden. Warum nicht das Dach des Nachbarn mitnutzen, wenn das eigene verschattet ist? Eine EU-Richtlinie fordert das – Deutschland hat es immer noch nicht umgesetzt. Über etwas anderes wird schon lange geredet: Die sauberen Stromproduzenten müsste man entlasten, die dreckigen fossilen und atomaren aber belasten. Würde man den Ökostrom von der Stromsteuer befreien, hätten wir auf einen Schlag eine zusätzliche Entlastung und Lenkungswirkung für den Klimaschutz. Doch dieses Grundprinzip – also Sauberes entlasten und Schmutziges belasten – ist immer noch nicht angekommen bei der Regierung. So soll, Stand heute, die neue Gasumlage auch auf Biogas erhoben werden.
Apropos Regierung: Ihre grüne Partei ist eine von drei Koalitionspartner:innen. Was erwarten Sie?
Diese überbordende Bürokratie, die Umstellung auf Ausschreibung bei größeren Anlagen, die Nichtumsetzung des von der EU geforderten Energy Sharing: Da müssen meine Grünen stärker hinschauen. Und Energieminister Robert Habeck sollte nicht in der Welt rumfliegen und nach LNG (Flüssiggas) suchen, sondern nach Bayern fahren und Ministerpräsident Söder den Kopf waschen, vor allem bei der Windkraft.
Sie sollen zusammen mit den anderen beiden noch lebenden „EEG-Eltern“ Michaele Hustedt von den Grünen und Dietmar Schütz von der SPD einen Appell an die Ökostromproduzenten gerichtet haben: Die sollen ihre Kostenvorteile freiwillig an die Verbraucher:innen weitergeben. Stimmt das?
Ja, wir appellieren an die Ökostrombranche, auf überzogene Gewinne zu verzichten, um die sozialen Probleme durch überhöhte Strompreise zu verhindern. Ich fürchte, AfD und die Linke werden bald auf die Straße gehen und behaupten, der Ökostrom sei schuld. Deshalb sollten gerade größere Gemeinschaftsanlagen, Solar- oder Windkraft, jetzt nicht einfach die großen Gewinne mitnehmen von der Börse, sondern die billigen Erzeugungskosten der Erneuerbaren an viele Kunden weitergeben. Die Firma Westfalenwind zum Beispiel macht das vor: Sie stellt ihren Anlegern und Bürger:innen in der Gegend billigen Ökostrom zur Verfügung. Wenn die Menschen sehen, wie günstig der Ökostrom ist, dann fallen sie nicht mehr auf die Fake News der Rechten rein. Ich möchte aber klarstellen: Die Gewinne bei den konventionellen Anbietern sind noch weitaus höher als die der Erneuerbaren. Die Altenergiekonzerne müssten erst recht helfen.
Wie waren die Reaktionen der Betreiber denn bisher?
Leider gab es bisher kaum welche. Die erste positive stammt von einem Windkraftbetreiber aus Franken. Fakt ist: Die möglichen Vermarktungsmodelle zur Entlastung der Stromkunden müssen bekannter gemacht werden. Das ist auch Aufgabe der Medien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku