E-Scooter in Deutschland: Elektrisch, handlich – und gefährlich
Ab dem Frühjahr sollen auch in Deutschland mit Strom betriebene Tretroller erlaubt sein. Die Scooter bringen neue Unfallgefahren.
Touristen und Geschäftsleute nutzen inzwischen rund 2.800 Geräte vor allem rund um die Altstadt. Man kann sie bei vier Anbietern mieten. Auch hierzulande warten Mietrollerfirmen auf den Gesetzgeber: Der deutsche Anbieter Tier will bis zum Jahresende in 50 bis 100 Städten aktiv sein.
Bislang sind die Roller hier verboten, denn sie fallen nicht unter die bisher geltende Verordnung, die etwa den Betrieb von Stehrollern der Firma Segway regelt. Am Mittwoch brachte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) seine „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung“ durchs Kabinett, die den Scootern den Weg ebnen soll. Zustimmen muss noch der Bundesrat, Mitte Mai soll die Verordnung in Kraft treten.
Die günstigsten Modelle sind bereits ab rund 300 Euro zu haben, die Reichweite liegt meistens zwischen 15 und 30 Kilometern. Ökologisch dürften die Scooter wahrscheinlich auch noch sein. Das hängt natürlich vom Strommix ab – und davon, ob durch sie Fahrten mit Verbrennungsmotor ersetzt werden. Laut Untersuchungen ist jede vierte Autofahrt kürzer als zwei Kilometer.
Fahrradfahrer sind skeptisch
Während Scheuer die Scooter als „echte zusätzliche Alternative zum Auto“ sieht, ideal für die letzte Meile von der U-, S-Bahn oder Bushaltestelle nach Hause oder zur Arbeit, sind andere skeptischer: Der Fahrradclub ADFC warnt vor chaotischen Zuständen auf den ohnehin überlasteten Fahrradwegen – und fordert ein bundesweites Investitionsprogramm.
„Deutsche Radwege taugen nicht einmal für die sichere Abwicklung des vorhandenen Radverkehrs“, sagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Wenn nun „eine Welle von E-Scootern durch die Innenstädte holpert, werden wir sehr unschöne Szenen und viele Unfälle erleben“.
Burkhard Stork, ADFC
Andere warnen vor dem Gedrängel auf dem Bürgersteig. „Wenn E-Roller auf Gehwegen erlaubt werden, kommt es zu deutlich mehr Unfällen“, sagt Siegfried Brockmann, Unfallforscher vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungsindustrie. Wenn die E-Scooter mit höchstens 12 Stundenkilometern auf Gehsteigen fahren dürften, wären sie „mindestens doppelt soll schnell wie Fußgänger, deutlich schneller als Jogger“.
Das berge „erhebliche Gefahr und Benachteiligung für Fußgänger auf der für sie vorgesehenen und geschützten Fläche“, kritisiert Brockmann. Die Freigabe der Gehwege für Kraftfahrzeuge „wäre zudem ein hochriskanter Dammbruch“. Es kämen ja „noch weitere Gefährte auf uns zu: ‚One Wheeler‘, ‚Hoverboards‘ und andere Verkehrsmittel ohne Lenkstange wären dann kaum noch von den Gehwegen zu verbannen.“
Scheuer setzt sich über Expertenrat hinweg
Am Mittwoch warnte auch der Bremer Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne) vor der Freigabe der E-Tretroller für Gehwege. Vor allem bei Jugendlichen (sie dürfen ab 12 Jahren fahren) sieht er Gefahren. Konflikte seien „auch angesichts der Geräuscharmut der E-Roller vorprogrammiert“, sagte Lohse. Und warf Scheuer vor, sich über den Rat seiner eigenen Experten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hinwegzusetzen. Nach deren Gutachten habe die Nutzung von Gehwegen selbst bei nur 6 Stundenkilometern wegen des Konfliktpotenzials mit dem Fußgängerverkehr zu unterbleiben.
Es sind nicht nur die E-Scooter. Bei E-Fahrrädern kann man die Gefahren der neuen Mobilität bereits quantifizieren. 2018 starben 445 Radfahrer auf Deutschland Straßen, darunter 89 auf den sogenannten Pedelecs – 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Das kam nicht nur vom langen Sommer, es liegt auch am Boom der Elektro-Bikes.
Von den im vergangenen Jahr in Deutschland verkauften 4,2 Millionen Fahrrädern war jedes vierte ein Elektrorad. Unfallforscher Brockmann sorgt sich vor allem um die Senioren: Vielen bescheren die Pedelecs zwar eine viel größere Mobilität. Aber: Einige kämen nicht mit der Geschwindigkeit der Gefährte zurecht. „Das sind völlig neue Gruppen jenseits der 75, die wir vorher nicht hatten“, sagt Brockmann. „Die Beherrschung des Fahrzeugs ist in vielen Fällen nicht gegeben.“
Korrektur: gegenüber einer früheren Version dieses Beitrags wurde die Maßeinheit bei der Reichweitenangabe der Roller korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin