Doku zu EU-Asylpolitik: In die Wüste getrieben
Die BR-Doku „Ausgesetzt in der Wüste“ enthüllt die brutale EU-Abschottungspolitik. Ein eindrücklicher Film, der Europas Selbstbild erschüttert.
Notfalls müsse man auf die Flüchtlinge an der deutschen Grenze schießen, schlug die AfD-Politikerin Frauke Petry 2016 vor. Ihre Parteikollegin Beatrix von Storch legte bei Facebook nach und schloss auch Schüsse auf Frauen und Kindern nicht aus. Die Politik war empört ob dieser menschenfeindlichen Aussagen.
Zum Glück, möchte man meinen. Doch wer sich die heutige EU-Flüchtlingspolitik anguckt, kann die Empörung nur als eines bezeichnen: scheinheilig. Denn Europa schottet sich immer weiter ab, das Mittelmeer ist längst zu einem Massengrab geworden. In Tunesien, Mauretanien und Marokko herrscht ein brutales System, um die Flüchtenden auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten.
Dieses Vorgehen der afrikanischen Regierungen wird von der EU wissentlich mitfinanziert. Welche grausamen und tödlichen Folgen das hat, zeigt die BR-Dokumentation „Ausgesetzt in der Wüste“.
Der 50-minütige Film ist das Ergebnis einer Recherchekooperation von Spiegel, Washington Post, der Organisation Lighthouse Reports und anderen internationalen Medien. Sie haben mithilfe von Videos, vertraulichen Dokumenten und Gesprächen mit Polizist_innen, Diplomat_innen und Politiker_innen recherchiert, wie das System funktioniert.
Ohne Nahrung in die Wüste
Geflüchtete werden von tunesischen Streitkräften festgenommen und dann in der Grenzregion zu Libyen, einer Wüste, ohne Wasser und Essen ausgesetzt. Ihnen werden die Handys, Pässe und manchmal auch die Schuhe weggenommen, sie werden verprügelt, damit sie nicht zurück laufen können.
Viele der Flüchtlinge sterben in der Wüste, sie verdursten, verbluten oder sterben wegen der Hitze. Manche von ihnen werden von libyschen Milizen oder der Grenzpolizei „gerettet“. Wobei diese Rettung keine wirkliche ist, weil sie nicht selten in Internierungslagern oder im Sklavenhandel endet. Doch was hat die EU damit zu tun?
So einiges. Die EU-Kommissarin Ursula von der Leyen hat im vergangenen Jahr einen Deal mit dem tunesischen Präsident Kais Saied ausgehandelt: Die Regierung bekommt Finanzhilfen in Milliardenhöhe, dafür soll sie die Geflüchteten davon abhalten nach Europa zu kommen. Wie? Das wurde nicht näher definiert. Doch nicht nur das, die Recherchen zeigen, dass die tunesische Nationalgarde seit Jahren von der deutschen Polizei geschult und ausgerüstet wird.
Im Mai hatte die Regierung angekündigt, die Vorwürfe zu prüfen – eine Antwort ist sie bis heute schuldig. Und Tunesien ist hier nur ein Beispiel von mehreren.
Interesse bleibt aus
Ein Skandal könnte man meinen, doch obwohl die Recherchen schon seit einem halben Jahr bekannt sind, regt sich in der deutschen Öffentlichkeit nur wenig Interesse.
Und die deutsche und EU-Politik scheinen es auch mit dem Prinzip Augen-zu-und-durch zu probieren. Keine_r der angefragten Politiker_innen möchte in der Doku Stellung beziehen: weder Innenministerin Nancy Faeser noch Kanzler Olaf Scholz oder Ursula von der Leyen.
Der einzige, der sich zum Gespräch bereit zeigt, ist Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Auf die Frage, ob man wirklich mit Regierungen zusammen arbeiten wolle, die Männer, Frauen und Kinder in der Wüste verbluten und dehydrieren lasse, sagt er lediglich: „Es gibt keine Alternative.“
Und weiter: „An irgendeiner Stelle wird man klar sagen müssen, du darfst nicht einreisen. Es gibt für dich keine Perspektive in Europa.“ So habe das Tunesien-Abkommen zur Folge, dass heute weniger Menschen im Mittelmeer sterben würden.
Film gibt Geflüchteten ein Gesicht
Mit solchen zynischen Antworten sollte man weder die EU noch Deutschland davon kommen lassen. Doch dafür müsste die Gesellschaft hinschauen. Vielleicht kann die schwer verdauliche Doku ihren Dienst dazu leisten. Wer die kaum ertragbaren Bilder von Leichen und Menschen, die in der Wüste zusammen brechen oder ihre Wunden in die Kamera halten, einmal gesehen hat, wird sie nicht so schnell wieder vergessen.
Vor allem deswegen, weil der Film den Geflüchteten einen Namen und ein Gesicht gibt – sie aus der anonymen Masse herausholt. So wie Adam Ibrahim aus dem Sudan, der schon mehrfach in die Wüste an der tunesisch-libyschen Grenze ausgesetzt wurde. Ihm gehören die letzten Worte der Doku. Sie lauten: „Mein Ziel ist es, Europa zu erreichen. Solange ich leben, werde ich es versuchen.“
„Ausgesetzt in der Wüste – Europas tödliche Flüchtlingspolitik“ in der ARD-Mediathek
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