piwik no script img

Christian LindnerDie libertären Posterboys

Kommentar von Dirk Knipphals

Die FDP kratzt am Existenzminimum – der Fünfprozenthürde. Parteichef Lindner sieht das als dornige Chance und setzt auf irre Vorbilder wie Elon Musk.

Radikalreformerischer Posterboy: Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

W ie lautete nochmal die Zahl, die Guido Westerwelle stolz auf seinen Schuhsohlen präsentierte, als er einmal tatsächlich als Kanzlerkandidat der FDP auftrat? Eine 18 war’s. So viel Prozent wollte der damalige Parteivorsitzende bei der Bundestagswahl 2002 holen.

Lange her. Gegenwärtig kämpft sein Nachfolger Christian Lindner mal wieder mit der Fünfprozenthürde und um sein eigenes politisches Überleben. Doch so sehr Lindners Satz, man solle in Deutschland „ein kleines bisschen mehr Milei und Musk wagen“, gerade in linken Kreisen für Empörung sorgt: Vorfreudig abschreiben sollte man die Liberalen noch nicht.

Lindner spekuliert vielmehr darauf, die Fans disruptiver Politik um sich zu versammeln – gegen den Gemeinsinn, freie Fahrt für freie Bürger. Und das könnte aus seiner Sicht klappen, vorausgesetzt, die FDP übersteht die aktuelle Krise.

Den Kampf um die Zweistelligkeit hat Lindner sowieso längst aufgegeben. Die FDP kämpft als Klientelpartei. Das heißt aber, selbst wenn 94 Prozent aller Wäh­le­r*in­nen jetzt empört aufschreien (real werden es weniger sein), kann Lindner das egal sein. Ihm reichen die verbliebenen 6 Prozent, die sich umso entschlossener um die FDP scharen.

Liberalismus kein exklusives FDP-Produkt mehr

Die FPD hat das strukturelle Problem, dass alles, was gut am Liberalismus ist, längst in die Gesellschaft und die anderen Parteien eingewandert ist: der Kampf um Menschenrechte sowie die Emanzipation von den Autoritäten wie Staat, Kirche und Traditionen.

Bei der FDP bleibt hängen, was fragwürdig am Liberalismus ist: ein Menschenbild, das den Einzelnen nicht als sozial Gewordenen begreift; Ablehnung von gesellschaftlichen Aushandelsprozessen; Recht des Stärkeren. Kurz, genau das, wofür der argentinische Präsident Javier Milei und der Tech-Milliardär Elon Musk stehen.

Sie als radikalreformerische Posterboys hinzustellen, bedeutet vor allem dies: Der Wahlkampf um disruptive Politik ist jetzt eröffnet. Es wäre für linke und linksliberale Menschen unklug, zu glauben, dass sie ihn von vornherein gewonnen haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Literaturredakteur
Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).
Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Aufrichtige Demokraten stemmen sich gegen den allgegenwärtigen Rechtsruck, und Lindner möchte „ein kleines bisschen mehr Milei und Musk wagen“. Frei nach dem Motto "ein kleines bisschen Zündeln wird ja wohl noch erlaubt sein".



    Lindner ist ein Brandstifter, und ich fürchte, er wird sowohl genügend Gehilfen als auch Biedermänner finden, um weiter sein Unwesen zu treiben.

  • Ob die politischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten Umweltschutz und Armutsbekämpfung auch so libertär daherkommen wie Milei, Musk und Lindner?



    Die Disruption wird es eher nicht. Das werden die Posterboys früher oder später auch merken.

  • Wer soll dieser Partei noch irgendetwas glauben ?

    Statt selbstbewußt unter dem früheren Parteimotto ”Lieber nicht regieren, als schlecht regieren” aus der Koalition auszusteigen, wird diese lächerliche Inszenierung, durchgezogen, damit der Bundeskanzler Lindner entläßt und den “schwarzen Peter” hat für das Ende dieser unseligen Koalition.

    Und als Folge dessen tritt de rampelkritische Djir-Sarai zurück, und der Ampel-Fan Buschmann übernimmt seinen Posten.

    Soll der jetzt die nächste Ampel vorbereiten ?

    Dazu paßt, daß ampelkritische Bundestagsabgeordnete wie Katja Adler aus Hessen bei der Listenaufstellung durchfallen, währen ein ministerieller Totalausfall und Ampel-Fan wie Frau Stark-Watzinger Spitzenkandidatin wird.

  • Wie wäre es, diese Minipartei, von der so viele Karrieren bei der SPD und den Grünen abhingen, einfach einmal zu ignorieren ? Auch wenn wir sie nicht ganz tot schweigen können, weil Springer hinter ihr steht und immer wieder einmal versucht, zu spalten (HZ-Gesetz), so ganz werden Kubicki und Mitstreiter nicht aus der Welt zu bekommen sein, aber so werden diese Typen doch nur ständig in ihrer Bedeutung überhöht.

  • Ob Lindner wirklich Milei und Musk als Vorbilder ansieht und eine "disruptive Politik" will, heimlich unter der Bettdecke Murray Rothbard liest? Oder ist das bloß wahltaktische Anbiederung an libertäre Geister? Oder ist er gar unter Druck nur einmal mehr rhetorisch ausgerutscht? Wenn man nur wüsste, ob er noch Herr seiner Sinne und Worte ist.

  • Der Liberalismus war in der Deutschen Bundesrepublik noch nie ein Exklusives Angebot der FDP. Alle Parteien abgesehen vielleicht von AfD, Die Linke und BSW sind durch und durch liberal gewesen, was den Spielraum des Sagbaren aber recht klar festgesetzt hat.

    Nun will Lindner sich auf liberale Ursprünge besinnen und die Säge am sozialliberalen Zeitgeist ansetzen. Wird ein spannendes Experiment, hat in der Vergangenheit so lala funktioniert aber als Experiment durchaus interessant.

  • Immer wenn man denkt blöder geht es nicht, wird noch einer draufgesetzt. Hat FDP-Spender Carsten Maschmeyer keine Zeit? Lindner und Maschmeyer währen doch so ein richtiges Ekel-Dream-Team.

  • Lindner ist schlicht und ergreifend der Typ verwöhntes Einzelkind. 🤷🏼‍♂️

  • Bravo Lindner! Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass du es schaffst, mich NOCH mehr vor deiner Person ekeln zu machen. Mit Milei & Musk hast du’s aber doch geschafft.



    Was bzw. wer (un)wohl als nächstes/nächster auf deinem Weg ins Unter-Unterirdische kommt...?

    • @Ardaga:

      „dass du es schaffst, mich NOCH mehr vor deiner Person ekeln zu machen. "



      Ekeln? Empörung [Knipphals]? Nein. Dafür reicht es nicht.



      „Mein Abscheu wird durch i h n vermehrt..."



      --



      Unterirdisch? Wer weiß. Vielleicht berät ihn ja der Fürst der Finsternis...



      „Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.



      O glücklich der, den ihr belehrt!



      Fast möcht’ ich nun Theologie studiren." (Goethe, Faust I)



      www.deutschestexta...fragment_1790?p=42



      --



      apropos Milei und Musk -



      Da dürften Thiel und Thelen



      nicht fehlen, die Seelen stehlen



      und aus dem Hintergrund befehlen.

      • @starsheep:

        Was Thiel & Thelen betrifft: diese Anregung müsste wohl eher an Dirk Knipphals adressiert sein. Falls es sich um Auslassungskritik handeln soll.

        Und was den Rest betrifft, muss ich fragen, ob es nicht idem narzisstische Selbstinszenierung sei. Und das, wie mensch sehen kann, so drei bis vier mal täglich (allein in der taz-Kommune)...

  • Lindner kann sich ja mal bei Trump bewerben. Narzissmus und Faktenleugnung stehen bei ihm hoch im Kurs.

  • Ich denke eher, dass das Problem ein anderes ist, es betrifft nicht den Liberalismus, es betrifft Lindner. Lindner war wahrscheinlich nie ein Liberaler, im ideellem Sinne, viel mehr war er schon immer ein Typ Investmentbanker und Versicherungsmakler, mehr Schein als sein, die liberale Fassade vom Typ: keine Regeln für mich.



    Die Aktentasche in der Schule, weil es (vermeintlich) cool aussah, nicht weil er sie brauchte...



    Es ist folgerichtig, dass sich Lindner jetzt radikalisiert, es geht ihm nur ums Durchkommen, nicht um Überzeugung.



    Das erstaunliche ist, dass diese Partei, so jemanden im Amt belässt. Jemand, der die Partei so in die Enge manövriert hat, dass sie (aktuell) nicht mehr existent ist. Anscheinend, ist die fdp mittlerweile mehrheitlich von Aktenkoffersimulatenten durchsetzt und weniger von irgendwelchen Menschen mit liberalen Ideen.

    • @nutzer:

      Mein Eindruck ist auch der, dass Lindner einfach seinen trotzigen Egotrip (früher wurde er ausgelacht, weil er ein Dampfplauderer mit Köfferchen war) durchzieht, dafür hat er die einst in Teilen liberale Partei FDP in seine libertäre Schaltzentrale umgebaut.

      Hinter sich her zieht er eine Schneise der Zerstörung, die sieht er aber nicht, weil er nur sich selbst wahrnimmt. Und die ihn umgebenden Parteimitglieder wollen nur ein paar Krümelchen vom Kuchen haben, denen sind das Land, die Demokratie und die Menschen insgesamt verdammt egal.

      Leider gibt es tatsächlich zu viele Egotripper, die Chrissi Lindner so richtig geil finden und ihn für seinen Zerstörungstrip wählen werden.

  • Danke. Korrekt. So isset •

    “ Christian Lindner



    Die libertären Posterboys“



    &



    kurz - Früh krümmt sich - was ein Häkchen werden will! 🪝



    Christian Lindner in 1997 - Reaktion auf alte sternTV Doku | Finanzfluss Twitch Highlights -



    www.youtube.com/re...y=lindner+stern+tv

    Die Posterboys - in ewig kurzen Hosen! Woll



    2017 “… Stern TV gezeigt. Lindner äußerte darin den Leitspruch „Probleme sind nur dornige Chancen“, der seither häufig zitiert wurde.…



    m Mai 2000 gründete Lindner zusammen mit drei weiteren Partnern die Internetfirma Moomax GmbH. An dieser Firma beteiligte sich der Risikokapitalfonds Enjoyventure. Lindner war von 2000 bis 2001 Geschäftsführer; nach knapp einem Jahr mussten Lindner und Knüppel gehen – „zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens“, wie Moomax schrieb. Wenig später war Moomax bankrott: …



    Die KfW hatte laut Enjoyventure 1,2 Millionen verloren; die investierende Bank war mit einem sechsstelligen Betrag beteiligt, und gegen sonstige Forderungen von 172.338 Euro standen nur noch Vermögenswerte von 15.339 Euro …



    Ich habe zwei Unternehmen gegründet. Das eine war erfolgreich – und das andere war lehrreich“



    Rotzlöffel •

  • Die FDP wird immer da sein. Habe schon mal gefeiert, als sie aus dem Bundestag geflogen sind, und 4 Jahre später waren sie halt wieder da. Die haben ihre Unterstützer, anders kann man sich das größenwahnsinnige Auftreten auch gar nicht erklären.

  • Das Problem von Lindner,:Rechtspopulisten gibt's schon in Deutschland, der Unsinn, den er hier verzapft verschreckt die Hoteliers und Apotheker, die das Stammklientel der Liberlane bilden. Überdrehte Krawallmacher, Markt ohne Kontrolle, Sozialdarwinismus in krudest-empathieloser Form ist nichts für dieses Publikum, da sollte der Chrissie mal das AfD-Parteibuch beantragen.

  • Tja, das stimmt, 95% der Bevölkerung können der Pseudopartei FDP völlig egal sein. Das praktizieren die ja schon lange. Dieses ganze Theater um den Egomanen Lindner und seine (oh nein, das schreibe ich nicht: Etikette!!) hat aber die Chance, dass es 96% der Bevölkerung sind, denen dieser Lobbyverein wurscht ist....

  • Nachdem sich in sehr vielen Ländern die Musks und Trumps durchsetzen, wird das vermutlich auch in Deutschland so kommen. Dann hat Lindner Oberwasser.

  • Nicht, daß ich Fan der Lindner Truppe wäre, aber man kann und sollte die Unterscheidung zwischen libertär und liberal aufrecht erhalten. Milei, Musk, Thiel sind reiche Egomanen, die das Recht einfordern schrankenlos agieren zu können, weil es ihnen nützt.



    Ganz so tief sind auch deutsche Liberale hoffentlich noch nicht gesunken.

  • Natürlich müssen Lindner und Konsorten politisch noch nicht ganz am Ende sein. Solange es gelingt noch in irgendein Parlament einzuziehen, können sie ihr disruptives Werk fortsetzen. Ob Deutschlands Wähler sich schon auf so selbstmörderische Wahlen wie die von Mileis Ideologie einlassen würden darf bezweifelt werden. Zugut sind sie mit der sozialen Marktwirtschaft gefahren. Aber die Disruptiven liegen auf der Lauer. Jedoch ist erstmal jetzt allen klar: Lindner und Konsorten haben mit der sozialen Marktwirtschaft nichts mehr am Hut. Sie wollen sie zerstören.

  • "Die Dosis macht das Gift"

    Das wusste schon Bombastus von Hohenheim, bekannter als Paracelsus.

    Und so eine kleine Dosis FDP wird unsere Dekomkratie schon vertragen.

    Sofern sie kleiner ist als fünf Hundertstel.

    Alles darüber führt zu Organversagen.

  • 》Wie lautete nochmal die Zahl, die Guido Westerwelle stolz auf seinen Schuhsohlen präsentierte, als er einmal tatsächlich als Kanzlerkandidat der FDP auftrat?《

    Die 18 geht auf Möllemann zurück

    》[Die FDP] war sowohl bei derEuropawahl am 13. Juni 1999als auch bei den meistenLandtagswahlen 1999an derFünf-Prozent-Hürdegescheitert. Die Partei war damit nur noch in 4 der 16 deutschen Landtage vertreten. [...] Im Wahlkampf [NRW 2000] wurde durch die „mediale Vermittlung von Emotionen und diffuserRessentiments… die FDP zu einerProtestparteiähnlich der FPÖ … und Möllemann zu einemVolkstribunnach Art vonHaider“[4]stilisiert. Der Wahlerfolg veranlasste Möllemann, ehrgeizigere Ziele für die Bundes-FDP zu propagieren. Die Verwendung der Zahl 18 wurde verschiedentlich auch alsrechtsextremes Symbolaufgefasst, da dies ein in der Neonazi-Szene gängiger Code für die Initialen Adolf Hitlers (der 1. und 8. Buchstabe des Alphabets) ist《

    (Wikipedia (unter Verwendung eines Zitats aus Udo Leuschner:Die Geschichte der FDP. Metamorphosen einer Partei zwischen rechts, sozialliberal und neokonservativ) de.m.wikipedia.org/wiki/Strategie_18

    (Partei)geschichte wiederholt sich...

  • ...alles, was gut am Liberalismus ist, längst in die Gesellschaft und die anderen Parteien eingewandert...



    Das ist leider völlig falsch. Deutschland ist völlig überreguliert und anders als in Griechenland droht es hier auch immer, dass die Regularien durchgesetzt werden.



    Es sollen nur Handwerker von der Stadt beschäftigt werden, die 15 Euro Mindestlohn zahlen? Tolle Idee, aber die Umsetzung verlangt bereits bei der Ausschreibung den Nachweis, dass die 15 Euro gezahlt werden. Und was ist, wenn eine 10 Stunden - Aushilfe für einen Hifi-Job 13 Euro bekommt? Die Facharbeiter aber 20 Euro? Und immer schon an die Nachweise denken...

    Es ist wichtig, wieder davon runter zu kommen alles mit Bürokratie zu lösen. Es muss wieder mehr Eigenverantwortung her. Mehr Wille und Weg. Weniger Mauern.

  • Boah der Lindner der geht voll auf Aggro. Hoffe mal, der hat keinen Erfolg, Wähler mit ewig wachsendem Wohlstand und null staatlicher Regulierung zu ködern.