Diktatur in Nicaragua: Ortega bürgert Kritiker aus
Insgesamt 94 Gegner der nicaraguanischen Regierung unter Daniel Ortega werden ausgebürgert. Darunter auch der Schriftsteller Sergio Ramírez.
Richter Ernesto Rodríguez Mejía vom Berufungsgericht in Managua verlas am Mittwoch eine Resolution, mit der die 94 namentlich aufgezählten Personen zu „Vaterlandsverrätern“ und gleichzeitig Justizflüchtlingen erklärt wurden. Sie befinden sich allesamt im Exil in den USA, Costa Rica oder Europa. Die Ausbürgerung geht Hand in Hand mit der Beschlagnahme sämtlicher Immobilien und allfälliger Unternehmen, die auf ihren Namen eingetragen sind.
Die Maßnahmen, so der Richter, dienten dem Zweck, „den sozialen Frieden, die Rechtssicherheit, Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung des Staates Nicaragua und im Besonderen den Schutz der nicaraguanischen Gesellschaft zu garantieren.“ Ohne auch nur ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit vorzutäuschen, erklärte das Gericht die Angeklagten in Abwesenheit pauschal der „Schädigung der nationalen Souveränität in Tateinheit mit der Verbreitung falscher Nachrichten“ für überführt. Die Ausbürgerung als Folge strafrechtlicher Verurteilung war letzte Woche von der Nationalversammlung durchgewunken worden.
Staatenlos ist auch Bischof Rolando Álvarez, der sich am 9. Februar der Abschiebung widersetzte und tags darauf in einem Schnellverfahren zu 26 Jahren und vier Monaten verurteilt wurde.
Viele ehemalige Mitstreiter unter den Ausgebürgerten
Silvio Báez, einer der prominentesten Kritiker des Präsidentenpaares Daniel Ortega/Rosario Murillo, der vor vier Jahren nach Morddrohungen vom Papst aus der Schusslinie genommene und in eine Pfarre in Miami versetzte Weihbischof, findet sich ebenso auf der Liste, wie die Menschenrechtsanwältin Vilma Núñez, die in den 1970er Jahren sandinistische Gefangene vor den Tribunalen der Somoza-Diktatur verteidigte.
Luis Carrión saß einst mit Daniel Ortega im neunköpfigen Nationaldirektorium, dem Zentralkomitee der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN. Monica Baltodano war Comandante der Revolution und wandte sich später von Ortega ab.
Der Universitätsprofessor und Freiheitskämpfer Moisés Hassan war einige Monate Mitglied der Revolutionsjunta, Carlos Fernando Chamorro leitete während der Revolutionsdekade das FSLN-Parteiorgan Barricada und gibt jetzt im Exil das online-Magazin Confidencial heraus. Der Bannstahl der Ortegas traf auch seine Ehefrau Desiree Elizondo.
Eine juristische Monstrosität
Von Sippenhaftung betroffen ist auch Berta Valle, die Ehefrau des Präsidentschaftsaspiranten Félix Maradiaga, die schon seit mehreren Jahren im Exil lebt.
Außer ehemaligen Comandantes und hohen Funktionären, die sich irgendwann dem autoritären Allmachtsanspruch Daniel Ortegas nicht mehr unterordnen wollten, enthält die Liste prominente Presseleute, Geistliche, Intellektuelle und Aktivisten, die während des Volksaufstandes 2018 an den Barrikaden gestanden sind.
In Juristenkreisen wird die Express-Ausbürgerung als juristische Monstrosität gesehen. Sie widerspricht nicht nur der von Nicaragua ratifizierten Konvention zur Verringerung von Staatenlosigkeit aus dem Jahr 1961, sondern auch der nicaraguanischen Verfassung, wie die Politologin und Historikerin Lilly Soto Vásquez in einem Kommentar nachweist.
Brian Nichols, Staatssekretär für die Westliche Hemisphäre im US-Außenministerium, bedauert den Schritt in einem Tweet: „Dieser beklagenswerte Akt entfernt die nicaraguanischen Staatsbürger noch weiter von der Demokratie, die sie verdienen.“ Das UN-Menschenrechtsbüro (Oacnudh) spricht in einer ersten Reaktion von einer „willkürlichen Entscheidung.“
Mehrere der Betroffenen zeigten sich in den sozialen Medien unbeeindruckt, wie der Ex-Staatsanwalt Yader Morazán: „Mich überrascht nicht die Lächerlichkeit von Rosario (Murillo, Ehegattin von Ortega und Vizepräsidentin, Anm.), sondern die Rolle, die die Pseudo-Richter spielen.“ Er weist darauf hin, dass Gesetze keinen rückwirkenden Charakter haben und es keine Verurteilung ohne Prozess geben kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“