Die steile These: Techno muss sterben
Elektronische Tanzmusik begleitet heute vor allem das Ballern synthetischer Drogen. Die Szene ist alt und reich geworden. Also: Geld raus, Bass rein.
S chaut man sich die Vitalfunktionen von Techno an, ist nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen, ob der Spiegel noch beschlägt, wenn man ihn dem Patienten vor Mund und Nase hält. Die Speerspitze in der Soundforschung ist elektronische Tanzmusik jedenfalls schon länger nicht mehr. Die alle sozialen Schichten umspannende Jugendkultur dieser Tage heißt Rap.
Die meisten Techno-Vergnügungsstätten dieser Welt bieten einen Soundtrack, der allenfalls das Ballern synthetischer Drogen schwungvoll begleitet (statt umgekehrt) und bei dem sich Drinks in Plastikbechern zügig über den Tresen schieben lassen. In den Strandclubs von Tulum, dem Festival in der Wüste Nevadas, den Bruchbuden-Clubs in Berlin hat sich ein Schunkelsound durchgesetzt, zu dessen Highlights gehört, wenn mal ein Beatles-Refrain ertönt. Zergliedert ist die Szene, größtenteils alt geworden. Reich. Eine Bluttransfusion könnte nicht schaden. Aber vielleicht muss Techno auch einfach sterben.
Wie schlecht es um ihn steht, wurde am Montag deutlich, als Dr. Motte in einem tristen Einkaufszentrum in Berlins Mitte verkündete, er wolle die von ihm jahrelang mitorganisierte Loveparade wieder aufleben, nebenbei Techno zum Weltkulturerbe erklären und auch noch einen Feiertag einrichten lassen. Gerne sogar international. Viel institutioneller kann eine ehemalige Jugendkultur kaum noch werden.
Hinter dem heute 60-jährigen DJ, der in den letzten Jahren immer mal wieder mit Aussagen auffiel, die auch von Reichsbürgern oder Rechtsextremen unterstützt würden, stehen als Gesellschafter ein paar Geschäftsleute, die sonst im Consulting, in der Baubranche oder Immobilienentwicklung aktiv sind, aber auch am DDR-Museum oder einer Ausstellung über die wilden 90er in Berlin mitwirken. Es ist deswegen nicht so ganz klar, warum die gemeinnützige GmbH „Rave the Planet“ mit Crowdfunding finanziert werden soll.
Im Mainstream angekommen
Nun stellt sich natürlich zuallererst die Frage, ob man das Thema Parade überhaupt nochmal aufbringen muss, nachdem auf der (bisher) letzten Loveparade vor zehn Jahren in Duisburg 21 Menschen zu Tode kamen. Aber Techno, das ist heute eben etwas recht Nostalgisches: Vor der Fotogalerie C/O Berlin bildeten sich im vergangenen Herbst lange Schlangen vor der Ausstellung „No Photos on the Dancefloor“.
Viele kamen sicherlich, um auf den Bildern aus 30 Jahren Berliner Technokultur sich und andere bekannte Gesichter zu sehen, weniger weil sie sich für Kunst interessierten. Denn im Club begegnen sie sich schon länger nicht mehr: die, die damals Techno mitgegründet und -gefeiert haben, sind heute alt, treffen sich mit Kunstsammlern, leiten konservative Zeitungen oder verbringen den Winter mit Ayahuasca-Ritualen in Peru.
Elektronische Musik ist also längst im Mainstream angekommen. So sehr, dass ein gesetztes Feuilleton, konkret das der Süddeutschen Zeitung, das komplette Set – also die Liste der einzelnen Lieder – eines House-DJ abdruckt in dem Glauben, es gäbe da einen Mehrwert für die Leser, der über das Nachgoogeln einzelner Songs hinausgeht, und ignorierend, dass ein DJ-Set nur über die Ohren erlebbar ist (für gehörlose Menschen natürlich auch über die Vibration des Basses.)
So sehr, dass selbst die CDU sich mittlerweile für den Erhalt der sogenannten Clubkultur einsetzt, weil auch sie erkannt hat, dass ein funktionierendes Nachtleben ein Standortfaktor ist, der Touristen anzieht, die allein Berlin angeblich 1,48 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Das zumindest will der Berliner Wirtschaftsverband der Clubbetreiber, die Clubcommission, errechnet haben.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
In Clubs werden mittlerweile Ausschusssitzungen von Bezirken abgehalten, weil die Politik Kulturorte schützen soll. Clubbetreiber starten Hashtag-Kampagnen namens #saveourspaces. Aber solange die Technoszene nicht kapiert, dass Clubsterben in Berlin auch heißt: Verdrängung von Alten, Armen und Kleingewerbetreibenden aus den Kiezen – und somit etwas ist, was man gemeinsam mit anderen Initiativen, die nicht aus der Privatwirtschaft kommen, bearbeiten muss –, wird es schwer, den Endgegner zu besiegen.
Techno ist nicht die „Friede, Freude, Eierkuchen“-Familie, in der sich alle Menschen der Welt Schulter an Schulter an der Hitze ihrer Ecstasy-Tablette aufwärmen. Da streitet das Berghain vor Gericht um den zu zahlenden Mehrwertsteuersatz, da werden Clubs für große Firmenevents vermietet oder lassen sich von der Europäischen Union für eine „European Clubnight“ vor den Karren spannen. „Das Tanzen zu elektronischer Musik verbindet Geschlechter, Generationen, Nationalitäten, Religionen und soziale Schichten“, heißt es zwar in altbekannter Selbstüberhöhung in der Erklärung von Motte und seinen Gesellschaftern, warum Techno Weltkulturerbe werden müsse.
Glatzköpfige Proll-Raver
Doch da muss man leider sagen: Leute, die nicht weiß sind, haben es immer noch schwerer an den Clubtüren. Und es mögen Menschen aus unterschiedlichen Schichten zu elektronischer Tanzmusik tanzen – aber die Überschneidung von Millionären, die in Ibiza in Clubs mit dreistelligem Mindestverzehr tanzen, mit glatzköpfigen Proll-Ravern ist doch recht gering.
Wenn also Techno und Co. wieder zur vitalen, kreativen Kultur werden soll, die sie in ihrem Selbstverständnis ja immer noch ist, müsste sich die Szene mal gesundschrumpfen: raus mit den Parteien aus den Clubs, raus mit den Wirtschaftslobbyisten, weg mit DJs, die haupt- oder nebenberuflich ein Influencer-Leben führen und für Autos und Luxusmode Werbung machen. Weg mit den All-inclusive-Festivals, die ein paar hundert Euro Eintritt kosten und vor allem den internationalen Rave-Jetset beglücken. Weg mit dem idealisierten Überbau von Love und Peace und Harmony.
Also: Geld raus, Bass rein. Dann schlägt das Herz vielleicht mal wieder mit 128 bpm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann