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Deutschland ist rückständigSOS aus unterentwickelter BRD

Korrupte Parteien, streckenweise kein Internet, unzivilisiertes Verhalten. Deutschland ist ein Entwicklungsland.

Deutschland: rückständig nicht nur in der Mode Foto: Sebastian Kahnert/dpa

D ie Info mag Sie erstaunen, schließlich besitze ich ein iPhone, lebe nicht in Armut und darf Kolumnen schreiben. Das sind vielleicht weit verbreitete Vorurteile gegenüber Menschen, die dort leben, aber ich komme aus einem Entwicklungsland. Nach außen weckt der Begriff irgendwie Mitleid. Doch für uns ist es harmloser. Wir sind gut darin, viele schlimme Dinge gleichzeitig zu verdrängen.

Zum Beispiel eine korrupte Regierungspartei. Die Lobbyismus-Affäre um Philipp Amthor und die Maskenaffäre sind nur zwei Beispiele aus einer unübersichtlichen Liste. Doch Proteste bleiben aus, so normalisiert ist das hier. Inkompetente Politiker_innen, die auf unseren Nacken Profit machen, wirken sich auf das grottige Pandemiemanagement aus.

Wüsste maus es nicht besser, würde maus meinen, dass es sich um ein Land ohne Geld, ohne Bildung, ohne Wissenschaftler_innen, ohne Nachrichtenempfang fürs globale Weltgeschehen handelt. Besonders zivilisiert sind wir auch nicht. Basics wie Händewäsche, Abstand einhalten und Kommunikation ohne passiv-aggressive Ausschweifung ist noch nicht mehrheitsfähig.

Unsere Rückständigkeit ist bereichsübergreifend. Die flächendeckende Einführung der Kartenzahlung läuft schleppend, es ist, als gäbe es diese Innovation erst seit zwei Jahren. In manchen Bundesgebieten gibt es nicht mal richtigen Telefon- oder Internetempfang. Mit der Fashion brauchen wir gar nicht erst anzufangen, viel erwarten darf maus da eben nicht: Ist halt Deutschland. Das wirkt sich nicht nur auf den Lifestyle aus, sondern auch auf die Diskurse. Gefühlt hat der Rest der Welt sein Abitur abgeschlossen, wo Deutschland die Vorschulklasse zum dritten Mal wiederholen muss.

Sind die Deutschen hängengeblieben?

Liegt es am System oder sind die Leute einfach hängengeblieben? Umfragen wie die Mitte-Studie lassen in den Abgrund gesellschaftsfähiger Haltungen blicken, wenn es um Themen wie Menschenfeindlichkeit, Demokratie und Rationalität geht. Die Feindseligkeit gegenüber marginalisierten Gruppen spiegelt die Kriminalstatistik. Jeden dritten Tag gibt es einen Femizid, 2020 registrierte das BKA rund 23.400 Straftaten aus dem rechten Spektrum.

Um die Meinungsfreiheit steht es kritisch: Ein rechter Mob schaffte es, ein harmloses Kinderlied vom WDR entfernen zu lassen. Antifaschistischer und feministischer Protest wird von der Polizei gewaltsam bekämpft. Die Anti­faschistin Lina aus Leipzig sitzt seit Monaten mit fragwürdiger Beweislage in Untersuchungshaft – eine typische Einschüchterungsmaßnahme gegen Linke, die sich etwa 2017 nach den G20-Protesten zeigte.

Selbst online erfahren Akteur_innen Gewalt. Überlebende sexualisierter Gewalt tragen häufiger Konsequenzen als die Täter_innen. Nicht mal legal abtreiben dürfen wir. Verzweifelt winken wir in Richtung USA. Joe, Kamala, könnt ihr nicht eure Leute herschicken und uns durchimpfen, durchdemokratisieren und durchmodernisieren?

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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18 Kommentare

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  • Liggers. Was dran. May be. But. 🇺🇸 - ? -



    Leonhard Cohen - Democracy - 🤫 -



    m.youtube.com/watch?v=DU-RuR-qO4Y



    Vllt - “mal wieder ein Punkt - bei dem ich falsch lag“¿ - … ich frag ja nur.

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - wirft ein:

      “ Ddigitales Entwicklungsland

      Ein Land, in dem eine Partei "B90/Die Grünen" aktuell die Pole Position besetzt, kann kein Entwicklungsland sein. Und: Digitales Entwicklungsland? Ach was! ( © Opa Hoppelstedt). In zwei Jahren haben wir an jeder Milchkanne mobiles 5G-Netz. Dann können all die schönen Glasfaserkabel, die zur Zeit noch verbudelt werden, wieder ausgegraben werden und in den Kongo verkauft werden. Ist schließlich Hai-Tech.







      "Die flächendeckende Einführung der Kartenzahlung läuft schleppend, " Maus hätte ja nicht so ruppig mit Wirecard umgehen müssen... Tilt.“

  • Seufz. Muss der Autorin Recht geben. Ja, wir leben in einem Entwicklungsland. Und „entsetzlicher Weise“ halte ich das für gut so. Für mich ist es o. k. in diesem „Entwicklungsland“ zu leben. Obwohl ich z. B. und u. a. einen seiner sehr unangenehmen Regierungsbezirke kenne. „Hartz IV-Land“ mit fast konstant sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fast über die „Laufzeit“ der Agenda 2010 hinweg.



    Unsere „entsetzlich“ stabile Demokratie umfängt uns alle mit ihrem bleiernen Nebel? Oh ja, diese Atmosphäre ist oft fast erdrückend. Lastet auf der Brust und macht das Atmen schwer. Doch Stabilität bedeutet in der Demokratie immer Dynamik. Muss man verstehen. Demokratie ist immer Prozess. Ist immer das in Freiheit ausloten können einer Verfassungswirklichkeit hin auf ihren Horizont. (Meine mich so jedenfalls an eine Schrift von Oskar Negt erinnern zu können.) Es ist immer viel zu tun und immer gibt es viele Diskurse und Streit darüber: Was ist möglich? Was sind die Möglichkeiten der Freiheit – angesichts der sich immer im Wandel befindlichen Lebensumstände, Lebensbedingungen einer Gesellschaft.



    Eine Demokratie ist immer „Entwicklungsland“. Ich denke fast, sie kann gar nicht anders, als so sein, ohne sich selbst aufzugeben. Ich finde diese „Entwicklungsmodell“ richtig. Folglich muss nach den Entwicklungsständen, Entwicklungszielen gefragt werden, s . o. Das müssen wir selber machen. "Höhere Wesen", ob sie Joe, Kamala oder sonst wie heißen, werden uns nicht retten. Unsere Tribunen m/w/d müssen wir aus unseren Reihen schon selber wählen – und ihnen notfalls auf die Finger klopfen. Und Demokratie hat neben vielen anderen den enorm fortschrittlich-menschlichen Vorteil, Tribunen durch Abwahl wieder los werden zu können. Andere Systeme sehen für das „Los-werden“ z. B. Köpfen oder Verbannung vor. Bitte bedenken! Seufz.

  • Man gucke sich die Geschichten des Wilhelm Busch an — und findet sich in den Figuren ganz gewiss wieder: „Max und Moritz“, „Fipps, der Affe“, „Die fromme Helene“, „Plisch und Plum“, „Hans Huckebein, der Unglücksrabe“, „Herr und Frau Knopp“, „Maler Klecksel“.

  • Also, manchmal hilft es ja zwischendurch mal die Schuhe auszuziehen - und Hühneraugenpflaster drauf. Das hat schon so manche miese Laune deutlich verbessert. Und öfter mal Lüften sollte man ja sowieso, gell.

  • Mich würde eine Liste der Länder interessieren, wo es deutlich besser läuft.



    Damit man Vorbilder hat oder so.



    Sonst bleibt das alles so im ungefähren Nicht-gut-finden...

  • Es ist doch ganz einfach: Jeder (besonders, wenn er weiß und cis ist oder hetersosexuell, ihr wisst schon - irgendeiner "Mehrheit" angehört), sollte lernen, sich selbst zu hassen. Dafür gibt es viele Gründe und immer mehr Menschen entdecken als einfachsten Grund ihre Nationalität. Das ist nicht nur in Deutschland so, das weitet sich immer mehr aus. Wenn man Deutscher ist (oder von anderer Staatsangehörigkeit eines Landes ist, in dem man lebt) und seine Regierung hasst, warum sollte man das nicht einfach auf sich selbst ausweiten und dann auch seinen Kindern und ggf. Freunden beibringen?



    Es würde alles so viel einfacher machen.



    Wir müssten uns nicht mehr verteidigen. Wir müssten nicht mehr dafür kämpfen, dass alle Menschen Respekt und Höflichkeit bzw. Freundlichkeit verdient haben. Wir müssten nicht mehr darauf hoffen, dass sich irgendwann alle Menschen respektvoll gegenüber anderen verhalten würden und man das als normal einfordern könnte.



    Wir könnten einfach ausruhen in dem Wissen, das wir einfach Hass verdient haben und damit beispielhaft schon mal bei uns selbst anfangen.



    Damit würde auch die trügerische Hoffnung auf ein besseres Zusammenleben endgültig vom Tisch sein. Hoffnungslosigkeit ist insofern positiv, als dass man nicht ständig vergebens auf etwas wartet. Selbsthass ist insofern positiv, als dass einen keiner, von dem man freundliches und respektvolles Verhalten erwartet hat, enttäuschen kann.



    Ich glaube, wir haben die Lösung unserer Probleme gefunden!!!

  • "Gefuehlt hat der Rest der Welt sein Abitur abgeschlossen..." - "gefuehlt" heisst soviel wie "ich habe nicht den geringsten Beweis dafuer, dass es so ist, aber es passt mir gerade in den Kram, so zu tun, als ob."



    Und angesichts (alles andere als idealer) hiesiger Zustaende bewundernd auf die USA zu schauen, ist entweder extrem naiv oder schlicht denkfaul.



    Zur Erinnerung: Kaum wurde der Moerder von George Floyd verurteilt, wurde schon der naechste unbewaffnete Schwarze von der Polizei erschossen. Ach ja, und jeden dritten Tag ein Femizid in Deutschland? Das übertrafen 2018 allein Texas und Kalifornien (jeder Staat fuer sich, versteht sich):

    www.statista.com/s...men-united-states/

    Von medizinischer Versorgung, Moeglichkeiten, legal abzutreiben und den aktuellen Corona-Zahlen will ich gar nicht reden.



    Aber vielleicht haben Joe und Kamala ja inzwischen ueber Nacht alles geaendert...

  • Seltsam, irgendwie hat man den Eindruck, es liefe anderswo alles optimal und soviel besser?



    War die Autorin schon mal in den USA, von wo ja die Hilfstrupen kommen sollen? Hat die sich DORT einmal die marode Infrastruktur angesehen?



    Damit werden noch einige Praesidenten zu kaempfen haben. Richtig GOLD gehts nur dem oberen Drittel der Amerikaner! Einen Urlaub zumindest empfehle ich der Autorin mal in der Tuerkei oder in Suedeuropa! Vielleicht weiss die dann eher zu wuerdigen, wie gluecklich sie sich, trotz vieler nicht zu bestreitender Maengel hier, schaetzen kann!



    Wenn also ALLES sooo Scheisse hier liefe, fragt sich die Autorin dann nicht, warum Deutschland ein solcher Sehnsuchtsort fuer viele Menschen ist?



    Und, kann sein, dass Bargeld irgendwo anachronistisch ist, leider ist es aber auch so, Tatsache ist aber auch, dass Plastikkarten das verschulden eher erleichtern!



    Echt, wie SATT ich es manchmal bin,nur Noergelei und Gemeckere von Frau Yagoobifarah zu lesen. DAS ist leicht...wie waere es stattdessen, sie käme auch mit einem konstruktiven Vorschlag um die Ecke?

    • @Wilmersdorfer:

      Na guck mal, es gab Zeiten, da hat sich Deutschland an der Weltspitze orientiert. Inzwischen also an den ärmsten Regionen Europas, der Türkei, sowie den unteren 10% der USA.

  • Nach Lage der Dinge, wird es wohl am Trinkwasser liegen. Zuviel Nitrat macht alle malade.

  • Ja, Bestandsaufnahme korrekt. Es fehlt allerdings die Betrachtung des Umgangs im Straßenverkehr.

  • Na, wie immer.

    Aber mit lustigem Ende. "Joe, Kamala, könnt ihr nicht eure Leute herschicken.. "

    um das US System hier einzuführen?

    Lebensmittelmarken für die rückständigen D?



    Hire und Fire, um mal ein wenig Schwung in den Arbeitsmark zu bringen.



    Um 10x mehr Leute in Gefängnisse einzusperren?



    Von Infrastruktur zu schweigen.

  • Stimme voll und ganz zu! aber den Blick über den großen Teich zu werfen, als ob es da besser wäre, finde ich falsch. Ideal isses nirgends, leider...

  • :-)

    99% Zustimmung. In den wichtigen Dingen wohl 100%.

    Ich sage immer: Korruption haben wir hier auch, sie tut nur nicht so weh wie "wo anders", weil hier die Ärmsten immer noch besser dran sind, als die Ärmsten "wo anders". In absolutem, noch wahrscheinlicher im Pro-Kopf-Volumen jedoch dürften wir fast Weltmeister sein.

    Auf wessen Kosten, ja: das wissen wir auch.

    Nur bei einem mache ich nicht mit. Bargeldlos. Nicht, solange die Alternativen alle so unappetitlich sind.

    • @tomás zerolo:

      ja, bargeldlos ist, für die Ärmsten der Bevölkerung eine ganz schlechte Idee , da sind Themen, wie gläserner Mensch schon eine Luxusdiskussion.



      Ich habe es in Schweden erlebt, was es für Flaschensammler bedeutet keine Karte zu haben. Das ist wie ein offizieller Armutsausweis.

      • @nutzer:

        Es ist für alle eine schlechte Idee.

        Wenn man mal das überwachungspotential aussen vor lässt, bedeutet Bargeld vorallem - Freiheit.

        Im Falle einer richtigen Krise wie Krieg, Bürgerkrieg, GAU, Naturkatastrophe kann man nichtmals die Familie ins Auto packen und flüchten(oder sich entsprechend eindecken mit Waffen, Lebensmitteln etc) da die Banken am Strom hängen und sowieso die Konten sperren.

        Und natürlich kann man sich gegen einen immer gierigeren Kapiralismus nicht mehr wehren, Stichwort Minuszinsen.

        Es ist in allen Ebenen schlecht, für die genannten Mittellosen, wegen den möglichen Bewegungs und Geldprofilen(Steuern, Stütze oder auch für Versicherung (zu schlecht Ernährt = Beiträge hoch)), wegen verschlechterter Flucht oder anderer Überlebensmöglichkeiten und wohl dem (gewollten...) Hauptproblem der völligen Auslieferung ans Finanz und Staatssystem. Fehlt dem Staat Geld, schwups, mal eben was einziehen. Fehlt der Bank die Dividende, schwups, mal eben die Minuszinsen erhöhen....

    • @tomás zerolo:

      "Der Deutsche" schreit ja immer auf und sagt - Korruption? Haben wa nich.



      Weil er denkt dabei an den 20er oder fuffi dem man dem Beamten mit in die Unterlagen legt.



      Das mag auch sehr weitgehend so richtig sein.

      Nur bei uns werden Millionen und Milliarden in Hinterzimmern verschoben, zwischen Politiker;innen, Konzernen, Reichen und Superreichen.

      Auch wenn die Anzahl der Delikte ehrheblich kleiner sein dürfte als in einschlägig bekannt korrupten Staaten, dürfte die Summe dem nichts nachstehen.



      Wenn nicht sogar die der 5-10 korruptesten Staaten dieses Planeten übersteigen...;)