Zuwanderung und Spracherwerb: Respekt vor dem Unperfekten!
Wer nicht perfekt Deutsch spricht, begegnet häufig Spott. Viel entscheidener als korrekte Grammatik ist, sich überhaupt verständlich machen zu können.
D as Niveau vieler Deutscher im Verständnis von Ausländer:innen, die die hiesige Sprache lernen, zeigt sich in den Chinesenwitzen: „Kommt ein Chinese in die Bäckerei und sagt: Ich möchte gelne ein Blödchen. – Die Verkäuferin: Kollegin kommt gleich.“ Harharhar. Beim Thema Spracherwerb werden wir dazulernen müssen, sonst wird das nichts mit der Erwerbsmigration, die wir so dringend brauchen.
In einer neuen Bertelsmann-Studie geben die Firmen Probleme an, die auftreten, wenn sie ausländische Fachkräfte rekrutieren. „Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten“ stehen ganz oben auf der Liste. Das Deutsche mit der komplizierten Grammatik und Aussprache, mit den Umlauten und Doppelkonsonanten ist in der Tat schwer zu erlernen, und das kann abschrecken.
Ausländer:innen, die hier leben und arbeiten, berichten aber auch, wie schnell sie von Deutschen von oben herab behandelt werden, wenn sie Artikel, Fälle und Zeiten nicht richtig setzen. „Gutes Deutsch“ ist immer noch ein soziales Distinktionsmerkmal. Dieser Sprachklassismus gehört in die Mottenkiste. Viel wichtiger als die korrekten Artikel ist die Funktion der Sprache: Man muss verstanden werden.
In London zum Beispiel hört man diverse Englischvarianten je nach Migrationsgeschichte. Das gehört wie selbstverständlich zu den kulturellen Besonderheiten. Die Studie empfiehlt zu Recht, dass der Spracherwerb für Erwerbsmigrant:innen im Herkunftsland beginnen sollte. Das Internet bietet alle Möglichkeiten, die Sprache einigermaßen interaktiv und lebensnah zu lernen. Dazu braucht es mehr kostenfreie Angebote, wie sie die Bundesregierung mit dem neuen Einwanderungsgesetz plant.
In den Firmen hierzulande wiederum müssten „Sprachlotsen“ bestimmt werden, die den vor Kurzem zugewanderten Kolleg:innen zur Seite stehen und bei Bedarf auch deren geschäftliche Mails gegenlesen. Wir brauchen ein globales Verständnis und mehr Respekt vor dem arabisch, asiatisch oder romanisch eingefärbten Deutsch mit den entsprechenden Besonderheiten. So viel Kosmopolitismus muss sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?