Deutschland, EU und Aserbaidschan: Wiederholungszwang mit Folgen
Die EU kooperiert mit dem Regime in Aserbaidschan. Und zeigt, dass sie nichts aus den Fehlern mit Russland gelernt hat.
W ährend ich diese Kolumne schreibe, kann ich das laute Ausatmen unserer Regierung und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis in meine Berliner Wohnung hören. Puhhhh, nochmal Glück gehabt.
Armenien und Aserbaidschan hatten sich nach zweitägigen Kämpfen auf eine Waffenruhe geeinigt. Mehr als 100 Armenier sollen nach Angaben von Ministerpräsident Nikol Paschinjan getötet worden sein. Die aserbaidschanische Seite spricht von 50 Toten. Ein alter Konflikt, der erst 2020 zu einem erbitterten Krieg um Bergkarabach geführt hatte, ist diese Woche wieder aufgeflammt. Ein Konflikt mit Eskalationspotenzial.
Wer etwas Verstand hat, weltpolitisches Interesse und vielleicht noch ein wenig Wissen über die Region, hätte das kommen sehen müssen. Das autoriäre Aserbaidschan hatte Armenien in der Nacht zu Dienstag angegriffen – und das selbst mit einer angeblichen Provokation begründet. In dieser Woche ist also ein demokratisches Land und dessen Souveränität in der Kaukasusregion von einem Regime angegriffen und verletzt worden. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Als ich Dienstagmorgen die Meldungen auf meinem Handy las, kam in mir das ungute Gefühl hoch, dass sich hier etwas wiederholte. Denn auch wenn sich der russische Angriffskrieg und die Gefechte in Armenien fundamental voneinander unterscheiden, so ähnelt sich doch der Umgang der EU und unserer Regierung damit.
In beiden Fällen hat sich die EU und die Bundesregierung auf ein Regime eingelassen. Die erbärmliche Geschichte politischer Abhängigkeiten von Russland erleben wir in der aktuellen Energiekrise hautnah mit. Anstatt aus diesem Fehler zu lernen, verhandelte Ursula von der Leyen im Juli mit Aserbaidschan einen Gasdeal. Sie sprach davon, dass das Land ein zuverlässiger Partner der EU sei und eine wichtige Rolle für die Energiesicherheit Europas spiele. Um von Russland unabhängig zu sein, brauche es Aserbaidschan. Von den Armen des einen Regimes in die Arme des nächsten. Eine Art Wiederholungszwang mit schweren Folgen.
Der restliche Osten Europas wurde zu lange vernachlässigt
Viel zu lange hat der Westen, hat Deutschland dabei zu geschaut, wie Putin überall mitmischte: ob in der Ukraine, Belarus oder Armenien. Bis es dann am 24. Februar zur Katastrophe kam. Auch danach zögerte Deutschland – und zögert bis heute, wenn es zum Beispiel um die Lieferung von Panzern geht. Dass es zwischen Armenien und Aserbaidschan knallt, hat, ja, auch mit Putin zu tun. Wenn er Truppen aus Armenien abzieht, weil er sie für den Krieg in der Ukraine benötigt, dann steht das, was diese Woche an Auseinandersetzung in Armenien passierte, plötzlich in Verbindung dazu. Aserbaidschan spielt das in die Hände.
Deutschland und die EU haben sich viele Jahre fast ausschließlich auf Russland und andere autoritäre Regime konzentriert und den restlichen Osten Europas vernachlässigt. Ich weiß nicht, ob es Ignoranz ist oder Desinteresse. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. So konnte auch das autoritäre Aliyew-Regime über Jahre sein Image in Europa aufpolieren. Auch in Deutschland. Der Einfluss des aserbaidschanischen Staatspräsidenten reichte sogar bis in den Deutschen Bundestag. Zahlreiche Recherchen im letzten Jahr haben das offengelegt.
Kluge Worte habe ich von der Bundesregierung und der EU noch nicht dazu gehört. Vielleicht sind sie noch mit Ausatmen beschäftigt. Wobei, den Kommentar von Kanzler Scholz, der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan mache keinen Sinn, will ich natürlich nicht unterschlagen. Danke dafür. Sanktionen gegen Aserbaidschan und Gaslieferungen an demokratische Standards zu koppeln, das wäre stattdessen mal was.
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