Deutscher Spitzenkandidat der EVP: Er will den Ton in der EU angeben
Manfred Weber stellt sich in Athen als Kandidat für die Europäische Volkspartei bei der Europawahl vor. Er macht weitrechende Wahlversprechen.
Nicht mehr die Bürokraten in Brüssel, sondern die Bürger und ihr neuer Kommissionspräsident sollen die Geschicke der EU bestimmen, verspricht Weber. Wenn er Ende Mai gewählt werden sollte, werde er 1.000 überflüssige EU-Regulierungen abschaffen. Welche das sein sollen, bleibt allerdings offen – wie so vieles an diesem Abend.
Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, in der CDU und CSU den Ton angeben, überrascht mit weitreichenden Wahlversprechen. Doch bei der Umsetzung bleiben viele Fragezeichen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei will er beenden. Dabei kann die EU-Kommission dafür nur eine Empfehlung aussprechen, das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs.
Die vor allem in Osteuropa und den USA angefeindete deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 will er stoppen. Allerdings ist die Ostseeröhre schon in Bau, die Aufsicht liegt bei den deutschen Behörden. Und selbst Jean-Claude Juncker, der noch amtierende Kommissionspräsident, hat es nicht geschafft, Nord Stream zu verhindern.
Wenig realistisch auch Webers Forderung, den europäischen Grenzschutz schneller auszubauen. Bereits 2022 soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Mann aufgestockt werden – und nicht, wie gerade beschlossen, erst 2027. Doch wie soll das gehen? Webers Parteifreund, Bundesinnenminister Horst Seehofer, hält bestenfalls 2025 für machbar. Schneller kann auch Berlin nicht liefern.
„Strong, smart and kind“ soll die EU werden
Weber ignoriert das. Es sei „inakzeptabel“, die EU-Außengrenze erst so spät vor „illegalen Migranten“ abzuriegeln, ruft er den 1.000 geladenen Gästen zu, vor allem Anhänger der konservativen griechischen Oppositionspartei Nea Dimokratia. Man dürfe es nicht „den Schleppern“ überlassen, zu entscheiden, wer nach Europa komme.
Dafür erntet Weber viel Beifall. Applaus gibt es auch, als er ein europäisches FBI zur Terrorbekämpfung fordert. Oder einen „Masterplan“ gegen Krebs. Oder ein weltweites Verbot von Einweg-Plastik nach EU-Vorbild. All das seien Ideen, die ihm bei seiner „Listening Tour“, also bei Treffen mit Bürgern, gekommen seien, so der CSU-Politiker.
Aus diesen Begegnungen will Weber auch „ein Mandat“ ableiten. Seine Wahlversprechen sollen nicht nur ihn, sondern auch die Staats- und Regierungschefs binden. Gleich nach der Europawahl im Mai will er mit Kanzlerin Angela Merkel und ihren Amtskollegen eine Art Regierungsprogramm festzurren, das natürlich auf seinem Wahlprogramm basieren soll. „Strong, smart and kind“ soll die EU werden – also stark, clever und bürgerfreundlich.
Auf keinen Fall dürfe man weiter machen wie bisher und sich die EU-Politik von „den Bürokraten“ in Brüssel vorschreiben lassen. Erst vor ein paar Tagen, berichtet Weber verärgert, habe er ein Programm der EU-Kommission für die nächsten fünf Jahre erhalten. „Das ist völlig absurd“, empört sich der Kandidat. Jetzt hätten die Wähler das Wort, die Politik müsse dann folgen.
Webers Chancen sind kleiner geworden
Auch das kommt gut an in Athen. Doch mit der Realität in Brüssel hat es nicht viel zu tun. Sollte Weber im Mai die Wahl gewinnen und danach tatsächlich zum Kommissionschef gewählt werden, so bekäme er es zunächst mit Martin Selmayr zu tun, dem mächtigen Generalsekretär der EU-Kommission. Der deutsche Jurist zieht in der Brüsseler Behörde alle Fäden. Weber kommt nicht an ihm vorbei.
Zudem werden es sich die EU-Chefs nicht nehmen lassen, selbst die Prioritäten für die nächsten Jahre festzulegen. Damit fangen sie sogar schon auf einem Sondergipfel am 9. Mai im rumänischen Hermannstadt an. Im Herbst entscheiden Merkel und die Ihren über das nächste EU-Rahmenbudget für die Jahre 2021 bis 2027. Dabei werden die Prioritäten dann festgeklopft.
Das Hauptproblem für Weber dürfte aber sein, überhaupt gewählt zu werden. Denn mit der Entscheidung, den Brexit auf den Herbst zu vertagen und die Briten zur Teilnahme an der Europawahl zu verpflichten, sind Webers Chancen kleiner geworden. Nach den letzten Umfragen in Großbritannien liegen die Brexiteers vorn, auch die Sozialdemokraten rechnen sich gute Chancen aus.
Beides würde Frans Timmermans nutzen, dem Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten. Er ist Webers schärfster Rivale.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus