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Der Fall Gerhard S.Unehrenhaft vernagelt

Der Streit ums Marktkirchenfenster in Hannover geht weiter. Die Kolumnistin freut sich und rätselt über die verlorene Ehre des Gerhard Schröder.

Auch bei Anti-Kriegsdemos in Hannover war Schröder Thema Foto: Moritz Frankenberg/dpa

A ch wie wunderbar, der Streit um das Reformationsfenster für die Marktkirche in Hannover geht in die 50. Runde. Jetzt hat der Vorstand der Marktkirche entschieden, das von Altbundeskanzler Gerhard Schröder gestiftete Fenster vorläufig nicht einzubauen. Das Argument, dass es irgendwie komisch ist, im Licht des Geschenkes eines Putin-Freundes Friedensgebete abzuhalten, leuchtet mir sogar fast ein.

Wobei man sich natürlich fragen müsste, ob nicht 80 Prozent aller Kirchenschätze demontiert gehören, wenn man derart strenge Maßstäbe anlegt. Aber früher galt man als Kriegsgewinnler halt noch was, da war die Kirche nicht zimperlich. Die Zeiten ändern sich.

Ich warte jetzt darauf, dass der Künstler und die Befürworter-Fraktion Klage einreichen und spitze schon mal den Bleistift. Der Marktkirchenvorstand muss derweil verschärfte Finanzjonglage betreiben.

Schröder hat nämlich bloß den Entwurf und seinen Künstlerfreund Lüpertz angeschleppt, für die tatsächliche Fertigung des Fensters hat er Spender vermittelt – denen will die Marktkirche nun das Geld zurückgeben. Das bereits gefertigte und aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzungen seit Jahren fachgerecht eingelagerte Fenster ist aber natürlich trotzdem schon bezahlt. Es ist kompliziert.

Anekdoten, Psychogramme und billige Ersatzhandlungen

Das Drama um den unaufhaltsamen Aufstieg und Fall des Gerhard S. erfüllt mich mit einer Art widerwilliger Faszination und leisem Grusel. Irgendetwas in mir möchte die ganze Zeit sagen: Nun lasst den alten Mann doch in Ruhe. Aber das wäre ihm ja bestimmt auch nicht recht.

Es hat nur so etwas Peinigendes, Heuchlerisches, Fremdschambehaftetes, dieses Kesseltreiben. Wie jetzt jeder – mangels aktueller Äußerungen des Ex-Kanzlers – seine liebste Schröder-Anekdote aus den vergangenen Jahrzehnten hervorkramt und daraus gleich ein ganzes Psychogramm strickt.

Die ewige Saga vom Emporkömmling, der Altersstarrsinn des Aufsteigers, der offenbar niemanden hat, der hinter ihm aufräumt, den Schaden in Grenzen hält, ihm hilft das Gesicht zu wahren. Schauderhaft. Ganz schlechtes Kino.

Und ist das nicht eine billige Ersatzhandlung, wenn ausgerechnet die CDU-Ratsfraktion den Entzug der Ehrenbürgerwürde fordert, die sich sonst nicht einmal dazu durchringen kann, Denkmäler und Straßennamen von echten Kriegstreibern und Kolonialverbrechern ins Museum zu verräumen?

Können wir mal kurz darüber reden, was für eine seltsame Ehrung das überhaupt ist? Das fängt schon damit an, dass man Ehrenbürger nur sein kann, solange man atmet. Deshalb wollte man in Hannover Hindenburg die Ehrenbürgerwürde nicht wieder aberkennen, weil die ja längst verfallen ist.

Für Hitler und seinen Braunschweiger Gauleiter hat man 1978 aber noch eine Ausnahme gemacht: Die bekamen sie trotzdem aberkannt, sollten wohl irgendwie töter als tot sein. Doris Schröder-Köpf hat vorsichtig darauf hingewiesen, dass ihr Ex-Mann vielleicht nicht ganz in diese Liga gehört. Ein ähnliches Schicksal ereilte allerdings Walter Ulbricht und Konsorten in manchen ostdeutschen Städten.

Über welche Art von Ehre reden wir hier eigentlich?

Mir scheint auch erstaunlich unklar, wofür man diese Auszeichnung eigentlich erhält. Für Verdienste um die Stadt Hannover, heißt es diffus. Auf die richtige Art und Weise verdient machen sich aber nur Männer. Die einzige Frau auf der langen Liste der (Ex-)Ehrenbürger ist Niki de Saint Phalle – und das ist praktisch ein Freudianer-Witz.

Diese vergangenen Verdienste sind auch nicht ewig haltbar, viel mehr hängen sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise am sehr gegenwärtigen Ansehen der betreffenden Person. Das verbindet sie mit dem Begriff der Ehre, die ja auch so ein eher sozial bestimmtes, gefährlich waberndes Konstrukt ist.

Welche Ehre ist denn da eigentlich gemeint, beim Ehrenbürger? Ist das noch die gleiche Ehre, für die man früher zum Duell gefordert hat? Oder die, auf die Kohl sich berufen hat, um Spender nicht nennen zu müssen? Die, um derentwillen man Frauen umbringt?

Worin genau besteht sie in einer modernen, demokratischen Gesellschaft, diese seltsame Männerehre? Wer erkennt sie zu und wieder ab? Nach welchen Kriterien und wessen Moralvorstellungen? Wie viele Ehrenbürger braucht man, um einen Krieg zu gewinnen?

Fragen über Fragen. Vielleicht sollte man die Gelegenheit nutzen, diesen ganzen Chichi grundsätzlich zu hinterfragen. Die echten Eh­ren­bür­ge­r sind sowieso die, die sich gerade um die Unterbringung von Geflüchteten bemühen und Hilfskonvois organisieren – ganz ohne Tschingderassabum und Lobreden im Prachtsaal des Rathauses vor Schnittchen fressendem Publikum.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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17 Kommentare

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  • taz: "Welche Ehre ist denn da eigentlich gemeint, beim Ehrenbürger?"

    Den "Titel" Ehrenbürger vergeben ja ohnehin immer nur die Reichen und Mächtigen in diesem Land, und für die ist Gerhard Schröder (SPD) sicherlich ein Ehrenbürger. Schröder hat doch schließlich den Spitzensteuersatz für die Reichen gesenkt und die Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt. Und der größte Erfolg von Schröder ist natürlich diese "Behörde" (BA/Jobcenter), die er trotz Art. 1 GG und Art. 20 GG überhaupt erst möglich gemacht hat. Also eine "Behörde" die arbeitslose Bürger zu Hilfsarbeitern machen darf (§ 10 SGB II), damit die Unternehmer genügend Menschenmaterial für ein Ei und ein Butterbrot als "Arbeitskräfte" geliefert bekommen. Dass der Steuerzahler dann den Differenzbetrag bei den Löhnen zahlen darf, damit der "Lohnknecht" nicht verhungert, ist natürlich egal, denn darüber macht man sich als "mündiger" Bürger lieber keine Gedanken.

    Ja, der Gerhard ist schon ein toller Hecht, der aus Deutschland ein Niedriglohnland gemacht hat, damit Deutschland auch weiterhin der Exportweltmeister von Europa bleiben kann. Nach seiner Amtszeit als Bundeskanzler ist Schröder sogar Chef des Verwaltungsrats der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 und Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Staatskonzerns Rosneft mit einem Jahresgehalt von 850.000 Euro geworden, nur um Deutschland mit russischen Gas zu versorgen. Da soll noch mal einer sagen, dass unser Ex-Bundeskanzler den 'Ehrenbürgertitel' nicht verdient hat. Die Reichen in Deutschland sind durch ihn noch reicher geworden und selbst die Hartz IV Empfänger wissen gar nicht was sie mit dem ganzen Geld machen sollen, was sie (dank Schröder) vom Staat bekommen. Erst kürzlich bekamen die 'Hartzer' wieder eine dicke Erhöhung von 'sage und schreibe' 3 Euro im Monat, was umgerechnet drei große Tüten Gummibären sind. Tja, der Gerhard Schröder ist ein wahrer Ehrenbürger, und zwar nicht nur von Hannover, sondern von ganz Deutschland.

  • Soll in dem Kirchenfenster denn wie anno dazumal das Antlitz von Schröder und der anderen Spender irgendwelche dargestellten Heiligen zieren? Oder gar - in der Reformation ein beliebtes Bildtthema - Schröder mit allen fünf (sechs?) Frauen und Kindern in strengem Schwarz in einer Reihe unter dem Kreuz kniend?

    Was mich aber am meisten interessiert: warum ist es für die Kirche schlimm, dass Schröder Gazpromlobbyist ist, aber nicht, dass er nach allem, was man weiß, kein gläubiger Christ ist?

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      „Die Kirche hat einen guten Magen,



      Hat ganze Länder aufgefressen,



      Und doch noch nie sich übergessen;



      Die Kirch' allein, meine lieben Frauen,



      Kann ungerechtes Gut verdauen.“



      (Goethe, Faust I – Mephistopheles)

  • Super!

  • Ich stimme Fr. Conti voll und ganz zu. Außerdem ist der Artikel herrlich spitzzüngig!

  • Mercedes baut Autos in Russland, MAN LKWs, davon hört man irgendwie nichts. Als Schröder NS2 angeleiert hat, wurde er auch aud der CDU gelobt. War falsch aus heutiger sicht, aber die Zeit ändert die Dinge.

  • Danke; ein toller Kommentar!



    Ich persönlich kann wenig mit dem Konzept "Ehre" anfangen und verstehe den Trubel um ein Kirchenfenster nicht, da es eigentlich um den Künstler und um das Fenster gehen sollte. Gerhard Schröder abzulehnen ist natürlich richtig, wobei ich ihm mehr Vorwürfe für Lohnsenkungen, Privatisierungen des Sozialstaates und Beschneidung von Rechten der lohnabhängig Beschäftigten mache. Wenn die SPD noch ein bisschen auf sich hält, sollte sie ihn aus der Partei werfen; das wird aber noch Jahre dauern, wenn ich mir das Gestrampel um Thilo Sarrazin in Erinnerung rufe.

    • @STEPHAN AUS NÜRNBERG:

      "Ehre" ist so was ausgesprochen merkwürdiges, ich kann damit auch nichts anfangen.

  • Ehrenbürgerschaften sind wie Straßengraben: Mehr Eigenwerbung der entsprechenden Städte als Ehrung der Personen, die bei Bedarf schnell wieder rückgängig gemacht wird wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht und es opportun erscheint.

    Konsequent wäre es derartige Ehrungen unangetastet zu lassen und - falls nötig - zu erläutern was die Verantwortlichen damals dazu gebracht hat die Ehre zu vergeben. Das würde gerade mit Blick auf die unrühmlichen Fälle der Vergangenheit etwas mit der Mär der verführten unschuldigen Bevölkerung aufräumen wenn klar wird dass wir einem Verbrecher Ehren zukommen lassen haben weil wir selbst wie Verbrecher getickt haben

  • Einer der besten Text, die ich in letzter Zeit in der TAZ gelesen habe. Stimme der Autorin in (fast allen) Punkten zu.

  • Werden eigentlich alle deutschen Russland-Manager so niedergemacht wie der Ex-Kanzler? Ich höre nur immer Schröder - er kann doch nicht der Einzige sein!

    • @Kappert Joachim:

      Andere haben auch nicht vom „Säbelrasseln“ der Ukraine geredet …

    • @Kappert Joachim:

      Ist er auch nicht...

      Andere SPD- Granden mussten in der letzten Woche auch überstürzt Posten aufgeben.

      Eine bedrückend/beeindruckend lange Liste habe ich neulich in der "Zeit" gelesen.

    • @Kappert Joachim:

      Unabhängig vom Ehrenbürgerthema geht es bei den ganzen Diskussion um Gerhard Schröder doch um die Funktion des Alt-Kanzlers und nicht irgendwelche deutschen Russland-Manager.

  • Wow :-)