Schimpf und Schande in Niedersachsen: Ein Honorar für die Nerven

Eine Grüne im VW-Aufsichtsrat und dem Schröder sein Kirchenfenster – das sind Aufreger in Niedersachsen. Toll, wie meine Vorurteile bestätigt werden.

Julia Hamburg steigt am Bahnhof Hannover in einen ICE.

Aufbruch: Julia Hamburg besteigt den ICE nach Berlin. Manchmal hält der auch in Wolfsburg Foto: Michael Matthey/dpaMichael Matthey

Ich war zur Unzeit verreist. Die Reise wurde geplant, bevor der Wahltermin feststand und klar war, wann sich das neue niedersächsische Parlament konstituieren würde. Nun habe ich die ersten Sitzungstage verpasst, wie schade. Kollegen schrieben etwas von einer Atmosphäre wie am ersten Schultag, laute aufgeregte neue Abgeordnete in Begleitung von noch aufgeregteren Medienvertretern – ich stelle mir das sehr niedlich vor.

Auch verpasst habe ich ja leider den grandios dämlichen Protest gegen Julia Hamburgs Sitz im VW-Aufsichtsrat. Eine Autohasserin! Ohne Berufsausbildung! Geht ja gar nicht, fanden Bild und die Aktionärsschützer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Da steckte natürlich alles drin: Die Verachtung für die Politik (zehn Jahre Berufserfahrung in der niedersächsischen Landespolitik sind nämlich einen Dreck wert, die Position als stellvertretende Ministerpräsidentin auch, hätte sie mal lieber eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker gemacht), die Tatsache, dass bei keinem ihrer Vorgänger (meist weiß, männlich, älter und Wirtschafts- oder Finanzminister) so genau auf den Lebenslauf geschaut wurde – ein Schelm oder ein feministisches Biest, wer Böses dabei denkt.

Überhaupt, die grandiose Arbeit dieses Aufsichtsrates, der vor lauter Autobegeisterung nicht einen der zahlreichen VW-Skandale verhindert hat. Da muss man schon vorsichtig sein, wen man da rein lässt, nachher macht die noch die Augen auf.

Das Lüpertz-Kirchenfenster wird nun doch eingebaut

Das verpasst zu haben, bedaure ich natürlich auch deshalb, weil es so herzallerliebst meine Lieblingsvorurteile bestätigt. Also vor allem die über Aufsichtsräte und Aktienbesitzer.

Ich stamme ja aus einer dieser Arbeiterfamilien, die sich zu Wirtschaftswunderzeiten sehr mühselig in den unteren Mittelstand vorgearbeitet hat – immer mit dieser Kriegserfahrung im Nacken, die sie mahnte, das von heute auf morgen auch alles wieder weg sein könnte.

Nichts ist mir so fremd wie die Selbstgewissheit reicher Menschen. Es gibt eine bestimmte Sorte von Anzugträgern, bei denen sich mir sofort die Nackenhaare aufstellen und ich den Impuls unterdrücken muss, mich mit einem Tablett zu bewaffnen.

Was mich gedanklich wieder zu Gerhard Schröder bringt, den ich fast mal auf einer Messeparty bekellnert hätte. Das von ihm gestiftete Lüpertz-Fenster soll ja nun doch in die Marktkirche gebaut werden.

Möglichst ohne den Stifter allerdings, was die Sache ein bisschen kompliziert macht. Nach den endlosen Streitigkeiten um die Ästhetik (über die ich verschiedentlich berichtet habe) ging es im vergangenen Jahr ja plötzlich um den Geber und seine Russlandkontakte.

Der Kirchenvorstand möchte das kostbare eingelagerte Kunstwerk nun doch gern nutzen, hat die von Schröder eingeworbenen Spenden aber sicherheitshalber an ukrainische Geflüchtete weiter gereicht. Also müssen jetzt neue Spender her und möglicherweise auch noch ein Künstlerhonorar.

Der Erschaffer des Fensters Markus Lüpertz hat angedeutet, jetzt doch eines verlangen zu wollen – weil sein Freundschaftsdienst für Schröder ja nicht mehr gefragt sei. Und weil ihn die ganze Debatte genervt hat. Ein Honorar für die Nerven! Das merke ich mir.

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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