Ein Kirchenfenster und andere Probleme: Alte weiße Egos

Die Kolumnistin möchte mit Steinen werfen, versucht aber sich altersgemäß zu verhalten. Und stellt fest: Salomonische Lösungen sind manchmal keine.

Eine Abbild des von Markus Lüpertz geschaffenen Reformationsfensters lehnt an einer Säule in der Marktkirche

Hannoverscher Bilderstreit: Hier ein Abbild des von Markus Lüpertz entworfenen Kirchenfensters Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Neulich lief ich wieder einmal an der Marktkirche vorbei und dachte darüber nach, warum mich der Streit um ihr Fenster so fasziniert. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass ich beide Seiten gleichermaßen nachvollziehen und blöd finden kann. Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, wie hier Psychologie, Philosophie und Scheißhausfliegen aufeinander treffen.

Für die Nicht-Hannoveraner: Es geht um das Reformationsfenster, gestaltet von Künstler Markus Lüpertz, gestiftet von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, unerwünscht und verflucht von Teilen der Gemeinde und dem Nachfahren des Architekten, der die Marktkirche nach den Kriegszerstörungen in grandioser Backstein-Schlichtheit wieder aufbaute.

Oberflächlich betrachtet könnte man das Ganze natürlich gut als Konflikt unter „alten weißen Männern“ verbuchen. Es ist kein Geheimnis, dass zumindest Schröder und Lüpertz ein Ego vor sich her tragen, bei denen selbst hart trainierte Buddhisten erschauern. Naheliegend, dass vielleicht das ein oder andere Gemeindemitglied die Abneigung dagegen auf das Fenster überträgt.

Andererseits ist das natürlich auch ganz, ganz billig. Vor allem, wenn ich als mittelalte weiße Frau das mache. Wer weiß: Vielleicht bin ich ja bald selbst eine alte weiße Frau, die redet wie ein alter weißer Mann – so wie Alice Schwarzer. „Vorsicht mit so was, Fräulein Conti“, raunte mir einmal eine geschätzte Kollegin zu. „Die Zeit arbeitet gegen Sie.“

Hässliche Fliegen

Und seien wir mal ehrlich: Im Gegensatz zu den Buddhisten hat die Kirche mit Egos ja auch kein grundsätzliches Problem. Luther schon gar nicht. Obwohl die Kirche vielleicht insgesamt besser da stünde, wenn sie diese Sache mit den Egos und den Machtmissbräuchen besser im Blick behalten hätte. Aber das ist ja ein ganz anderes Thema.

Andere Argumente scheinen mir nicht besser. Der Stiefsohn und Architekten-Erbe ist zwar eine rührende Figur – er versucht aber auch irgendwie, eine mehr als 600 Jahre alte Kirche auf dem Stand von 1952 einzufrieren.

Viele Gemeindemitglieder argumentieren damit, dass sie die fetten Fliegen, die Luther auf dem Fenster umschwirren, so hässlich finden. Die Hässlichkeit ist natürlich Absicht, also Kunst, aber solche Hinweise auf das Böse und die Vergänglichkeit sind halt nicht jedermanns Sache.

Also vor allem, wenn man Religion so als bisserl Wellness für die Seele betrachtet, wo alles bitte schön betulich und erbaulich und wohlriechend und hübsch sein soll und möglichst weit weg von der stinkigen, nervtötenden Scheißhaushaftigkeit des echten Lebens.

Das wiederum ist eine Haltung, die in mir den pubertären Impuls weckt, den ein oder anderen Backstein durch das Kirchenfenster zu werfen. Aber deshalb arbeite ich ja jetzt auch für die taz und nicht mehr für bürgerlichere Medien.

Bei der Hannoverschen Allgemeinen meldete sich jedenfalls ein Gemeindemitglied, das glaubt, eine geniale und salomonische Lösung für den mehr als vier Jahre alten Konflikt zu haben. Er hat eine Konstruktion gebastelt, mit der sich das Fenster ein- und ausklappen ließe. Die Gemeinde reagierte verhalten, schreiben die Kollegen. Die Nicht-Lösung ist wohl ziemlich teuer. Und man müsste sich ja auch immer noch einigen, wer wann klappen darf.

Ich weiß nicht, ob ich den Tüftler bewundern soll oder mir die Haare raufen. Diese Art, einfach gar nichts mehr zu entscheiden und immer alles zu wollen, inklusive des Gegenteils – ist das infantil oder weise?

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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