Demonstration gegen Corona-Regeln: Abstand? Fehlanzeige
Beim Protest in Berlin fehlt es nicht nur an 1,50 Meter Abstand. Die Menge lässt auch Distanz zu Rechten vermissen.
N och in der Nacht zum Sonntag sind die Zelte verschwunden, geräumt von der Polizei. Dabei hatten die Demonstranten nach ihrer Großdemonstration in Berlin den nächsten Schritt ihres Protests einläuten wollen. Ein Protestcamp nahe dem Kanzleramt, 14 Tage lang, gegen die Maßnahmen der Regierenden zur Bekämpfung der Coronapandemie. Kaum hat Michael Ballweg, der Protestorganisator, am Samstagabend die Kundgebung an der Siegessäule beendet, ruft er schon die nächste aus – die zum Campieren.
„Ihr dürft eure Zelte aufbauen“, erklärt Ballweg den Mitdemonstrierenden und stellt ein graues Wurfzelt auf die Bühne. Schon im Vorfeld hatte der Stuttgarter und seine Querdenken-Initiative angekündigt, dieses Mal nicht nur zu demonstrieren, sondern auch zu bleiben. Doch aus dem Protestcamp wird nichts. Ein Gericht hatte die Aktion untersagt. Und nun drängt die Polizei auch die verbliebenen Protestierenden von der Straße.
Es ist das Ende eines denkwürdigen Demonstrationswochenendes in der Hauptstadt. Eines, das die Bewegung der CoronaskeptikerInnen als Erfolg feiert, als neuen Höhepunkt ihres Protests. Und das viele Fragen hinterlässt. Denn demonstriert hat eben nicht nur ein schwer fassbare und heterogene Bewegung aus Impfgegnern, Verschwörungsmystikern, Hippies und Menschen, die ihr altes Leben wie in der Zeit vor Corona zurückhaben möchten – demonstriert haben eben auch Rechtsradikale und Neonazis.
Letztere, ganz offensichtlich eine Minderheit unter den Zehntausenden, sind es, die die Bilder produzieren, die im Gedächtnis haften bleiben werden. Wie die Rechten Unter den Linden die Auseinandersetzung mit der Polizei provozieren, vor der russischen Botschaft, wohl auch kein Zufall. Wie sie Durchsagen der Polizei mit „Wir bleiben hier!“ und „Hinsetzen!“-Rufen quittieren. Anstatt zu gehen, lassen sie sich lieber von der Polizei mitnehmen, es fliegen Flaschen. Auch ein nicht ganz unbekannter Autor veganer Kochbücher wird hier festgenommen. Die Pose des Märtyrers, sie gefällt hier vielen.
Der Coup der Rechtsradikalen vor dem Reichstag
Vor allem aber können die Rechtsradikalen vor dem Reichstag den Erfolg feiern, den sie sich erträumt haben. Aus einer Menge von 2.000 Menschen auf der Wiese vor dem deutschen Parlament, mit dem auf einer kleinen Bühne stehenden früheren NPD-Funktionär Rüdiger Hoffmann als Einpeitscher, schieben plötzlich einige Rechte die Absperrgitter zur Seite und stürmen die Treppe zum Bundestag hinauf. Die PolizistInnen werden überrumpelt, nur eine Handvoll hält die Rechtsextremen vom Eingang fern. Die schwenken auf den Treppen noch schwarz-weiß-rote Fahnen und jubeln, bevor die Polizei sie wieder zurückdrängt. Entstanden aber sind Fotos, die noch am Abend in der Szene kursieren und bejubelt werden. Es ist nicht nur eine Schmach für die Polizei. Plötzlich ist der hässliche Deutsche wieder auferstanden, ausgerechnet vor dem Gebäude, das 1933 bei der Machtübernahme der Nazis in Flammen aufging. Die Bilder gehen um die Welt.
Zuvor waren Zehntausende Gegner der Coronamaßnahmen in Berlin auf die Straße gegangen, bundesweit angereist, teils auch aus den Nachbarländern. Die Polizei spricht von 38.000 Demonstranten, unter den Demonstrierenden selbst ist, maßlos übertrieben, von einer Million oder noch mehr die Rede. Es ist eine denkbar bunte Mischung: Familien, Rentner, Esoteriker, Impfgegner. Aber auch hier dabei: Reichsbürger und Rechtsextreme. Es ist ein Protest, der nicht wirklich zu durchschauen ist. Gerade nicht nach diesem Wochenende.
Denn der Samstag offenbart nicht nur ein bisweilen absurdes Nebeneinander von Protestierenden, die unterschiedlicher nicht sein können. Sondern auch diffuse Forderungen. Und eine Abgrenzung von Rechtsextremen, die offensichtlich kaum mehr als eine Worthülse ist.
Bereits am Samstagvormittag sammeln sich die Protestierenden in der Berliner Innenstadt. Erst wenige Stunden zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht ihren Aufzug gestattet. Am Mittwoch hatte Berlins Innensenator Andreas Geisel, ein SPD-Mann, die Demonstration aus Infektionsschutzgründen verboten – auch weil auf einem ersten Aufzug der Bewegung Anfang August die Abstandsregeln nicht eingehalten worden waren. Dann aber kippten die Richter das Verbot.
Gandhi-Fahnen und Reichsflaggen auf der Friedrichstraße
Nun wehen in der Berliner Friedrichstraße Pace-Fahnen, Gandhi-Bilder werden hochgehalten. „Frieden, Freiheit, Liebe“ steht auf T-Shirts. „Gib Gates keine Chance“, heißt es. Herzen werden mit den Händen geformt, es wird meditiert und gesungen. „Corona, ciao, ciao, ciao.“ Zwischendrin flattern aber auch schwarz-weiß-rote Reichsflaggen. „Volle Souveränität“, zieren Reichsbürger-Slogans Hemden. Andere tragen ein „Q“ für die antisemitische Verschwörungsbewegung QAnon auf der Brust. Es ertönen „Merkel muss weg“- und „Lügenpresse“-Rufe, wie man sie sonst von Pegida kennt.
Fragt man die Protestierenden, warum sie hier sind, erklären sie das Maskentragen für wirkungslos und „unmenschlich“. Nicht alle leugnen das Coronavirus, die meisten aber halten Covid-19 für nicht gefährlicher als eine Grippe. Die Infektionsschutzmaßnahmen werden als überzogen und schädlicher als die Pandemie selbst erklärt. Andere befürchten einen Impfzwang oder halten die Regierung für ferngesteuert durch die Finanzlobby. Was alle eint: ein tiefes Misstrauen gegen die Politik.
Masken trägt folgerichtig so gut wie niemand. Im Gegenteil. Diese werden ideologisch abgelehnt, den „Schlafschafen“ vorbehalten. Wer sie, wie etwa JournalistInnen, dennoch trägt, erntet mindestens abschätzige Blicke. Auch wird nur sporadisch Abstand gehalten. Einige Demonstranten begrüßen sich mit Küsschen, auf einer Bühne stehen Redner Arm in Arm und schunkeln. Es sind Szenen, die eigentlich durch die Auflagen der Justiz verboten sind. Und die so zu erwarten waren.
Der Protest steht deshalb schon gleich zu Beginn kurz vor dem Abbruch. Die Polizei blockiert den Demonstrationszug, noch bevor er losgeht, in einer Seitenstraße warten Wasserwerfer, die aber nicht zum Einsatz kommen. Immer wieder fordern die Beamten das Publikum auf, Abstand zu halten, ordnen später das Maskentragen als Auflage an. Nur einige DemonstrantInnnen kommen dem nach. Zwei Stunden lang bewegt sich die Demonstration nicht. Dann kommt die Durchsage der Polizei: Der Aufzug ist aufgelöst.
Markus Haintz, Anwalt der Organisatoren der „Querdenken“-Initiativen, stellt sich auf einen Lautsprecherwagen und fordert die Menge auf, trotzdem durchzuhalten, einfach sitzen zu bleiben. Die ganze Welt schaue heute auf Berlin. „Sprecht die Bürger in Uniform an“, ruft er. „Verweigert diesen rechtswidrigen Befehl!“ Immer wieder skandiert die Menge in Richtung der Polizei: „Schließt euch an!“.Der Berliner AfD-Landtagsabgeordnete Harald Laatsch filmt in Hemd und Jackett das Geschehen, bespricht sich immer wieder mit dem Organisationsteam. Den Polizeieinsatzleiter nennt er einen „Erfüllungsgehilfen“ von Innensenator Geisel. Die Stimmung ist aufgeheizt, aber es bleibt friedlich.
Rechtsextreme von der russischen Botschaft
Nach und nach wandert die Menge in Richtung Siegessäule im Tiergarten ab, zur geplanten Großkundgebung. Am Brandenburger Tor, vor der nahe gelegenen russischen Botschaft und vor dem Bundestag haben sich da schon Reichsbürger und Rechtsextreme versammelt. Sie schwenken Fahnen und halten Banner, die Deutschland für besetzt erklären. Die Töne sind hier deutlich martialischer. „Schluss mit den Völkermordsystemen“, heißt es. Männer tragen Shirts der Identitären, einige bullige Typen laufen mit Parolen wie „Division Sachsen-Anhalt“ oder eines „Berserkers Clans“ herum. Der rechtsextreme „Volkslehrer“ Nikolai Nerling ist vor Ort, der nach rechts außen abgedriftete Vegankoch Attila Hildmann, dazu Neonazis der Splitterpartei Die Rechte. Ein Demonstrant fordert Solidarität mit der inhaftierten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.
Die Mitdemonstrierenden scheinen sich nicht weiter daran zu stören. Auch die Polizei lässt sie zunächst gewähren. Dafür sind es einige Hundert Antifa-AktivistInnen, die in Demo-Nähe ihren Protest gegen die Rechtsextremen ausdrücken. „Ihr marschiert mit Nazis und Faschisten“, skandieren sie. Die Polizei drängt sie schnell ab. Für viele Rechtsextreme ist es eine neue Erfahrung und dürfte ihnen Auftrieb geben: Sie können an dem Tag so ungestört demonstrieren wie lange nicht.
Vor der Bühne an der Siegessäule eröffnet um halb vier Michael Ballweg die Kundgebung. Der 45-jährige Softwareentwickler führt in Stuttgart seit Monaten den Protest der CoronaskeptikerInnen an, nun steht er mit Wuschelhaar in weißem „Querdenken“-Shirt vor einem schwarzen Pult, spricht ruhig, fast unbedarft wirkend. Zehntausende stehen vor ihm, die Schar zieht sich bis zum Brandenburger Tor hin. Abstand wird auch hier kaum gehalten, obwohl von der Bühne, auf Drängen der Polizei, wiederholt darum gebeten wird.
Michael Ballweg, Organisator der Demonstration
„Wir fordern die sofortige Aufhebung der Coronamaßnahmen und die Abdankung der Bundesregierung“, ruft Ballweg. Die Menge johlt und klatscht. Ballweg legt nach, wettert über den Berliner Innensenator. „Geisel ist eine Geißel der Demokratie.“ Der SPD-Mann müsse „sofort“ sein Amt abgeben und mit ihm Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. „Beide treten die Grundrechte aller Menschen mit Füßen.“ Und wieder brandet Applaus auf.
Die verbalen Angriffe setzen sich bei den anderen Rednern fort, die sich in einem stundenlangen Reigen auf der Bühne abwechseln. Ein Mann, der von sich sagt, er sei Mitglied der Grünen, beklagt, dass es in der Coronapolitik keine Opposition mehr gebe. Ein pensionierte Münchner Polizist wirft der Regierung vor, „unsere Grundrechte abzuschaffen“. Und der US-Anwalt Robert Francis Kennedy junior, ein Impfgegner und Neffe des früheren US-Präsidenten, wettert, als „Stargast“ eingeflogen, gegen die Pharmalobby, Bill Gates und das 5G-Mobilfunknet. „Sie sind gut darin, uns Angst zu machen“, ruft Kennedy. „Aber Berlin ist wieder die Front gegen den Totalitarismus.“
Es sind diffuse Vorwürfe und noch diffusere Forderungen. Die Gefährlichkeit des Coronavirus wird schlicht bestritten. Stattdessen werden Kritiker wie der Mediziner Wolfgang Wodarg herangezogen, der die Existenz einer Pandemie leugnet und dessen Meinung von Politik und Medien diffamiert und totgeschwiegen werde. Über die Schicksale der Erkrankten und Todesopfer von Covid-19 hört man an diesem Tag kein Wort. Und auch was die Regierung denn alternativ hätte tun sollen, ob sie schlicht gar nicht auf die Pandemie hätte reagieren sollen, bleibt im Unklaren.
Die Erzählung von der bösen Elite und dem guten Volk
Stattdessen überwiegen simple Dichotomien, von RednerInnen und Protestierenden erschaffen. Hier eine Elite aus Regierung, Medien und Konzernen, die die Bevölkerung drangsaliert, überwacht und der alles zuzutrauen ist. Und auf der anderen Seite das ehrliche, freiheitsliebende Volk, das nun endlich dagegen aufbegehrt.
Es ist ein Bild, das man auch in rechtsextremen Kreisen pflegt und das die CoronaskeptikerInnen so attraktiv und anschlussfähig für die Szene macht. Anders als diese verfügen die Rechtsextremen aber über eine klare Agenda: die Abschaffung des jetzigen Systems. Zu der Demonstration hat die ganze Szene nahezu geschlossen aufgerufen, AfD-Funktionäre, die NPD, der III. Weg, das Compact-Magazin. Dessen Herausgeber Jürgen Elsässer sprach vom „wichtigsten Tag seit 1945“. Es kursierte der Schlachtruf nach einem „Sturm auf Berlin“.
Organisator Ballweg, in der Vergangenheit politisch unauffällig, betont auf der Bühne: „Rechtsextremismus und Linksextremismus haben in unserer Bewegung keinen Platz.“ Er raunt von „bezahlten Aggressoren“, die in den Protest eingeschleust würden und die man ausschließen werde. Auch mehrere Redner betonen, es gehe ihnen um „Freiheit und Liebe“, alle seien eine „Menschheitsfamilie“.
Aber es gibt auch andere Töne. Der Publizist Anselm Lenz, der die Coronaproteste in Berlin vor Wochen mitinitiiert hat, ätzt über eine „faschistoide Regierung“, die Parteien seien „völlig fertig“, es brauche die Revolution. Ein evangelikaler Pastor singt mit Geigenbegleitung: „Wach auf, Deutschland! Die Zeit der Knechtschaft ist vorbei.“ Vor der Bühne wird dazu geschunkelt. Es sind solche Sätze, zu denen auch die ganz Rechtsaußen klatschen.
Die betonte Friedfertigkeit endet schon gegenüber der Bühne. In direkter Blickrichtung hängt ein Banner mit Köpfen führender PolitikerInnen. „Sperrt sie endlich weg!“, heißt es darauf. Andere Demonstranten tragen Schilder mit den Konterfeis des Virologen Christian Drosten, von Kanzlerin Angela Merkel oder der Journalistin Dunja Hayali in Sträflingskleidung, zusammen mit dem Stempel „Schuldig“. Auf einem anderen Schild heißt es: „Stoppt den Putsch des Merkel Regimes.“ Zu all dem sagt Michael Ballweg – nichts.
Fragt man die Demonstrierenden nach den Rechtsextremen, werden diese als zu vernachlässigende Minderheit abgetan. Die große Masse sei doch friedlich und demokratisch, auch wenn die Presse das wieder verzerrt berichten werde, heißt es. Die Rechtsextremen sattelten sich doch überall auf, dafür könne man nichts.
Aber ganz so einfach ist es eben nicht. Denn andere Bewegungen schaffen es sehr wohl, sich konsequent von den rechts außen Stehenden abzugrenzen und ihnen die Teilnahme zu vergällen. Bei den CoronaskeptikerInnen aber bleibt es bei spärlichen Lippenbekenntnissen von der Bühne.
Michael Ballweg schlägt sogar noch ganz offen die Brücke zu Reichsbürgern. Das Grundgesetz sei ausgehöhlt, beklagt auch er. Nicht der Bundestag, sondern der Souverän – also sie selbst – müssten wieder die Macht übernehmen. Deshalb wolle man in den nächsten Tagen „an einer neuen Verfassung arbeiten“, hier vor Ort auf dem Kundgebungsgelände.
Ballwegs Initiative jubelt von einem „historischen Tag“. Auch die rechtsextreme Szene ist zufrieden: Der Anführer der Identitären, Martin Sellner, auch er vor Ort, dankt am Abend den Demonstrierenden „für ihren Mut und Einsatz“.
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