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Umgang mit Verschwörungsideologie QAnonAls Psychose betrachten

Kommentar von Tilman Baumgärtel

Die QAnon-Ideen sind so abwegig, dass man sich eigentlich schämt, sie auszusprechen. Und doch ist es lehrreich, sie genauer zu betrachten.

QAnon gabs schon 2018: Trumpfans mit dem Q Foto: Brian Cahn/imago

A uf den Demonstrationen von Coronaleugnern in den letzten Wochen war immer wieder das Symbol der QAnon-Bewegung zu sehen. Auch in den sozialen Medien versucht man derzeit, diesen Verschwörungsmythos, der seinen Ursprung in den USA hat, in die deutschsprachige Debatte einzuschleusen.

Was die Anhänger dieses Kults glauben, ist so idiotisch, dass man sich eigentlich schämt, es wiederzugeben. Sie beziehen sich auf einen mysteriösen QAnon, angeblich ein ranghoher Regierungsmitarbeiter, der im Internet immer wieder unbelegte Anschuldigungen und Prophezeiungen in die Welt gesetzt hat, die sich mit schöner Regelmäßigkeit als falsch erwiesen.

So existiere angeblich in den USA ein Ring von Kinderschändern, die Minderjährige foltern und sie Politikern, Schauspielern, Mitgliedern der „Elite“ als Sexsklaven zuführen. Donald Trump sei von ranghohen Militärs ins Amt gebracht worden, um dieser „Kabale“ ein Ende zu bereiten. Darum sei auch der Corona-Lockdown inszeniert worden – um diese Kinder aus unterirdischen Tunneln im Central Park zu befreien.

Was zunächst ein Internetphänomen war, taucht inzwischen immer öfter auch im öffentlichen Raum auf. Propagandasender wie Fox oder Russia Today berichteten über QAnon. Auf Demos gegen Black-Lives-Matter-Kundgebungen findet sich das Q auf Transparenten und T-Shirts. Mehr als ein Dutzend republikanische Kandidaten für den US-Kongress haben sich zu dem Ver­schwörungsmythos bekannt. In Deutschland verzapft unter anderem Xavier Naidoo derartigen Unfug im Netz. Auch der Attentäter von Hanau verbreitete in seinem Bekennervideo ­QAnon-Nonsens.

Tilman Baumgärtel

ist Professor für Medienwissenschaft an der Hochschule Mainz. Bei Reclam hat er gerade das Buch „Texte zur Theorie des Internets“ veröffentlicht.

In den USA hat das FBI nach mehreren Anschlägen von Q-Anhängern die Bewegung als Terrorgefahr eingestuft. Auch der deutsche Verfassungsschutz wäre gut beraten, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen, das hierzulande weitere Gewalttaten triggern könnte – vielleicht schon am Wochenende, wenn Teilnehmer der verbotenen Demonstrationen von Coronaleugnern doch nach Berlin kommen und ihr Mütchen kühlen wollen.

Öffentlich verbreiteter Bockmist

Aber so abwegig die QAnon-Ideen auch sind, ist es dennoch instruktiv, sich diese Verschwörungserzählung genauer anzusehen, um zu verstehen, wieso sie allem gesunden Menschenverstand zum Trotz geglaubt wird. Es geht dabei nicht darum, „die Menschen zu verstehen“ – wer öffentlich so einen Bockmist verbreitet, hat das Recht verwirkt, ernst genommen zu werden. Eher muss man die QAnon-Masche betrachten wie ein Psychoanalytiker eine Psychose, die ja in verzerrter und vom Unterbewusstsein entstellter Form auch etwas über wirkliche Probleme des Patienten verrät.

So betrachtet, adressieren Verschwörungs­theo­retiker oft real existierende soziale Konflikte, für welche sie freilich vollkommen absurde Interpretationen und Lösungsvorschläge liefern. Schon der Slogan der Bewegung „Where We Go One We Go All“, der als Hashtag #WWG1WGA in den sozialen Medien kursiert – was er genau bedeuten soll, ist so unklar wie das meiste im Weltbild der Q-Anhänger –, verweist vielleicht auf ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Solidarität, die vielen nach vier Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung des amerikanischen Gemeinwesens fehlt.

Verschwörungsgläubige adressieren oft reale soziale Konflikte, liefern dafür aber absurde Interpretationen

Ein Bedürfnis, das von Parteien, Gewerkschaften oder Religion nicht mehr gestillt wird. Man könnte sich zwar auch politisch darüber empören, dass 1 Prozent der Amerikaner 30 Billionen Dollar besitzt, während der Durchschnittslohn in den USA seit 40 Jahren nicht mehr gestiegen ist. Oder darüber, dass die drei reichsten US-Bürger zusammen mehr Geld haben als die ärmsten 160 Million ihrer Landsleute, wobei Afroamerikaner überdurchschnittlich stark von Armut betroffen sind. Oder darüber, dass 45,7 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung haben.

Doch wem das zu kompliziert ist und wer für seine verständlichen Ängste vor sozialer Deklassierung ein einfaches Feindbild zum Abreagieren braucht, der findet es in angeblich gut vernetzten Eliten und „Globalisten“, die vermeintlich über dem Gesetz stehen und sich ungestraft an Kindern vergehen können. Leider finden sich immer auch Beispiele, die solche – oft antisemitisch konnotierten – Ansichten scheinbar unterfüttern.

US-Justiz funktioniert besser für Reiche

Der Banker Jeffrey Epstein konnte wirklich jahrzehntelang Minderjährige missbrauchen und war mit ­Celebritys von den Clintons über Trump bis Prinz Andrew befreundet. Nach seiner ersten Verurteilung 2006 wurde er von einem Richter, der später unter Donald Trump Arbeitsminister der USA wurde, vor einer ernst zu nehmenden Strafe bewahrt und konnte über ein Jahrzehnt weiter Halbwüchsige missbrauchen.

Donald Trump selbst hat damit geprahlt, dass er auf offener Straße jemanden erschießen könne, ohne dafür belangt zu werden – was bei einem Justizsystem, das vor allem für diejenigen funktioniert, die sich teure Anwälte leisten können, als Zuspitzung realer Ungerechtigkeit verstanden werden kann. Und was die „Globalisten“ betrifft – der Protest gegen die neoliberale, profitorientierte Globalisierung, die für weltweite Ausbeutung und Umweltzerstörung verantwortlich ist, ist seit den 90er Jahren ein linkes Projekt von Organisationen wie Attac.

Für solchen realpolitischen Widerstand wird man die Schreihälse, die sich gegenwärtig unter dem Banner von QAnon zusammenraufen, wohl nicht gewinnen können. Bei dieser Art von Faktenresistenz kann man nur darauf warten, dass ihr Treiben irgendwann langweilig wird. Aber linke Politik hat hier durchaus Ansatzpunkte für einen Aktivismus, der diese Probleme einfach mal angeht – etwa durch höhere Steuern für Reiche, die Abschaffung von Steuerparadiesen, Stärkung der Gewerkschaften, Krankenversicherung für alle und ein faires Justizsystem. Dass in den USA und auch in Deutschland allerhand im Argen liegt, ist nämlich keine Verschwörungstheorie.

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19 Kommentare

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  • Leider hat der Autor das absurdeste Elementan dieser Massenpsychose vergessen zu erwähnen - dass den Kindern Blut abgenommen wird, um Adrenochrom für die "Eliten" zu gewinnen.



    praxistipps.focus....ichkeit-ist_121431

  • "die vielen nach vier Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung des amerikanischen Gemeinwesens fehlt."

    Woran machen sich die "vier Jahrzehnte " fest? Daran, dass unter Obama die Sozialquote der USA von 15 auf 20 % stieg? studlib.de/8488/po...fahrtsstaat_zahlen

    Bitte ein wenig mehr QM bei Q-Themen.

  • Hier noch ein interessanter Versuch, das Q-Anon-Phänomen und seine Anhänger einzuordnen:



    www.spiegel.de/net...-a09f-8cb6e4a4db19

  • Na Mahlzeit -



    & Däh!



    “…Eher muss man die QAnon-Masche betrachten wie ein Psychoanalytiker eine Psychose, die ja in verzerrter und vom Unterbewusstsein entstellter Form auch etwas über wirkliche Probleme des Patienten verrät.“

    kurz - Dachte ich mir doch - daß ein Tilman Baumgärtel nicht der Psychiatrisierung das Wort redet.



    &



    Genau deswegen - ist die Überschrift wieder ein unbedarfter Griff ins Klo.



    Korrekt: “Wie eine Psychose betrachten“



    “Als“ - bitte streichen. Gellewelle.



    &



    Dank im Voraus

    unterm——- servíce —-



    “Psychiatrisierung, Begriff, der die Ausschaltung politisch mißliebiger Personen durch Einweisung in die Psychiatrie umfaßt: Psychiatrie als Mittel politischer Unterdrückung, indem bei Regimegegnern psychische Störungen diagnostiziert werden.“



    www.spektrum.de/le...iatrisierung/12013

    kurz - Liggers. Sprache ist nicht immer leicht. Aber lernbar. Nur Mut.



    Das wird.

    unterm —— 2 —-Der Rheinländer - klar



    Macht sichs mit - alswie - etwas einfach.

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - fügt an -

      “ Das ist halt bayrischer Komparativ. Beispiel? "Ich bin genauso größer als wie Söder." “

      klar - Dito: “Weil - der Ball - wo ich gestern ins Tor geschossen habe - ist rund.“

  • "verweist vielleicht auf ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Solidarität, die vielen nach vier Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung des amerikanischen Gemeinwesens fehlt"



    .



    Et voilá!



    Und wenn er auch Professor ist, kann ich ihn nicht ernstnehmen, wenn er den QuAnon-Verschwörungstheorieen die Neoliberalismus-Verschwörungstheorieen entgegenstellt.



    Wo sich bei den einen "Eliten und „Globalisten“ vernetze, um alle möglichen Gräuel zu begehen, vernetzen sich bei den anderen "Eliten und „Globalisten“, um alle möglichen, angeblich unterdrockten, angeblichen Minderheiten auszunutzen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Hat nicht jede Religion irgendwie als psychische Störung angefangen? Ob nun durch externe oder interne Drogen ausgelöst?

  • Der ganze Schwachsinn nimmt m. E. in der medialen Berichterstattung viel zu viel Raum ein. Dadurch wird diesen absurden Theorien und dieser merkwürdigen "Bewegung" mehr Bedeutung zugemessen, als sie in der Realität tatsächlich besitzen - bei aller Gefahr, die davon ausgeht. Es sind letzten Endes eben doch nur Spinner, ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung. Solche Verirrten hat es immer schon gegeben und wird es - natürlich, was sonst - auch immer geben.

    • @Trigger:

      Da täuschen sie sich aber GANZ gewaltig. Allein in den USA gibt es Millionen Anhänger. - Auch republikanische Politiker, übrigens, de.wikipedia.org/wiki/QAnon

    • @Trigger:

      Aber gerade, weil es solche Spinner immer geben wird, ist es Aufgabe der Medien, darauf aufmerksam zu machen, Hintergründe zu betrachten und zu veröffentlichen.

  • Meine Theorie ist, dass diese Verschwörungstheorien lose mit realen Fällen verknüpft sind, genauer gesagt Dutroux und Epstein. Im Fall von Dutroux hat sich tatsächlich herausgestellt, dass dieser bis in die belgische Regierung hineinreicht. Während der Ermittlungen sind wichtige Zeugen gestorben und eine erschöpfende Auflösung des Falls wurde ewig verschleppt. Der Fall Epstein ist auch nicht gerade eine Glanzleistung der Behörden, da hätte auch Jahre früher eingegriffen werden können.

    Würde mich nicht wundern, wenn unter QAnon-Anhängern/-Theoretikern auch Opfer von früheren Missbrauchsfällen stecken, die jetzt auf welche Art auch immer Gerechtigkeit suchen.

    Verschwörungstheoretiker leben von Geheimniskrämerei, Korruption und Lügen. Eigentlich muss man sagen, dass es in den USA und D vergleichsweise wenige Verschwörungstheorien gibt.

    • @hey87654676:

      Das mit den Opfer von früheren Missbrauchsfällen unter QAnon-Anhängern/-Theoretikern ist ein guter Ansatz. Man stelle sich nur mal vor, wie ohnmächtig sich ein Opfer fühlen muss, wenn der Täter ganz offensichtlich von oben gedeckt wird.

      Da verliert man den Glauben an jede Autorität. Und ein Teil der Kopf-Schwanz-ab-für-Kinderschänder-Fraktion stimmt dann in solche kruden Theorien mit ein.

  • Auch vielen Dank für den Artikel.

    “Darum sei auch der Corona-Lockdown inszeniert worden – um diese Kinder aus unterirdischen Tunneln im Central Park zu befreien.“

    Gleichzeitig wird der Lockdown von den gleichen Pappnasen und Volldeppen angefeindet, anstatt gewollt zu werden. Sehr widersprüchlich, aber die Erkenntnis von Unsinnigkeit hat leider keinen Einfluss auf Menschen die nicht recht bei Verstand sind. QAnon ist mit Abstand die gruseligste Gruppierung in der westlichen Welt. Diese Leute sind wirklich zu allem bereit.

  • Sehr guter Artikel, jedoch darauf zu vertrauen, das sich das Phänomen aus Langeweile von selbst auflöst ist verkehrt, da die Spinnerei immer weiter geht, ein sich selbst erhaltenes Narrativ. Man wird wohl weiter therapieren müssen und da wo nötig mit klarer Kanteabgrenzen.

  • Super Artikel 👍

    • @Mr Plagiārius:

      Wo ist der Artikel super? Die Lösung der Ankündigung "genauer anschauen" wird nicht gegeben.



      Es werden ein paar "theorien" aufgezählt und dann erwähnt, was in der Gesellschaft sonst nicht stimmt. Aber es gibt keine Kausalität dazwischen. Schlimmer noch, anscheinend folgen auch einige priviligierte, reiche Weisse den "theorien". Die dienen also nicht zur Kompensation von Ungerechtigkeiten.

  • Irgendwie erinnert mich das ganze an die Pastafari-Bewegung [1]. Mit dem kleinen Unterschied, dass die meisten der Pastafarians sich darüber bewusst sind, dass das ein satirischer Spass ist... hoffentlich?

    Dort, wo dann die Grenze zwischen Hoax und Ernst dünn und durchlässig wird beginnt vermutlich der Wahnsinn. Es gibt dann die, die das Ganze "for profit" befeuern, und die Massenpsychotiker*innen, die sich mit mal mehr, mal weniger Selbstverantwortung der psychotischen Spaltung hingeben.

    Vielleicht sollten die Städte mehr kostenloses Bungee Jumping anbieten. Was weiss ich.

    Dass das mit der zunehmenden sozialen Verwahrlosung korreliert ist jedenfalls eine naheliegende Vermutung; auf der anderen Seite hatten wir in anderen Zeiten des Umbruchs ähnliche Phänomene (von den Kinderkreuzzügen bis hin zu den evangelikalen Strömungen des 18. Jahrhunderts (die jetzt mal wieder zu erstarken scheinen).

    [1] en.wikipedia.org/wiki/Pastafari



    [2] en.wikipedia.org/wiki/Bungee

  • Na ja, wer glaubt die Bibel (insbesondere die Englische die aus dem Deutschen übersetzt worden sein dürfte die aus dem Lateinischen übersetzt sein dürfte,...) sei Wort für Wort wahr, Jesus ein weiser Europäer,... der glaubt auch an Sexsklaven in Tunneln unter dem Central Park die sich demokratische Kanaibalenvampire zum eigenen Vergnügen halten.

    Und diese Spinner haben > 8000 Atomwaffen und reden uns ein Iran und Nordkorea bedrohen die Welt.

    • @danny schneider:

      "die Bibel (insbesondere die Englische die aus dem Deutschen übersetzt worden sein dürfte die aus dem Lateinischen übersetzt sein dürfte,...)"



      Kleine nebensächliche Anmerkung: Bereits Luther benutzte hebräische und griechische Ausgaben, das war bei der King James Bibel nicht anders, und alles andere als sich auf den Originaltext zu stützen wäre heute lächerlich.