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Debatte um DemonstrationsrechtWer bringt die Demokratie in Gefahr?

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Bei einer propalästinensischen Demonstration wurde ein Polizist verletzt. In Berlin werden Rufe nach einem schärferen Demonstrationsrecht laut.

Bei der Demonstration in Berlin am Nakba-Tag Foto: Christophe Gateau/picture alliance/dpa

S ind propalästinensische De­monstrant:innen, auch wenn sie mit ihren Parolen die Existenz Israels infrage stellen und mitunter gewalttätig sind, eine größere Gefahr für die Demokratie als regierende Politiker:innen, die mit Hinweis auf jene Klientel allzu bereitwillig demokratische Grundrechte einschränken wollen?

Diese Frage stellt sich derzeit in Berlin. Anlass dafür war eine Kundgebung zum Nakba-Tag, der an Flucht und Vertreibung von Palästinenser:in­nen bei der israelischen Staatsgründung 1948 erinnert. Die von der Polizei auf eine Kundgebung beschränkte Versammlung in Kreuzberg fabrizierte geradezu hysterische Schlagzeilen wegen eines schwer verletzten Polizisten. Dieser sei, so hieß es von der Polizei, „in eine Menschenmenge gezogen und dort niedergetrampelt“ worden.

Berlins SPD-Chef und Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel sprach von einem „Mordversuch“. Das Springer-Medium B.Z. titelte mit einer Forderung eines CDU-Bundestagsabgeordneten ganz im NPD-, also AfD-Stil: „Palästina-Prügler raus aus Deutschland!“

Gewalt und Tumulte

Nur: Wie die taz recherchierte, konnten Videos der Szenerie den Vorwurf eines gezielten, gewalttätigen Angriffs nicht bestätigen. Zu sehen ist dagegen, wie Polizisten gewaltsam in die Menge gehen, um einen Demonstranten festzunehmen. Dabei kommt es zu Tumulten, in denen der betroffene Polizist ohne Zutun von Demonstranten einmal zu Boden gedrückt wird, kurz darauf aber wieder um sich schlägt. Am Ende des Einsatzes bricht er zusammen, hat Prellungen und eine Fraktur am Arm. Wie genau die zustande gekommen ist, lässt sich nicht auflösen.

Doch so unklar der Verlauf ist, so sicher waren sich Politiker von CDU und SPD im Anschluss mit ihren Forderungen nach einer Verschärfung des Versammlungsgesetzes. Das gilt seit seiner Verabschiedung durch den Vorgängersenat vor fünf Jahren als das liberalste des Landes – ein „Versammlungsfreiheitsgesetz“.

Fragt man den CDU-Hardliner Burkhard Dregger, will er das Ganze ins Gegenteil verkehren und es so restriktiv ausgestalten wie nur möglich. Weil das Gesetz nicht dazu taugt, Angriffe auf Po­li­zis­t:in­nen zu verhindern, sollen nun die Möglichkeiten erweitert werden, Demonstrationen im Vorfeld zu verbieten. Bislang gilt dies nur in engen Grenzen, bei anzunehmender Gewalt, NS-Verherrlichung oder Verletzung der Menschenwürde. Ein Verbot antiisraelischer Demonstrationen war damit bisher schon möglich, ist aber immer wieder auch von Gerichten gekippt worden. Geht es nach CDU und SPD, sollen Verbote nun rechtssicherer werden.

Argumentiert wird dabei vor allem auch mit der steten Wiederholung von Slogans wie „From the river to the sea“ oder „Yallah Intifada“, die den meisten Polizeieinsätzen vorangehen. In der Konsequenz will man also lieber die Demonstrations- und Meinungsfreiheit einschränken, als weiter hören zu müssen, wie Israels Krieg in Gaza gegeißelt wird, auch wenn dies häufig auf eine Art und Weise geschieht, die unsachlich, grenzüberschreitend und menschenfeindlich ist.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eigentlich aber will die deutsche Politik, ideologisch eingemauert im Staatsräson-Diskurs und verschanzt hinter einem instrumentellen Verständnis von Antisemitismus, gar keine Kritik an Israels Krieg und der eigenen Verflechtung hören; nicht von den Zehntausenden Toten, der Zerstörung aller Lebensgrundlagen, dem Aushungern und den Vertreibungsplänen.

Auf der Seite der De­mons­tran­t:in­nen treibt der Trotz seine Blüten, auch der Hang zu einem gewissen Märtyrertum. Die Fronten sind verhärtet. Ein Einschränken des Demonstrationsrechts dreht diese Spirale weiter.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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3 Kommentare

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  • Für etwelche Verschärfungen besteht mE keinerlei Anlaß & schon gar nicht aufgrund der inkriminierten Vorgänge bei der Nakba-Demo in Berlin.

    Habe mir das im Netz abrufbare Video-Material angeschaut. Auf seiten der Polizei - sind mehrfach erhebliche Dienstpflichtverletzungen zu konstatieren: es ist scheinbar Polizisten nicht zu verklaren bzw abzugewöhnen - daß pflichtwidrig & strafbar ist - auch im Zusammenhang mit Absperrgittern auf gegenüberstehende Demonstranten mittels “Rüberlangen“ polizeihandschuhbewert (ca 200g) - verzugsweise ins Gesicht zu schlagen •

    VERZ POLIZEILICHES PRÜFSCHEMA

    VERHÄLTNISSMÄSSIGKEIT



    ERFORDERLICHKEIT



    RECHTMÄSSIGKEIT



    ZWECKMÄSSIGKEIT



    Ist ersichtlich in keiner Weise gewahrt •



    &



    Das gilt uneingeschränkt für die Schlüsselszene betreffend den später als verletzt gemeldeten Gruppenführer (Nr Identität) gut erkennbar ohne Helm ersichtlich ohne jeglichen Anlaß & im Übermaß auf einen Demonstranten “mittels Kopftreffern - sorry - eindrischt!“ (anders nicht beschreibbar)



    Zu der sog. Festnahme eines/des Demonstranten ist kein relevanter Anlaß erkennbar & VERZ - dürfte ebenfalls nicht gewahrt sein!



    =>Verletzter Polizist bei Nakba-Demo



    Im Zweifel für Demoverbote

    • @Lowandorder:

      Link aE

      taz.de/Verletzter-...6&s=Berlin%2Bdemo/



      Eigenzitat -



      “…Ausgangspunkt jeglicher polizeilicher Handlung “Eingreifens“ & gerade bei zeitlich gesteckten Lebebsabläufen in jeder Phase ist



      VERZ



      POLIZEILICHES PRÜFSCHEMA



      VERHÄLTNISSMÄSSIGKEIT

      ERFORDERLICHKEIT

      RECHTMÄSSIGKEIT

      ZWECKMÄSSIGKEIT



      Das sehe ich - die Videos kenn ich nicht - spätestens beim ”Eindringen in die Demonstrantenmenge offensichtlich zum Zwecke einer Festnahme“ mit Rücksicht auf das Gewicht des ausgeübten Grundrechts “Unterpfand unserer Demokratie“ (Karlsruhe Brockdorfbeschluß!) & dem geringen Gewicht einer möglichen Rechtsverletzung nicht als gewahrt an •…“

  • Wenn öffentlicher Raum zum gesicherten Schutzraum für staatliche Sicherheitskräfte wird, dann haben wir einen Polizeistaat. Eine „offene Gesellschaft“ muss ein labiles Gleichgewicht von staatlicher Ordnung und gesellschaftlicher Unordnung aushalten können.

    Der Unterschied zwischen NormalbürgerIn und einer Polizeikraft ist doch, dass letztere ausgebildet, ausgerüstet und in engem Rahmen berechtigt ist, (tödliche) Gewalt gegen andere auszuüben. Das alles nicht, weil sie ein einfacher Normalbürger, der sich vor jeder vermeidbaren Gefährdung drücken kann, ist, sondern weil sie beauftragt ist, die staatliche und öffentliche Ordnung aufrecht und, wenn nötig, unter Inkaufnahme von Risiken für die eigene Gesundheit und das eigene Leben, zu verteidigen.