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Debatte um Corona-ImpfpflichtMehrheit dafür, Politik dagegen

Braucht es eine Corona-Impfpflicht, zumindest für bestimmte Berufe? Wissenschaftler:in­nen und Bevölkerung sagen ja. Doch was sagt das Recht?

Die Zahl der freien Intensivbetten wird immer knapper – auch weil die Impfquote zu niedrig ist Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

Wir brauchen eine partielle Impfpflicht, insbesondere für bestimmte Berufsgruppen“, forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Mittwoch. „Das ist dringend notwendig, mindestens in sensiblen Bereichen, beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.“

Auch die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina forderte an diesem Mittwoch eine „Impfpflicht für Multiplikatorengruppen“. Gemeint sind insbesondere Pflegekräfte und Leh­re­r:in­nen. Eine schnelle Umsetzung der Forderung ist aber nicht zu erwarten. Die Politik ist überwiegend zurückhaltend – obwohl eine Corona-Impfpflicht rechtlich durchaus möglich wäre.

Die Diskussion über eine Impfpflicht kommt immer wieder auf. Angesichts der enorm steigenden Fallzahlen und der teilweise bereits überlasteten Intensivstationen hat sich auch die Stimmung in der Bevölkerung gedreht. Laut einer vom TV-Sender RTL veröffentlichten Forsa-Umfrage waren 53 Prozent der Bun­des­bür­ge­r:in­nen für eine allgemeine Corona-Impfpflicht. Im August waren es nur 33 Prozent. Sogar 74 Prozent der Befragten befürworten inzwischen eine Impfpflicht für Pflegekräfte, Kita-Personal und Lehrer:innen.

In der Politik wird eine solche Pflicht aber weiterhin mit großer Mehrheit abgelehnt. Als der Stuttgarter Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) vorige Woche eine Impfpflicht für Pflegekräfte forderte, stellten sich seine Kol­le­g:in­nen bei der Gesundheitsministerkonferenz fast einhellig dagegen.

Das Argument: Man wolle die Spannungen in der Bevölkerung nicht vertiefen. Außerdem sei nichts gewonnen, wenn ungeimpfte Pflegekräfte dann den Job aufgeben, statt sich impfen zu lassen. Aus diesen Gründen hat auch die kommende Ampelkoalition keine Impfpflicht in ihren aktuellen Gesetzentwurf zum Infektionsschutzgesetz aufgenommen.

Die Impfpflicht könnte mit dem Schutz der Bevölkerung begründet werden

Der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verwies am Mittwoch auf die bisherigen Zusagen der Politik, es werde in Deutschland keine Impfpflicht geben. Man dürfe jetzt „nicht wortbrüchig“ werden. Als Biontech vor einem Jahr seinen Impfstoff vorstellte, fiel die Zusage noch leicht. Damals wurde vermutet, dass „Herden­im­mu­ni­tät“ eintritt, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Diese Impfquote schien durch freiwillige Impfungen leicht erreichbar.

Dann aber kam im Frühjahr die deutlich ansteckendere Delta-Variante, und die Schwelle für die Herdenimmunität liegt nun bei 85 Prozent. Ein so hoher Anteil der Bevölkerung muss also geimpft oder genesen sein. Das scheint kaum noch machbar, zumal neue Umfragen zeigen, wie gefestigt die ablehnende Haltung vieler Impf­geg­ne­r:in­nen ist, die in der Impfung mehr Risiken als Nutzen sehen. Rechtlich wäre eine Impfpflicht aber durchaus möglich.

Der Bundestag geht selbst davon aus, schließlich hat auch er eine seit März 2020 geltende Masernimpfpflicht eingeführt. Sie gilt für alle Kita- und Schulkinder. Außerdem müssen Personen, die in Schulen, Kitas, Krankenhäusern, Arztpraxen und Flüchtlingsheimen arbeiten, eine Masernimpfung nachweisen. Wegen Corona wurde die Übergangsfrist für Beschäftigte allerdings bis Ende 2021 verlängert.

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend über die von Impf­skep­ti­ke­r:in­nen eingelegten Verfassungsbeschwerden entschieden. Im Mai 2020 lehnten die Karlsruher Richter zwar einen Antrag auf Eilanordnung gegen die Masernimpfpflicht ab. Doch die eigentlich für dieses Jahr erwartete Hauptsache-Entscheidung musste wegen der vielen Corona-Verfahren am Ersten Senat des Gerichts verschoben werden.

Klar ist jedenfalls, dass eine Impfpflicht für alle oder für bestimmte Berufsgruppen nur per Gesetz eingeführt werden könnte, da es sich um einen ­Eingriff in Grundrechte handelt. Dieser könnte mit dem Schutz der Bevölkerung und des Gesundheitssystems gerecht­fertigt werden. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht wäre dann zu prüfen, ob die Pflicht geeignet, erforderlich und zumutbar ist, die Ziele zu erreichen.

Zeitweise wurde argumentiert, eine Impfpflicht sei so lange nicht erforderlich (und damit unzulässig), wie die Herdenimmunität auch durch Appelle und Anreize erreicht werden kann. Doch angesichts der unter 70 Prozent stagnierenden Impfquote dürfte dieses Argument nun nicht mehr ziehen. Spannend könnte allenfalls die Prüfung der Zumut­barkeit werden. Hier muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, welchen Stellenwert der Glaube an wissenschaftliche Außenseitermeinungen hat. Es ist denkbar, dass die ­Rich­te­r:in­nen eine Ausnahme-­Regelung für hartnäckige Skep­ti­ke­r:in­nen für erforderlich halten.

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31 Kommentare

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  • Eine mögliche Antwort steht in Ihrem eigenen "der Check" von heute (13.):



    Bei jeder Pflichtimpfung muß der Staat für alle finanziellen Folgen von Impfschäden (Einkommensausfall z.B.) voll aufkommen. Keine Impfung ist frei von -- allerdings seltenen -- Schäden und aus der Zeit der Pockenimpfungen ist den Älteren das Procedere mit Gutachten und Entschädigung noch bekannt.



    Solange natürlich alles freiwillig ist und jeder die Impfung aus reiner Frackigkeit und eigener Vorliebe annimmt, hat er sich alle Folgen wie beim Skiunfall auch nur selbst zuzuschreiben. Und ja, für so mies und schofelig halte ich unsere wohlversorgte Berufspolitikerkaste tatsächlich.

  • Es ist das gleiche Ding wie immer: Wieviele Tode nimmt man für irgendetwas in Kauf (Corona, Verkehr, Klima, Zucker, Drogen ...) bis man gesetzliche Schritte einleitet.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Das zeigt doch v.a. eines, die Politiker wollen die Impfgegner als potenzielle Wähler nicht verprellen - das scheint ihr einziges Interesse zu sein.



    So nicht!

  • Impflicht jetzt!

    Oder eine verbindliche Patientenverfügung, daß eine Behandlung im Bedarfsfall unterlassen wird.

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    Eine Corona-Impflicht ist autoritär und mit den Grundrechten nicht vereinbar.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @75787 (Profil gelöscht):

      Hat die Mehrheit der Bürger kein Recht auf Unversehrtheit?



      Das ist doch alles jusristischer Scheiß!

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Mit welchen Grundrechten?



      Mit meinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit etwa, der ich nicht von einem Ungeimpften Asozialen angesteckt werden möchte?

      • @The Calif:

        Sie haben natürlich das Recht sich von den vielen geimpften Asozialen anstecken zu lassen. :-)

        Aber noch sinnvoller wäre es, Sie würden sich impfen lassen. Dann ist der Krankheitsverlauf für Sie auch erträglich.

        Und nebenbei gefragt: Haben Sie bereits eine Grippeschutzimpfung?

  • Lobbyismus lenkt und bremst. Da kann sich der Souverän auf den Kopf stellen.

  • Selbst hier ist jemand der versucht zu relativieren.



    Die Faktenlage von 100derten von Studien deuten alle in die selbe Richtung.

    Die 25% halten 75% in Geiselhaft und das aus irgendwelchen Ängsten.



    Es hilft niemand nicht, auch diesen 25% nicht, wenn wir das die ganze Zeit entschuldigen.

    • 4G
      45408 (Profil gelöscht)
      @Arjun G. G.:

      Frage: gibt es irgendwelche Zahlen, wer diese 25% eigentlich sind? Gehören dazu auch Unmengen von Kindern, für die es noch keine Impfempfehlung gibt? Mir fällt auf, dass viele der Impfunwilligen die ICH kenne, sich sehr gut mit medizinischen Themen auskennen (Ärzte, Schwestern, Pfleger). Wie hoch ist deren Anteil an den Nichtgeimpften?



      Zur Ergänzung: meine Familie und ich sind schon von Anfang an durchgeimpft.

  • Der Staat muß seine Bewohner schützen. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Impfen oder den Lock-Down für Ungeimpfte.

    • 7G
      75787 (Profil gelöscht)
      @Lars B.:

      In einem Staat, in dem täglich im Schnitt 1053 (Schwer-)Verletzte und neun Tote im Straßenverkehr gleichgültig hingenommen werden, wirkt eine Impfpflicht unglaubwürdig.

      • @75787 (Profil gelöscht):

        Neun ist etwas anderes als die 228 von heute. Zu den "Verletzten" gehört meine eigene doppelt geimpfte Tochter mit kurzem, glimpflichen Verlauf. In der Systematik wird allerdings der vollständige, jetzt lagsam zurückgehende Verlust des Geruchssinns unter die "schweren Verläufe" gerechnet.

      • @75787 (Profil gelöscht):

        Für den Straßenverkehr gibt es Regeln - die Straßenverkehrsordnung. Wenn Sie so wollen der staatliche Beitrag zu unserem Schutz. Wer am Straßenverkehr teilnimmt muß schon so einige Dinge beachten.



        Und wenn Sie Äpfel mit Birnen vergleichen möchten weil beides Obst ist, so können Sie das weiterhin gerne tun, es löst nur kein Problem und zeigt, daß Sie die Sache nicht ernst genug nehmen.

      • @75787 (Profil gelöscht):

        Der Vergleich ist einfach blödsinnig. Auch wenn man das eine (richtig, der Schutz im Verkehr ist stark verbesserungfähig) lässt, ist das doch kein Grund das andere auch zu lassen. Mit demselben Trick könnte man die Regulierung des Verkehrs verhindern, indem man ein anderes Problem als noch wichtiger und noch unbearbeiteter deklariert. Es geht doch auch nicht um Glaubwürdigkeit sondern um staatliches Handeln in einem akuten Krisenfall.

      • @75787 (Profil gelöscht):

        Täglich Hunderte Covid-Tote.

      • @75787 (Profil gelöscht):

        In einer Situation, in der täglich mehere 10.000 an Covid-19 neu erkranken und täglich hunderte Menschen an Covid-19 sterben, ist so ein Vergleich unzutreffend, menschenverachtend und lächerlich.

  • Wir erleben ein Paradebeispiel für 'German Angst' in der Politik.



    Zögern, Zaudern, Relativieren. Feigheit vor Konflikten wird als Nachdenklichkeit verkauft. Der unendliche Abwägungsprozess wird zum Selbstzweck. Politiker*innen trauen ihrer eigenen Ethik nicht und befördern damit Bedingungen für irrationalen Befindlichkeitsradikalismus, den sie vorgeben verhindern zu wollen.



    Im Handlungsvakuum der Verantwortlichen machen es sich die Kaffeesatzleser*innen bequem.

    • @Jossito:

      Guter Beitrag.



      "German Angest" ist das Prädikat von Frau Merkel. Für mich steht dieses Verhalten für ihre Politik wie keine andere Beschreibung. Sie hat sich von Beginn ihrer Amtszeit erst spät und dann oft nach dem Mainstream zu Wort gemeldet, wenn es um wichtige und dringende Themen ging. Zum Glück geht sie jetzt in den Ruhestand, Schaden genug hat sie angerichtet.

  • > Dann aber kam im Frühjahr die deutlich ansteckendere Delta-Variante und die Schwelle für die Herdenimmunität liegt nun bei 85 Prozent.

    An dieser Aussage sind gleich mehrere Dinge falsch. Zum einen ist das Konzept "Herdenimmunität" nicht wirklich passend, denn die deutsche Bevölkerung ist keine homogene Herde. Um z.B. 85% Geimpfte zu erreichen, müsste praktisch fast jeder über 12 geimpft sein. Dann hat man aber immer noch eine ungeschützte Bevölkerungsgruppe mit vielen Kontakten untereinander, in der sich das Virus wunderbar verbreiten kann.

    Die 85% sind ein theoretischer, vom r0-Wert der Delta-Variante abgeleiteter Wert. Dabei geht man allerdings davon aus, dass Geimpfte für das Infektionsgeschehen keine Rolle mehr spielen. Wie wir schon länger wissen, trifft das jedoch nicht zu. Die Wirksamkeit der derzeitigen Impfstoffe nimmt schon wenige Monate nach der Impfung rapide ab. Vermutlich wäre mit diesen auch bei



    nahezu 100% Durchimpfung (zumindest wenn nicht alle in einem kurzen Zeitraum geimpft werden) keine Herdenimmunität erreichbar.

    Also bitte, liebe Journalisten, lasst das tote Pferd Herdenimmunität doch endlich mal in Ruhe.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Trollator:

      Sie wissen schon, dass es in der Realität zwischen 0 und 1 Zahlen gibt?



      85,% ist besser als 70, ausrotten können sie das Virus eh nicht. Das bleibt uns erhalten.



      Aber weniger zur gleichen Zeit infiziert ist ein Fortschritt.

  • Impfpflicht für alle. Sofort. Damit sich die Menschheit endlich der wesentlich größeren Herausforderung stellen kann: der Klimakatastrophe. Die pausiert nicht wegen Corona.

    • 4G
      45408 (Profil gelöscht)
      @Birgit Deter:

      Die absolut größte Herausforderung der Menschheit ist die Bevölkerungsexplosion. Das ist die HAUPTURSACHE der Klimakatastrophe.

      • @45408 (Profil gelöscht):

        Leider wahr. Ein weiterer großer Faktor ist unser Verbrauch an Konsumgütern wie Kleidung. In Europa, Nordamerike und Ostasien (China, Taiwan, Japan, Korea) ist die Nutzungsdauer von Kleidung enorm rediziert und vom Markt wird uns billige Kleidung schnell verfügbar zur Verfügung gestellt. Es gibt so einige Stellschrauben in unserem täglichen Leben, die mal neu justiert werden müssen.

      • @45408 (Profil gelöscht):

        Das ist so ein Unsinn. Das Problem ist, wie der reichere Teil, also wir, leben. Ihre Anmerkung hat auch wirklich nichts mit der Frage der Impfpflicht zu tun, es sei denn Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass uns ein bisschen Schwund ganz gut tut würde. Das aber wäre zynisch und menschenverachtend.

  • Ich bin Tempolimit-Skeptiker.



    Ich glaube nicht daran, dass ein.geringeres Tempo zu weniger Unfällen führt.



    Und weil ich nie einen Unfall hatte, ist bewiesen, dass ich auch bei Tempo 80 in der Stadt telefonieren kann.



    Wo kann ich meine Ausnahmeerlaubnis beantragen?

    • @mensch meier:

      Ich schließe mich an. Ich hab mich schon wegen unangenehmer Gefühle beim morgendlichen Aufstehen von der Arbeit befreien lassen. Bei vollem Lohn. Wer das asozial findet, ist eine Diktatur.

    • @mensch meier:

      Nicht nur das! Tempolimits sind autoritär und mit den Grundrechten nicht vereinbar.

  • Impfpflicht - JA



    Zumindest für Personen mit viel nahen Kontakten (Pflege, Lehrer, etc.)



    Frankreich ist da weiter.