Das Deutschlandticket: Revolution für 49 Euro
Endlich gibt es einen deutschlandweiten Bus- und Bahntarif. Aber das Nörgeln geht schon los. Dabei sollten wir es feiern, findet unser*e Kolumnist*in.
D as Deutschlandticket ist da, endlich! Aber alles geht viel unspektakulärer zu als erwartet. Die Einführung des 49-Euro-Universaltickets versickert im Bahnalltag zwischen überfüllten Zügen, schlecht ausgebauten Verbindungen ins Umland und nervenaufreibender Kommunikation der Bahn. Dabei ist das Ticket die größte Revolution des nahen Nah- und nicht ganz so nahen Nahverkehrs der letzten Jahrzehnte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Liest man sich aber durch diverse Meinungsbeiträge, bekommt man den Eindruck, es herrsche ein Wettbewerb darum, welche gesellschaftliche Gruppe mehr oder weniger und vor allem unberechtigterweise vom Deutschlandticket profitieren würde. Hier sind es die „woken linksliberalen Vorstadtmilieus“, die jetzt auf Kosten der Landbevölkerung durch die Nation tingeln würden. An anderer Stelle wird von der „größten Katastrophe des Nahverkehrs in Deutschland“ geschrieben. In der Berliner Zeitung wünscht sich Wirtschaftsprofessor Christian Böttger, dass der neue Tarif schnell wieder abgeschafft wird.
Bloß nicht! Der neue Tarif ist das Beste, was dem Nahverkehr seit Jahrzehnten passiert ist, und wir sollten ihn entsprechend feiern, anstatt ihn schlechtzureden. Selbst in den Großstädten, in denen schon ein einigermaßen attraktives ÖPNV-Angebot bestand, kostet das Monatsticket jetzt teilweise nur noch die Hälfte oder sogar ein Drittel.
Wer, wie ich, in einer Grenzregion zwischen Bundesländern lebt, bekommt zum ersten Mal einen erschwinglichen ÖPNV-Tarif für das ganze Umland, ohne gleich die linke Niere verkaufen zu müssen. Wie oft habe ich, nur um von Mainz ins rund 15 Kilometer entfernte Ingelheim zu kommen, das Vier- oder Fünffache dessen bezahlt, was mich eine Autofahrt inklusive Parkgebühr gekostet hätte? Wie oft bin genau deshalb mit dem Auto gefahren? Wer so tut, als wäre das keine radikale Änderung, wie Bus und Bahn sich in die Wahl des Verkehrsmittels integrieren, fährt entweder ohnehin nie damit oder lebt wirklich nur in der Innenstadt.
Ich habe dieses Problem im Aufsichtsrat der Mainzer Verkehrsgesellschaft in den letzten vier Jahren in fast jeder Sitzung angesprochen: Wieso kostet es sieben Euro, in einen benachbarten Ort zu fahren? Für eine Einzelstrecke. „Bis sie eine neue Einigung mit einem benachbarten Verkehrsverbund aushandeln, vergehen Jahre“, hieß es immer. Diese unerklärbaren Preise sagen uns: Der ÖPNV ist ein Flickenteppich, wenn du günstiger von A nach B fahren willst, nimm das Auto. Das ist jetzt vorbei.
Verkehrswende für alle
Es stimmt, dass das Deutschlandticket keine einzige neue Buslinie schafft und damit nicht per se für soziale Gerechtigkeit in der Mobilität sorgt. Aber es macht den ÖPNV attraktiver und schafft eine Grundlage für die Verkehrswende. Denn dass ich mir, je nach Reiseziel, Gedanken über Tarifzonen, Verkehrsverbünde und mein Bundesland machen muss, oder ob das jetzt zu viele Waben sind (was sollen Waben überhaupt sein?) – das ist kein Zustand. Auch durch dieses Chaos hat das Auto gesellschaftlich so einen hohen Stellenwert, weil es für viele die bequemste Möglichkeit war, mobil zu sein.
Es geht bei dem neuen Tarif auch um Mobilitätsgerechtigkeit für alle, die kein Auto haben. Klar kann man darüber nörgeln, dass das 9-Euro-Ticket gerade viel von älteren Menschen genutzt wurde, um Verwandte und Bekannte zu besuchen. Für zusätzliche Trips also. Oder man freut sich, dass es für Beteiligung gesorgt hat. Und das hat sehr wohl etwas mit der Verkehrswende zu tun.
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