Corona und Kontaktregeln für Kinder: Lasst die Kinder frei!

Kinder mit gutem Immunsystem sind trotz Corona füreinander ungefährlich. Doch die Kontaktverbote treffen sie am härtesten. Zeit, das zu ändern.

Eine Kinderwippe mit Absperrband

Schaukel-Ente auf einem abgesperrten Spielplatz in Leipzig Foto: Sebastian Willnow/dpa

Kinderbetreuung zu, Freunde weg, Oma verboten, Spiel- Sportplätze abgeriegelt, rausgehen nur noch mit Eltern: Die aktuellen Regelungen zur Pandemieprävention treffen Kinder unverhältnismäßig hart, und damit wiederum ihre Angehörigen. Denn Kinder werden nicht nur aus ihren gewohnten Sozialbezügen außerhalb der Kernfamilie gerissen, sie dürfen faktisch auch nicht mehr mit anderen draußen toben und spielen. Damit entfällt für sie jedoch die wichtigste – und auch gesündeste – Beschäftigungs- und Entspannungsmöglichkeit. Das trifft wiederum die Eltern und hier oft die Mütter, die zusehen müssen, wie sie mit ihrem Nachwuchs durch den zähen Tag kommen.

Denn oft sind es die Mütter, die ins Homeoffice gehen (also in die Küche, ins Schlaf- oder Wohnzimmer), während sie gleichzeitig aufräumen, kochen, Kinderstreit schlichten, Lehrer spielen und an der digitalen Technik basteln, um Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. Vor allem für Familien und Alleinerziehende in den Großstädten bedeutet dies Stress und Überforde­rung, nicht selten auch eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz, denn einen Acht-Stunden-Tag kann so niemand einhalten. Zu den Großeltern sollen die Kinder aber auch nicht, womit eine wichtige Abwechslung und Betreuungsalternati­ve entfällt. Das erhöht den Druck und Stress für die einen und macht die anderen traurig.

Dabei sind Kinder, und in abgeschwächter Form Frauen, allen Statistiken zufolge, die bislang über die Verbreitung des Virus, Krankheitsverläufe und Sterbefälle vorliegen, am wenigsten gefährdet. Kinder scheinen das Virus aber auch nicht in dem Maße zu übertragen, wie es andere Bevölkerungsgruppen tun. Zu Unrecht werden sie derzeit mit der Gruppe junger Erwachse­ner in einen Gefährdungs“topf“ geworfen, die ganz andere Bewegungsradien und Kontaktbedürfnisse haben.

Auch ist nicht nachvollziehbar, warum es erlaubt ist, dass Menschen, die einander nicht kennen, eng gedrängt in Bus und Bahn zur Arbeit fahren, Kinder jedoch nicht einmal ihre besten Freunde sehen dürfen.

Die aktuellen Regelungen haben insofern eine große sozial-, gender- und kohortenpolitische Unwucht. Gerade für Kita- und Grundschulkinder bis zu 12 Jahren und für die sie betreuenden Personen sollte es bald zu passgenaueren, sozialverträglicheren und bedürfnisorientierteren Regelungen kommen. Eine zielgruppenorientiertere Risikobetrachtung und -abwägung könnte ermöglichen, Kindern mehr Freiräume zu gewähren und dennoch die Risikogruppen weiter zu schützen.

Große sozialpolitische Unwucht

Hier soll dafür auf Basis einer Auswertung der vorliegenden Studien zu nachgewiesenen Infektionen, Krankheitsverläufen und Sterberaten im Zusammenhang mit Covid-19 eine wissensbasierte Diskussionsgrundlage geschaffen werden. In allen Ländern, für die Daten vorliegen, kam es bislang nur zu einer stark unterdurchschnitt­lichen Zahl von an Covid-19 erkrankten Kindern.

Kinder, die sich infizierten, hatten in den allermeisten Fällen keine oder nur leichte Krankheitssymptome. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigt: „Bisherigen Daten zufolge ist die Symptomatik von COVID-19 bei Kindern deutlich geringer ausgeprägt ist als bei Erwachsenen“. Warum Kinder weniger gefährdet sind als Erwachsene, ist bislang unklar. In medizinischen Fachkreisen wird vermutet, dass das angeborene Immunsystem von Kindern die Viren effektiver und damit auch schneller bekämpft.

Das heißt, Eltern brauchen keine Angst zu haben, dass ihre Kinder von schweren Krankheitsverläufen oder gar dem Tod bedroht sind, wenn sie sich infizieren (außer das Kind hat bestimmte Vorerkrankungen). Das heißt aber auch, Kinder stellen in Zusammenhang mit Covid-19 keine Belastung für das Gesundheitssystem dar, da sie in aller Regel nicht hospitalisiert werden müssen.

Auch Frauen sind allen bislang vorliegenden Statistiken zufolge signifikant weniger gefährdet als Männer. Im chinesischen Wuhan, für das bislang die umfangreichsten Auswertungen vorliegen, gab es zwar mehr infizierte Frauen als Männer. Frauen erkrankten jedoch seltener schwer oder gar tödlich: Dem chinesischen Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten zufolge lag die Sterberate von Frauen bei 1,7 Prozent gegenüber 2,8 Prozent bei Männern. Den bisherigen Studien zufolge, die auch das RKI zitiert, sind vor allem ältere Männer und Personen mit Vorerkran­kungen gefährdet. Am höchsten ist das Sterblichkeitsrisiko bei Männern über 79 Jahren und bei Erwachsenen ab 50 mit Herz-/Kreislauf­erkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankun­gen, Bluthochdruck und Krebs, davon wiederum bei Männern stärker als bei Frauen.

Kinder können nicht alleine joggen

Als medizinisch erwiesen gilt, dass sich das Risiko durch eine Diabetes-Erkrankung ebenso wie durch Herzkreislauferkrankungen und Bluthochdruck erhöhen. Dass Frauen ein insgesamt stärkeres Immunsystem haben, wird auch darauf zurückgeführt, dass sie in der Regel mehr und engere Kontakte mit Kindern haben. Sich wenig bewegen und Kontakte herunterzufahren, scheint jedenfalls auf Dauer nicht die beste Lösung zu sein.

Trotz der unterschiedlichen Risiken für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterliegen derzeit alle Altersgruppen, Männer wie Frauen, Gesunde und chronisch Kranke, Arme und Reiche, Menschen in der Stadt und auf dem Land, denselben Beschränkungen. Dabei wird weder nach dem Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben, noch nach sozialen oder emotionalen Bedürf­nissen unterschieden.

Die aktuellen Maßnahmen gelten für alle gleich – wirken aber nicht für alle gleich. Mit hochgezogenem Halstuch alleine durch den Park zu joggen, ist für Kinder keine Lösung. Spiel- und Sportplätze sollten daher schnellstens wieder geöffnet werden.

Es sollte nach sozial intelligenten Wegen gesucht werden, wie Sozialkontakte, die guttun und damit auch für ein gesundes Immunsystem wichtig sind, mit möglichst viel Abstand vollzogen werden können. Da für Kinder ein Abstand von 1,50 Metern nicht zielgruppengerecht ist, Kinder aber auch kaum gefährdet sind, sollten Treffen und Aktivitäten in stabilen Kleingruppen schnellstens wieder erlaubt werden.

Ziel sollte es sein, den Personenkreis, der über die Kinder in einen möglichen „Virenaustausch“ miteinander trifft, begrenzt zu halten. Das schafft mehr Freiheit für die Kinder und wichtige Betreuungsalternativen und Entlastung für Eltern, vor allem Alleinerziehende, die sich gezwungen sehen, im Home- beziehungsweite treffender: im Familienoffice zu arbeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Sandra Reuse ist Mutter zweier Kinder (5 und 11 J.) in Berlin. Sie arbeitete mehrere Jahre als Wissenschaftsjournalistin und ist heute Referentin in einem Bundesministerium.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.