Corona ist weiblich: Eine Krise der Frauen
In fast allen sozialen Aspekten trifft die Krankheit Frauen härter. Und das, obwohl oder gerade weil die den Laden wesentlich am Laufen halten.
Ein blauer Kittel kleidet sie, ihr Mund und ihre Nase sind von einer Atemmaske verdeckt. Mit gesenktem Blick und geschlossenen Augen legt sie ihre Arme kümmernd um Italien. Dieses Wandbild des venezianischen Künstlers Franco Rivolli ziert die Fassade eines Krankenhauses in der italienischen Kleinstadt Bergamo. Und es fasst die Krise, in der wir stecken, gut zusammen. Denn die Pandemie ist eine Krise der Frauen. Eine Krise, um die sich Frauen sorgen und kümmern. Aber auch eine Krise, unter der besonders Frauen leiden – und zwar nicht nur in Italien oder Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Auf den ersten Blick scheint diese Aussage falsch zu sein. Denn aktuelle Zahlen legen nahe, dass Covid-19 für Männer tödlicher ist als für Frauen. Doch in vielen Aspekten trifft die Pandemie sie härter.
Laut Bundesagentur für Arbeit arbeiten in den Berufszweigen, die in einer Krise wichtig sind, vermehrt Frauen: Das betrifft den Einzelhandel mit Nahrungsmitteln, die Krankenhäuser, Kindergärten oder Vorschulen. In einem durchschnittlichen deutschen Krankenhaus sind mehr als drei Viertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiblich. Und das ist nicht nur hier so. Laut der WHO arbeiten in dem Arbeitsbereich „Health Workforce“ 70 Prozent Frauen, das hat die Weltgesundheitsorganisation bei einer Untersuchung von 104 Ländern herausgefunden.
Es sind systemrelevante Berufe, die meist schlecht bezahlt sind und keine guten Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Pflegerinnen berichten von Überstunden und hoher körperlicher Belastung, seit Jahren wird von einem Notstand gesprochen. Nach Angaben von Verdi aus dem Jahr 2018 fehlen aktuell 80.000 Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern, das macht sich während einer Pandemie besonders bemerkbar. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund des intensiven Kontakts mit Menschen die Ansteckungsgefahr in diesen Jobs extrem hoch ist. Während sich also viele Arbeitende ins Homeoffice verlegen konnten, sind Kassierer:innen, Pfleger:innen oder Erzieher:innen ständig mit hustenden oder vielleicht infizierten Menschen in Kontakt.
Mehr Fürsorge, weniger Geld
Frauen halten nicht nur in der Öffentlichkeit den Laden zusammen, sondern meist auch im eigenen Daheim. Viele Angestellte haben ihren Arbeitsort in den vergangenen Tagen und Wochen nach Hause verlegt. Da Schulen, Kitas und andere Einrichtungen geschlossen sind, müssen Kinder rund um die Uhr betreut werden.
Und nicht nur die – eine Pandemie fordert auch mehr Fürsorge um Kranke oder Alte, seien es die Eltern, Großeltern, Freund:innen oder Nachbar:innen. Neben der Lohnarbeit steigt die Care-Arbeit, und die übernehmen laut Umfragen meist Frauen. Denn die Entscheidung darüber, wer die Fürsorgearbeit übernimmt, folgt meist „logischen“ Überlegungen. Wer ist flexibler im Job? Wer Hauptverdiener:in? Wer kann beruflich eher zurückstecken? Da Frauen vermehrt in Teilzeit oder in Minijobs arbeiten, führt das dazu, dass sie vermehrt Care-Arbeit übernehmen und damit bestehende Strukturen verfestigt werden.
Besonders hart trifft die Situation dabei Alleinerziehende. Und davon gibt es viele. 2018 gab es 1,5 Millionen Alleinerziehende – die große Mehrheit davon Frauen. Für sie besteht meist nicht die Möglichkeit, die Care-Arbeit mit eine:r Partner:in zu teilen. Selbst die, die es sich finanziell leisten könnten, können nicht mehr auf Nannys oder Tagesmütter zurückgreifen, da diese aus Risikogründen nicht mehr arbeiten dürfen.
Trigger für Gewalt
Kontaktverbote oder Ausgangssperren sollen gegen die schnelle Ausbreitung des Virus helfen. Doch gleichzeitig zwingt es Menschen, auf engstem Raum viel Zeit mit Partner:innen, Familie oder Mitbewohner:innen zu verbringen. Diese Isolation fördert häusliche Gewalt – und das eigene Zuhause ist laut einer aktuellen UNO-Studie ohnehin schon der gefährlichste Ort für Frauen. Kaum einer bekommt mit, was hinter den geschlossenen Türen passiert. Die Frauenhäuser sind überfüllt und auch andere Angebote, wie Nottelefone, können häufig nicht genutzt werden, da der Partner es mitbekommen würde. In einer Quarantänesituation steigt zudem der Alkoholkonsum, der Stress und es kommt zu finanziellen Schwierigkeiten.
Das sind Trigger für Gewalt. Studien zufolge ist die Partnerschaftsgewalt nach Krisen wie dem Hurricane „Katrina“ in den USA um 53 Prozent gestiegen. Und auch in Deutschland rechnen Frauenberatungsstellen aktuell mit einer Zunahme von häuslicher und sexualisierter Gewalt und schlussendlich auch mit Femiziden. In chinesischen Städten sind laut der Frauenrechts-NGO Weiping die Notanrufe im letzten Monat um ein Dreifaches gestiegen.
Für ungewollt Schwangere wird es zudem schwieriger, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, das legt eine gemeinsame Recherche von taz und Buzzfeed nahe. Denn um einen Abbruch durchzuführen, müssen die Schwangeren verschiedene Termine außer Haus wahrnehmen. Das betrifft Pflichtberatung, eine gynäkologische Untersuchung, eine Ultraschalluntersuchung, den Abbruch selbst und eine Nachuntersuchung außer Haus. Das ist mit den Isolationsvorgaben nur schwer zu vereinbaren. Aus diesem Grund warnen Netzwerke wie Doctors for Choice und Pro Choice in einem gemeinsamen Brief: „Wir befürchten, dass Frauen wieder zu ‚unsicheren Abtreibungsmethoden‘ greifen – mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden wie Entzündungen, Sterilität und Blutungen bis hin zum Tod.“ In Bayern weigern sich laut Pro Familia die Krankenkassen beispielsweise gerade, Formulare für die Kostenübernahme für einen Schwangerschaftsabbruch digital zur Verfügung zu stellen, obwohl es nicht mehr möglich ist, sie persönlich abzuholen. Wer also nicht genügend finanzielle Ressourcen hat, kann momentan keinen Abbruch vornehmen lassen.
Und nicht nur bei diesem Aspekt spielt die finanzielle Lage eine Rolle. Die Coronapandemie ist auch schon längst eine Wirtschaftskrise: Alle Geschlechter sind bedroht von Jobverlust, Selbstständige von weniger Aufträgen, viele Betriebe gehen in Kurzarbeit. Laut einer Marktforschungsstudie in den G7-Staaten erwarten oder spüren bereits 70 Prozent der Bevölkerung negative Auswirkungen auf ihr Einkommen.
Doch langfristig gesehen sind es vor allem Frauen, die finanziell unter einer Epi- oder Pandemie leiden. Das geht aus einer Studie hervor, die sich die wirtschaftliche Entwicklung in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit nach Ebola 2014, Zika 2015 und 2016 sowie nach Sars, der Schweine- und der Vogelgrippe angeschaut hat. Demnach finden Männer nach einer Krise viel schneller zu ihrem eigentlichen Einkommen zurück als Frauen. Da Frauen häufiger als Männer in Teilzeit, Minijobs und oder im informellen Sektor arbeiten, verlieren sie in wirtschaftlich schwierigen Phasen auch schneller ihre Jobs.
Vor dem Virus sind eben nicht alle gleich. Und obwohl Geschlechter unterschiedlich betroffen sind, spielt es in den Maßnahmen bisher keine Rolle. Fakt ist: Diskriminierende Strukturen werden in der Krise verstärkt. Wer ohnehin von Rassismus, Klassismus oder Sexismus betroffen ist, wird diese Diskriminierung während Covid-19 noch stärker spüren. Das trifft dann eben nicht nur Frauen, sondern auch Menschen anderer Geschlechter, BPoC oder arme Menschen.
Was also tun? Über der Zeichnung an der Krankenhausfassade in Bergamo steht: „A tutti voi … Grazie“ (An euch alle … Danke!). Es ist schön und richtig, wenn diese (Mehr-)Arbeit sichtbar gemacht wird. Doch ein abendlicher Applaus vom Balkon aus reicht nicht. Alles, was Feminist:innen seit Jahren fordern, wird in Krisenzeiten wie der Coronapandemie noch notwendiger. Es braucht mehr Schutzräume für Frauen, mehr Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen nicht nur in der Pflege. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken, in denen das Rollenbild der Frau als Kümmerin schwindet. Die Coronakrise stellt das Leben fast aller Menschen auf den Kopf. Vielleicht kann dieses Moment ein Auslöser für einen echten Wandel sein – hin zu einer gerechteren Gesellschaft.
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