Corona-Lage weltweit: Kein Ende in Sicht
Global gesehen ist die Coronapandemie nicht vorbei, sondern auf ihrem Höhepunkt. Dabei ist nicht Armut das Problem – vielmehr politisches Versagen.
W er das öffentliche Leben in Deutschland verfolgt, kann leicht den Eindruck bekommen, dass die Coronakrise weitgehend vorbei ist. Geschäfte und Unternehmen haben den Betrieb wieder aufgenommen, in den Schulen läuft der Unterricht wieder an, die Straßen sind fast so voll wie vor der Epidemie. Die täglichen Lageberichte des Robert-Koch-Instituts – am Freitag ist der 100. erschienen – werden kaum noch wahrgenommen.
Und tatsächlich ist Deutschland ja sehr viel besser durch die Krise gekommen, als anfangs befürchtet wurde. Mit 8.800 Menschen sind bisher weniger Menschen gestorben als die 12.000, von denen das Innenministerium Ende März in seinem optimistischsten Szenario ausgegangen war – und nur ein winziger Bruchteil der 1,2 Millionen, mit denen für den schlimmsten Fall gerechnet wurde. Auch die Befürchtung vieler ExpertInnen, dass die Fallzahlen mit der Lockerung der Beschränkungen schnell wieder ansteigen werden, hat sich glücklicherweise bisher nicht bestätigt.
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Doch der Blick auf Deutschland und Europa allein täuscht. Global gesehen ist Corona keineswegs auf dem Rückzug. Im Gegenteil: Die Zahl der weltweiten Neuinfektionen steigt weiterhin auf immer neue Rekorde. Lediglich der geografische Schwerpunkt hat sich verlagert.
Vor allem in Lateinamerika zeigen die Kurven jetzt steil nach oben: Mit über 20.000 bestätigten Infektionen und mehr als 1.000 Covid-19-Toten am Tag hat sich Brasilien inzwischen vor die USA geschoben. Auch in Mexiko und Chile steigen die Zahlen stark an. In Asien sind Indien und Pakistan besonders betroffen. Und weil in diesen Ländern relativ wenig getestet wird, dürfte die Dunkelziffer noch weitaus höher sein als in Europa.
Ausschlaggebend für den starken Anstieg ist nicht primär die Armut breiter Bevölkerungsteile in diesen Ländern. Auch wenn beengte und unhygienische Lebensverhältnisse und ökonomischer Druck das Ansteckungsrisiko erhöhen – was auch die Ausbrüche unter Erntehelfern und in Schlachtbetrieben in Deutschland belegt haben –, zeigen die großen Unterschiede unter Ländern in vergleichbaren wirtschaftlichen Situationen, dass vor allem die Politik dafür entscheidend ist, wie stark ein Staat von Corona betroffen ist.
Fehler der Vergangenheit rächen sich
Zum einen rächen sich jetzt Fehler der Vergangenheit: Je stärker das öffentliche Gesundheitssystem kaputtgespart und privatisiert wurde, desto schlimmer sind die Auswirkungen des Virus. Zum anderen zeigt sich – wie zuvor unter den Industrienationen schon in den USA und Großbritannien zu beobachten war –, wie sehr gerade populistische und rechtsgerichtete Regierungen in der Krise versagen.
Ob Jair Bolsonaro in Brasilien oder Sebastián Piñera in Chile: Es sind vor allem konservativ-nationalistische Staatschefs, die an der Coronakrise scheitern. Ihre Kombination aus Allmachtsfantasien, Wissenschaftsfeindlichkeit und Desinformiertheit erweist sich in der Coronakrise als tödlich.
Das steht in einem deutlichen Gegensatz zu Deutschland, wo es zwar auch einzelne Fehleinschätzungen gegeben haben mag, wo aber die Beteiligten stets den Eindruck vermittelten, auf Basis des jeweiligen Kenntnisstands die beste Entscheidung zu treffen, um das Risiko so weit wie möglich zu verringern. Damit das so bleibt, ist aber weiterhin Wachsamkeit geboten. Einen Beitrag dazu kann die neue Corona-App leisten, die nächste Woche startet – zwar viel später als geplant, aber dafür offenbar technisch ausgereift und datenschutzrechtlich unbedenklich. Es ist zu hoffen, dass sie von vielen genutzt wird.
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es trotz der inzwischen deutlich geringeren Zahl von Infektionen auch in Deutschland jederzeit lokal zu neuen Ausbrüchen kommen kann, offenbar vor allem durch größere Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen und durch beengte Arbeitsverhältnisse. Auch bei uns ist die Coronapandemie noch lange nicht vorbei.
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