Co-Chefin des Club of Rome über Europa: „Ich nenne das neokolonial“
Mamphela Ramphele ist die Vorsitzende des Club of Rome. Sie kritisiert, dass der Green Deal der Europäer koloniale Strukturen nicht aufbricht.
wochentaz: Frau Ramphele, der Club of Rome beschäftigt sich seit Langem mit den ökologischen und sozialen Folgen des wirtschaftlichen Wachstums. Vom Green Deal behaupten die Europäer nun, er sei grün und fair. Stimmt das?
Mamphela Ramphele: Der Green Deal ist weder grün noch fair. Alle reden von einem fairen Übergang, weg von fossilen Brennstoffen. Fair bedeutet, dass beide Seiten davon profitieren. Aber das geht nur, wenn Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden, nicht vom Herren zum Knecht.
Die Frau
Mamphela Aletta Ramphele ist südafrikanische Ärztin, Geschäftsfrau und Politikerin. Sie arbeitete als Ärztin unter der Apartheid und wurde aus ihrer Heimat verbannt. Sie war Partnerin des später ermordeten Widerstandskämpfers Steve Biko. Nach dem Ende der Apartheid gründete sie die Partei Agang South Africa und arbeitete als Managing Director bei der Weltbank.
Das Amt
2018 wurde Ramphele zur Co-Präsidentin des Club of Rome gewählt.
Sie bezeichnen den Green Deal als Kolonialismus?
Europa hat den Green Deal beschlossen, aber dann Ende 2021 die Tür geöffnet zu dem, was ich neuen Kolonialismus nenne: Wenn man sagt, dass Gas und Atomkraft grün sind, öffnet das die Tür für Holländer und Franzosen, die vor der Küste des südlichen Afrikas nach Öl und Gas suchen. Das zeigt, dass es der EU mit ihrem Green Deal nicht ernst ist.
Diese Kritik kommt auch aus Europa. Wo sehen Sie Kolonialismus?
Ich nenne es neokolonial. Als der Krieg in der Ukraine begann, kamen die Europäer nach Afrika und verlangten mehr Gas und Kohle, wie der deutsche Energieminister in Südafrika. Die EU schnürte aber auf dem Klimagipfel in Glasgow 2021 ein Paket, genannt JETP, um Südafrika bei der Dekarbonisierung zu helfen. Jetzt aber holt sich Deutschland in Namibia Wasserstoff und bittet Südafrika, es mit Kohle zu versorgen. Es ist das Muster der Vergangenheit, das Muster des Kolonialismus.
Die deutsche Regierung sagt, sie werde die Infrastruktur des Landes aufbauen und nur den grünen Wasserstoff exportieren, der übrig bleibt.
Ich bin sicher, dass für die namibische Bevölkerung kein Wasserstoff bleiben wird, abgesehen von Alibiprojekten mit den politischen Eliten. Wir kämpfen in Südafrika als Zivilgesellschaft gegen die Korruption und gegen die Langsamkeit der Dekarbonisierung. Und dann kommen die Europäer und verlangen nach Kohle und untergraben damit den gerechten Übergang, für den sie sich angeblich einsetzen. Also: mit der einen Hand geben sie dir fünf Cent, mit der anderen rauben sie dir dein ganzes Feld mit Mineralien und Wasser. Im Kolonialismus benutzten sie Waffen, heute benutzen sie den Euro. Die Statistiken zeigen: Reiche Länder importieren immer noch ihre Rohstoffe aus armen Ländern und verkaufen dann die Produkte an dieselben Länder zurück. Die Ausbeutung geht weiter.
Wirtschaftsminister Habeck sagt, er wolle Handelsabkommen als Hebel für die grüne Transformation der Weltwirtschaft nutzen. Glauben Sie, das geht?
Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika beruhen auf sehr schlechtem Erbe. Aber jetzt wollen wir eine gleichberechtigte Beziehung und den Weg nach vorne. Damit diese nachhaltig sind, brauchen wir wiederherstellende Gerechtigkeit.
Was bedeutet das?
Dass die Industrieländer kurzfristig Opfer bringen müssen, damit wir alle langfristig gut leben und überleben können. Zum Beispiel müssen die Subventionen für die europäische Landwirtschaft aufhören. Sie verhindern, dass die Landwirtschaft im Globalen Süden, die ökologisch und fair ist, mit Europa konkurrieren kann. Subventionen schaden der Umwelt.
Sie meinen „wiederherstellende Gerechtigkeit“ als Entschädigung für den Kolonialismus?
Wenn man eine zerrüttete Beziehung heilen will, muss man erkennen, wer der Privilegierte ist. Für mich als Angehörige der oberen Mittelschicht in Südafrika bedeutet das, dass ich mehr Steuern zahlen sollte. Für Europa sollte es bedeuten, die Schäden zu beseitigen, die etwa Bergbauunternehmen in Südafrika angerichtet haben: Die Gewinne gingen nach Europa, der Schaden blieb bei uns. Auch bei den CO2-Emissionen müssen reiche Länder, die sie verursachten, armen Ländern helfen. Dafür wurden 100 Milliarden Dollar pro Jahr versprochen, aber bisher nicht vollständig umgesetzt. Ein Teil der Schäden geht auf den Kolonialismus zurück: Die Inseln der Karibik waren bewaldet, bevor die Kolonisatoren sie abholzten, um Zuckerrohr anzubauen. Hierfür muss es Entschädigungen geben.
Es gibt andere Stimmen, die sagen, nicht alles sei Kolonialismus, sondern so sei die Weltwirtschaft.
Ja, aber wer hat die Weltwirtschaft so gemacht, wie sie ist? Die Sieger, die Kolonialmächte von gestern. Selbst der Weltklimarat (IPCC) hat jetzt festgestellt, dass ein Großteil der Schäden an den Ökosystemen auf den Kolonialismus zurückzuführen ist.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Liegt die Verantwortung nur im Globalen Norden? In vielen Ländern des Globalen Südens verschlimmert Korruption die Krisen.
Schlechte Regierungsführung ist zum großen Teil das Erbe des Kolonialismus. Die Demütigung über Generationen hinweg ist für die kolonisierten Völker auf der ganzen Welt äußerst schädlich. Das Erbe der kolonialen Eroberung hinderte die meisten Nachfolgestaaten daran, sich weiterzuentwickeln. Viele Länder haben nach der Kolonialzeit koloniale Regierungsmuster übernommen, die Armut, Ungleichheit und Korruption fortbestehen lassen.
Wie wollen Sie dieser Falle entkommen?
Zunächst muss man anerkennen: Das Ende des offiziellen Kolonialismus beendet nicht die geistige Sklaverei, die durch koloniale Beziehungen verursacht wird. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, den Menschen zu helfen, sich aus der geistigen Sklaverei zu befreien und in die Lage versetzen, eine andere Zukunft zu gestalten.
Wie sehr hat Sie dabei Ihr Kampf gegen die Apartheid in Ihrem Land geprägt?
Ich spreche als jemand, die in den 1960er Jahren in Südafrika gegen die Apartheid gekämpft hat. Wir haben uns selbst befreit: Wir haben verstanden, dass die schwarze Bevölkerungsmehrheit nur deshalb von der weißen Minderheit unterdrückt werden konnte, weil sie die weiße Vorherrschaft akzeptiert hat. Die weißen Rassisten hatten die Waffen, aber sie brauchten auch die Duldung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Das Black Consciousness Movement, das wir als Studenten ins Leben riefen, mobilisierte Menschen im ganzen Land, sich aus der mentalen Sklaverei zu befreien.
Was heißt das für die globale Politik der Nachhaltigkeit?
Die postkolonialen Bürger und Bürgerinnen auf der ganzen Welt müssen sich von den korrupten Regierungen befreien, die weiterhin die nationalen Ressourcen zum Nutzen kleiner Teile der Eliten ausplündern, wie es die früheren Kolonialherren taten. Europa und Afrika haben die Möglichkeit, mit Herzenswärme zusammenzuarbeiten.
Was Sie sagen, ist ungewöhnlich für den Club of Rome. Der ist nicht für Herzenswärme berühmt, sondern für Statistiken und Daten.
Ich spreche von beidem: Daten und Herzenswärme. Aber ja, Aurelio Peccei, der Gründer, erkannte am Ende seines Lebens, dass die ausschließliche Fokussierung auf die Wirtschaft und die Vernachlässigung des Einflusses, den die menschliche Kultur hat, Teil des Problems war, das den transformativen Systemwandel untergrub. Der berühmte Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ wurde millionenfach verkauft, aber es hat sich nicht viel geändert. Wissen führt nicht unbedingt zum Handeln. Man muss es wissen, aber es muss einen auch berühren, um zum Handeln anzuspornen. Das ist, was Herzenswärme ausmacht. Einen nachhaltigen Wandel erreichen wir nur, wenn wir die Herzen der Menschen berühren. Und ja, diese Sprache ist im Club of Rome nicht üblich.
Auch beim Artensterben und Klimawandel führt Wissen nicht zu angemessenem Handeln. Das System, das Sie ändern wollen, ist fest verankert.
Unterschätzen Sie nie die Wirkung einiger weniger engagierter Menschen, die einen Wandel herbeiführen können. Das habe ich beim Kampf gegen die Apartheid gelernt. Ich erwarte nicht, dass alle ihre Ansichten ändern, wir brauchen nur eine kritische Masse von Leuten, die es tun.
Bislang hat der Club of Rome hauptsächlich vor den Grenzen des Wachstums gewarnt. Gilt das noch?
Als ich bei der Weltbank gearbeitet habe, haben alle gesagt: „Wachstum, Wachstum!“ Aber welches Wachstum? Die Annahme, dass Wachstum das Maß für Fortschritt und Wohlstand ist, hat sich als falsch erwiesen. Wir müssen einen Weg zu Wohlstand für alle auf einem gesunden Planeten definieren. Für den Menschen macht es Sinn, wenn er aktiv an der Gestaltung seiner Zukunft mitwirkt. Die Menschen wollen nicht von Almosen leben.
In Europa hoffen viele, dass grünes Wachstum sie rettet.
Als Ärztin weiß ich: Wachstum ist ein Krebsgeschwür. Ich wünsche mir, dass die internationale Gemeinschaft ihre Liebesaffäre mit dem Wachstum beendet. Was wir brauchen, ist ein Fortschritt, der uns, unsere Ökosysteme und unser kulturelles Leben bereichert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau