Buchautor über die Klimakrise: „Es ist genug da“
Die Klimakrise zu bewältigen, ist gar nicht so schwer, meint Autor Jan Hegenberg alias „Der Graslutscher“. Man dürfe nur nicht perfektionistisch sein.
taz: Herr Hegenberg, Ihr gerade erschienenes Buch heißt „Weltuntergang fällt aus“. Wie sehr sind Sie davon überzeugt, dass das stimmt?
Jan Hegenberg: Als das Thema Klimawandel groß wurde, hatte ich ein deutlich pessimistischeres Bild von der ganzen Sache als jetzt. Aber seitdem ich mich intensiv damit beschäftige, ist es eher wieder ins Positive geschwenkt.
Woran liegt das?
An der technischen Entwicklung. Mir war nicht bewusst, wie nah wir schon daran sind, dass wir all das, was wir momentan so machen, einfach ohne fossile Brennstoffe machen können. Angefangen natürlich bei der Stromerzeugung, aber auch in vielen anderen Bereichen. Da sah es 2010 auf jeden Fall noch düsterer aus.
Sie beschreiben in Ihrem Buch aber auch, dass das nicht alle Menschen so optimistisch sehen.
Ein Irrglaube, der mir häufig begegnet, ist, dass Deutschland viel zu klein ist, um genug erneuerbare Energie bereitzustellen. Dabei brauchen wir nur einen sehr kleinen Teil der Fläche Deutschlands, um die nötige Energiemenge, die viele Forschungsarbeiten prognostizieren, durch Solarkraft und Windenergie herzustellen. Außerdem unterschätzen viele Menschen, wie schnell Entwicklungen möglich sind, wenn neue Märkte entstehen. Wenn man die Entwicklung im Sektor der Erneuerbaren zum Beispiel mit denen im Smartphone-Sektor vergleicht, dann sieht man, dass da gerade sehr ähnliche Prozesse stattfinden.
ist 43 und bloggt als „Der Graslutscher“ über Themen wie Veganismus und Nachhaltigkeit. Er hat BWL studiert und lange in der IT-Branche gearbeitet.
Trotzdem ist bisher nicht klar, wie wir erneuerbare Energie ausreichend speichern können. Das ist aber ein Knackpunkt, wenn wir das Ziel von 100 Prozent erneuerbarer Energie erreichen wollen.
Das stimmt. Viele der Technologien sind jetzt noch nicht im industriellen Maßstab verfügbar – beispielsweise Elektrolyseure für grünen Wasserstoff. Diese und andere Speichertechnologien sind aber grundsätzlich skalierbar und könnten ausgebaut werden. Ich bleibe hier nur im Konjunktiv, weil ich nicht weiß, was jemand in zwei Jahren vielleicht noch erfindet.
Was viele Menschen außerdem unterschätzen: Selbst wenn wir erst mal gar keine Speicher hätten, könnten wir den Anteil von Erneuerbaren im Strommix schon auf etwa 85 Prozent erhöhen. Das wäre schon ein gigantischer Fortschritt. Deswegen denke ich zu Speichern: Das ist zwar ein Problem, aber es ist das kleinere Problem.
Als eher kleines Problem beschreiben Sie auch, dass Windräder, E-Autos und Solartechnik Ressourcen brauchen. Wir nutzen schon jetzt mehr Ressourcen, als eigentlich zur Verfügung stehen, und zerstören Ökosysteme, die wir brauchen, um halbwegs resilient gegen die Folgen der Klimakrise zu sein. Warum ist das für Sie kein Grund, weniger optimistisch zu sein?
In der veganen Szene, aus der ich eigentlich komme, gibt es den Leitspruch „Don’t let perfect be the enemy of good“ …
Also: Nicht vor lauter Perfektionismus gar nichts machen, sondern lieber eine unvollkommene, aber gute Lösung suchen?
Man sollte neue Maßnahmen, die deutlich besser sind als die alten, nicht ablehnen, nur weil sie nicht perfekt sind. Der Status quo, den wir momentan haben, verbraucht viel mehr Ressourcen als ein erneuerbares System. Das allein ist vielleicht noch kein Argument, aber wenn wir uns in Zukunft geschickt anstellen, dann verbrauchen wir Ressourcen nicht weiter, sondern gebrauchen sie. Nachdem zum Beispiel Lithium einmal aus der Erde gefördert wurde, können wir es im besten Fall viele, viele Male wiederverwenden.
Sie beschreiben in Ihrem Buch auch ein Positivszenario für einen Tag im Jahr 2040. Was meinen Sie: Was ist der größte Unterschied zu einem Tag im Jahr 2022?
Der größte Unterschied ist, dass wir eine Verkehrswende hinbekommen haben und sich der Lebensraum der Menschen nicht mehr an bestimmten Transportmitteln, sondern am Menschen ausrichtet. Außerdem kann Energie sehr viel billiger sein, als es heute der Fall ist, wodurch sich neue Branchen entwickeln könnten.
Sie meinen auch, dass Güter wie Kaffee- und Kakaobohnen, Fleisch und Baumwollfasern 2040 aus dem Labor kommen – damit für deren Anbau kein Regenwald mehr gerodet werden muss. Wäre es nicht einfacher und günstiger, wenn wir schlicht weniger konsumieren würden?
Ich finde „weniger“ gut und lebe das auch selbst. Und es stimmt, es wäre viel einfacher, wenn wir zum Beispiel darauf verzichten würden, um die 60 Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr in Deutschland zu konsumieren. Vielen Menschen hilft es aber, nicht einfach auf etwas verzichten zu müssen, sondern eine Alternative angeboten zu bekommen. Langfristig ist meine Hoffnung, dass Menschen von allein weniger konsumieren.
Warum sollten sie das denn tun? Muss es da nicht Regulierungen geben?
Das würde den ganzen Prozess auf jeden Fall beschleunigen. In meinem Buch konzentriere ich mich darauf, was technisch möglich ist, und nicht darauf, was jeder Einzelne machen sollte. Aber natürlich können erneuerbare Energien und Technologie allein nicht alle Probleme lösen. Wenn also zum Beispiel bei klima- und umweltschädlichen Produkten die Schäden mit eingepreist würden und diese dadurch deutlich teurer würden, wäre das schon hilfreich und ein wichtiges Signal.
Aktuell geht es viel um Energieknappheit: Müssen wir im erneuerbaren Jahr 2040 denn überhaupt noch Energie sparen?
Ich glaube nicht, dass wir sparen müssen, aber es wird sich einfach lohnen. Zumindest werden wir aber nicht mehr auf Krisen internationaler Größenordnung stoßen, wenn wir es nicht tun – einfach, weil wir mit Erneuerbaren viel unabhängiger sein werden als mit fossilen.
Aber ich bin natürlich trotzdem nicht dafür, dass wir, nur weil wir so schön viel saubere Energie haben, dann in jedem Haus einen Pool installieren. Denn auch für erneuerbare Energie müssen wir in die Natur eingreifen. Das heißt, es wird immer wichtig sein, dass wir nicht mehr Energie verbrauchen, als wir eigentlich benötigen. Ich will aber beruhigen und sagen: Es ist genug da, um den aktuellen Lebensstandard zu halten. Was wir als Gesellschaft wirklich brauchen, darüber können wir streiten.
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