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Britisches Parlament für AbschiebeplanDirekt nach Ruanda

Großbritanniens Parlament billigt den umstrittenen Plan zur Abschiebung von Migranten nach Ruanda. Erst dort sollen sie ein Asylverfahren bekommen.

Abgeordnete bei der Verlesung des Gesetzestextes am Montagabend im britischen Parlament Foto: House Of Commons/Uk Parliament/PA Wire/dpa

London afp/rtr | Der umstrittene Plan der britischen Regierung zur Abschiebung von Migranten nach Ruanda hat seine letzte Hürde genommen: Nach langem Streit billigte das Parlament das Vorhaben in der Nacht zu Dienstag. Das Oberhaus, welches das Vorhaben wiederholt mit Änderungen an das Unterhaus zurückgeschickt hatte, beschloss, keine weiteren Änderungen vorzunehmen. Irregulär eingereiste Flüchtlinge sollen – egal, woher sie kommen – nach Ruanda abgeschoben werden können, das ostafrikanische Land wird dafür als sicheres Drittland eingestuft. Die Opposition und Menschenrechtsaktivisten haben das Vorhaben scharf kritisiert.

London hatte den Plan vor zwei Jahren angekündigt. Das Vorhaben wurde als eine der wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen die illegale Einwanderung bezeichnet, Mitte Januar billigte das britische Unterhaus das Gesetz. Die britische Regierung erhofft sich davon eine abschreckende Wirkung auf Migranten. Eine entsprechende Vereinbarung wurde bereits mit der Regierung in Kigali geschlossen.

Kritik von allen Seiten

Die Opposition kritisiert ebenso wie Menschenrechtsaktivisten das Vorhaben massiv. Doch auch unter den Konservativen von Premierminister Rishi Sunak ist das Abkommen umstritten. Hardlinern innerhalb der Tory-Partei des Premierministers geht der Plan der Regierung nicht weit genug – liberale Tories wiederum befürchten, Großbritannien könne gegen internationales Recht verstoßen.

Bislang wurde der Plan nicht umgesetzt, das Vorhaben wurde von Beginn an juristisch angefochten. Ein für Juni 2022 geplanter Flug mit Migranten nach Ruanda wurde nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kurzfristig gestrichen.

Der am Montag im Parlament diskutierte Text ist angelehnt an einen neuen Vertrag zwischen Großbritannien und Ruanda. Dieser sieht die Zahlung erheblicher Beträge an Ruanda im Gegenzug für die Aufnahme von Migranten vor. Mit dem nun debattierten Text sollte auf den Obersten Gerichtshof reagiert werden, der das ursprüngliche Vorhaben im vergangenen November für illegal erklärt hatte.

Der Text definiert Ruanda als sicheres Drittland. Zwar präsentiert sich das ostafrikanische Land mit 13 Millionen Einwohnern als einer der stabilsten Staaten Afrikas. Präsident Paul Kagame wird jedoch vorgeworfen, in einem Klima der Angst zu regieren, indem er unter anderem die Meinungsfreiheit unterdrückt.

Das Oberhaus, in dem keine Partei eine Mehrheit hat, hatte den Plan wiederholt mit Änderungen an das Unterhaus zurückgeschickt und so die Verabschiedung des Vorhabens verzögert. Eine Forderung war unter anderem, Ruanda erst dann als sicheres Drittland einzustufen, wenn eine unabhängige Prüfstelle dies feststellt. Schließlich beschloss das Oberhaus, dessen Mitglieder nicht gewählt werden, keine Änderungen mehr vorzunehmen.

Druck von Sunak auf das Parlament

Sunak hatte am Montag gesagt, keinen Zweifel daran zu haben, dass das Gesetz durchs Parlament gebracht wird. Er hatte zuvor erklärt, die Regierung werde das Parlament zwingen, so lange wie nötig bis in die Nacht zum Dienstag zu tagen, um das Gesetz zu billigen. „Ohne Wenn und Aber. Diese Flüge gehen nach Ruanda“, sagte Sunak auf einer Pressekonferenz am Montag.

Die Abschiebeflüge von Asylbewerbern in das ostafrikanische Land würden „in zehn bis zwölf Wochen“ beginnen, sagte er kurz vor Beginn der entscheidenden Abstimmung im Oberhaus. „Wir sind bereit, die Pläne liegen vor und diese Flüge werden auf jeden Fall starten.“

Sunaks Regierung steht unter wachsendem Druck, die hohe Zahl an Asylsuchenden zu reduzieren, die von Nordfrankreich über den Ärmelkanal mit kleinen Booten kommen. Die Konservativen liegen in Umfragen hinter der oppositionellen Labour-Partei zurück. Nach 14 Jahren Regierung droht ihnen die Opposition.

Zehntausende Migranten – viele von ihnen auf der Flucht vor Kriegen und Armut in Afrika, dem Nahen Osten und Asien – sind in den vergangenen Jahren in kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen. Allein in diesem Jahr waren es mehr als 2.500 Boote. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Zustrom zu stoppen.

Sunaks Pläne könnten noch durch rechtliche Schritte aufgehalten werden. UN-Rechtsexperten haben darauf hingewiesen, dass Fluggesellschaften und Luftfahrtbehörden gegen internationale Menschenrechte verstoßen könnten, wenn sie sich an Abschiebungen beteiligen. Eine Aufsichtsbehörde für öffentliche Aufgaben in Großbritannien schätzt, dass es das Land 540 Millionen Pfund (knapp 626 Millionen Euro) kosten wird, die ersten 300 Migranten abzuschieben. Das wären fast zwei Millionen Pfund pro Person.

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9 Kommentare

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  • @HUGO SANDDORN

    Was dagegen spricht? Der menschliche Anstand spricht dagegen. Aber der scheint uns allen derzeit abhanden zu kommen.

  • Man kann mit Fug und Recht zweifeln, dass diese Holzhammer-Methode das Problem löst. Dass es ein Problem gibt, lässt sich nicht leugnen: wer Illegale hereinlässt, weil erst im Gerichtsverfahren festgestellt werden kann, dass es Illegale sind (auch wenn die Illegalität beispielsweise aufgrund der Drittstaatenregelung offensichtlich ist), wird diese Illegalen anschließend nicht mehr los, weil die Abschiebung nicht funktioniert.



    Ruanda ist übrigens ein extrem gefährliches Land - für ruandische Oppositionelle. Für alle anderen ist Ruanda sicherer als alle anderen Nachbarstaaten. Aufgeklärter Absolutismus schlägt korrupte Demokratie - solange es einen aufgeklärten Monarchen gibt. Ob Kagames Reformen ihn überdauern, ist höchst fraglich.

  • Ich frage: Was spricht dagegen? UK hat mit einer stabilen Demokratie eine Vereinbarung getroffen, die allen Beteiligten nützt. Ruanda bekommt finanzielle Mittel in die Hand, UK muss keine Flüchtigen beherbergen und diese bekommen ein Asylverfahren sozusagen "um die Ecke". Eine Win-Win-Win-Situation! Klasse!

    • @Hugo Sanddorn:

      "Was spricht dagegen? UK hat mit einer stabilen Demokratie eine Vereinbarung getroffen"



      Diese Vereinbarung wurde vom obersten Gericht verworfen, weil Ruanda kein sicheres Drittland ist.



      Darauf wurde ein Gesetz verabschiedet, das Ruanda als sicheres Drittland definiert, ohne dass es die Kriterien dafür erfüllen muss.



      Inwieweit das so nicht in Ordnung ist, muss ich jetzt nicht näher erläutern, oder?

    • @Hugo Sanddorn:

      Ruanda ist keine Demokratie.



      Es ist sicher, stabil, kaum korrupt und hat eine wachsende Wirtschaft.



      Der Diktator Paul Kagame hat beeindruckendes geleistet.



      Aber er sperrt seine Kritiker ein oder bringt sie gleich um.



      Ruanda hat keine Presse oder Meinungsfreiheit.

  • Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte + Oberster Gerichtshof hat das Vorhaben für illegal erklärt + UN-Rechtsexperten haben darauf hingewiesen, dass Fluggesellschaften und Luftfahrtbehörden gegen internationale Menschenrechte verstoßen könnten = Sunak: (...) die Regierung werde das Parlament zwingen (...)um das Gesetz zu billigen."



    Das gepaart mit den Abkommen und der Politik der EU ist doch echt ein Musterbeispiel westlicher demokratischer Werte. Und dann treten die gleichen Politiker vor die Kamera und echauffieren sich darüber, dass andere Länder (die sich nicht mögen) gegen Menschenrechte verstoßen. Die Scheinheiligkeit westlicher Politiker kennt keine Grenzen. Sorry das ich ihnen das mitteilen muss werte Politiker aber diesbezüglich haben sie jegliche moralische Überlegenheit schon vor langer Zeit eingebüßt. Von wegen Menschenrechte sind universal, die Realität sieht schon immer so aus, das sie für Politiker selektiv sind und die Wirtschaft noch nicht mal weiß was das ist.



    Und zwei Millionen Pfund Kosten für jeden abgeschobenen Menschen? Wow ich wette wenn sie nur ein Viertel davon dem Flüchtling auf sein Konto überweisen und ihn in einen regulären Flieger setzen gen Heimat, wäre das Geld vermutlich besser angelegt- (man könnte es auch als Reparationszahlung für teils jahrhundertelange britische Ausbeutung betrachten...).

  • Eine etwas andere Art von Menschenhandel, aber trotzdem Menschenhandel. Es wird mit Menschen gehandelt, die selbst dabei nichts mitzubestimmen haben und gegen ihren Willen in irgendein Land, mit dem sie nicht das geringste zu tun haben und wo sie völlig fremd sind, gebracht werden und dafür Geld bezahlt wird.



    Und dass so etwas ausgerechnet von dem Land verabschiedet wird, dass seinen Wohlstand und seine Macht am meisten von allen westlichen Ländern der Massakrierung, Unterjochung und Ausbeutung ganzer Völker und Länder, zu verdanken hat, dass also eigentlich am meisten die Füße still halten sollte, wenn so etwas wie historische Verantwortung auch woanders als in Deutschland gelebt wird, ist schon besonders zynisch.

  • Krank. Zum Schämen.

  • Ein Trauerspiel!



    "Großbritannien" interpretiert Menschenrechte für sich neu.



    Die Regelung kommt einem Asylverbot gleich.



    SHAME ON YOU !