Britisches Urteil zu Abschiebungen: Ruanda-Deal gekippt

Das Oberste Gericht kippt die Vereinbarung, Flüchtlinge nach Ruanda auszufliegen. Die Regierung will aber weitermachen.

Eine Frau trägt ein Schild mit der Aufschrift "No Borders, no Nations, no Deportations"

„Keine Grenzen, keine ­Nationen, stoppt die Deporta­tionen“: Protest gegen den Ruanda-Flüchtlingsdeal vor dem britischen Innen­ministerium, Juni 2022 Foto: Guy Smallman/getty images

LONDON taz | Die geplanten Abschiebungen von Asylsuchenden aus Großbritannien nach Ruanda sind rechtswidrig. Dies urteilte das höchste britische Gericht, der Supreme Court, am Mittwoch in letzter Instanz.

Die britische Regierung plant, Asylsuchende, die etwa auf kleinen Booten aus Frankreich unerlaubt ins Vereinigte Königreich gelangen und bereits in anderen sicheren Staaten Asylanträge hätten stellen können, nach Ruanda abzuschieben, damit sie dort Asyl beantragen. Ein erster Deportationsflug nach, Ruanda wurde Juni 2022 im letzten Moment per Eilantrag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt, was Klagen in Großbritannien nach sich zog. Die liefen nun bis hoch zum Supreme Court.

Die Beendung der politisch heftig diskutierten Ärmelkanalüberquerungen war bei Premierminister Rishi Sunaks Amtsantritt im Oktober 2022 eines seiner fünf Versprechen für seine Regierungszeit. Mit Ruanda hatte das Vereinigte Königreich noch zur Amtszeit Boris Johnsons vereinbart, dass Personen, die in Großbritannien landen, Asyl stattdessen in Ruanda beantragen können. Eine Mustereinrichtung für eingeflogene Flüchtlinge wurde in Ruandas Hauptstadt Kigali geschaffen und London zahlte viel Geld an Ruandas Regierung. Aber umgesetzt wurde wegen der Gerichtsverfahren noch nichts.

Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR

Der Supreme Court musste nun die Frage beantworten, ob die Vorinstanz richtig lag mit ihrem Urteil, dass Ruanda für Asylsuchende kein sicherer Drittstaat sei – weil es nicht garantieren könne, dass die Asylsuchenden am Ende nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, und weil generell ihre Menschenrechte nicht gewahrt seien. Dies hatte Englands höchstes Berufungsgericht Court of Appeal im Juni festgestellt. Die britische Regierung zog dagegen vor das Oberste Gericht, das nun das vorherige Urteil bestätigt hat.

Das Urteil sei ein „vorübergehender Rückschlag“, erklärte James Cleverly, der neue Innenminister

Der Supreme Court begründete das mit der Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Dies will in Ruanda Todes- und Folterfälle gesehen haben. Ruanda habe sich auch nicht an Verpflichtungen in einem ehemaligen Abkommen mit Israel bezüglich eines dem britischen Modell ähnlichen Programmes gehalten und über 100 aus Israel nach Ruanda verbrachte Asylsuchende an Länder weitergeschoben, aus denen ihre Rückführung in ihr Herkunftsland möglich wurde. Auch gebe es Mängel in Ruandas Asylrechtssystem. Im derzeitigen Zustand und auf Basis der bisherigen Erfahrungen, sei Ruanda kein sicheres Land für Flüchtlinge, man schließe jedoch nicht aus, dass es dies in der Zukunft sein könne.

Ruanda, kein sicheres Drittland

Ruandas wies die Feststellung zurück, kein sicheres Drittland zu sein. Das UNHCR – das regelmäßig afrikanische Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda umsiedelt – habe Ruandas Umgang mit Flüchtlingen als vorbildlich bezeichnet, erklärte Regierungssprecherin Yolande Makolo.

Die britische Regierung will am Ruanda-Deal festhalten. Das Urteil sei ein „vorübergehender Rückschlag“, erklärte am Mittwoch im Unterhaus James Cleverly, der neue Innenminister, der erst seit zwei Tagen im Amt ist. Sunak betonte, dass der Supreme Court nicht gegen das Prinzip von Abschiebungen in Drittstaaten an sich geurteilt habe. Man habe bereits einen weiteren Vertrag mit Ruanda vorbereitet, um die vom Gericht genannten Defizite anzugehen. Er sei auch bereit, geltende Gesetze zu ändern oder internationale Konventionen zu überprüfen, sollte sich herausstellen, dass diese die Ruanda-Pläne behindern, sagte Sunak.

Sunak steht unter Druck des rechten konservativen Parteiflügels, der eine viel härtere Flüchtlingspolitik fordert. Die am Montag aus dem Kabinett geworfene ehemalige Innenministerin Suella Braverman hatte in einem giftigen Brief an Rishi Sunak seine Kompetenz in Frage gestellt und gefordert, dass Großbritannien im Asylbereich Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention aussetzen und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Zuständigkeit entziehen sollte. Außerdem habe er es versäumt, einen Plan B für den Fall zu entwickeln, dass der Supreme Court gegen den Ruanda-Deal urteilt.

2022 landeten 45.755 Personen mit Booten in England als Asylsuchende. Für dieses Jahr wird aufgrund von schärferen Kontrollen an der französischen Küste und einem Abkommen mit Albanien mit einem Rückgang um ein Drittel gerechnet. Cleverly sagte, in Ländern wie Deutschland würden die Flüchtlingszahlen steigen, und sie würden nun ähnliche Modelle in Erwägung ziehen wie Großbritannien.

Mitarbeit: Dominic Johnson

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