Asyldeal von Großbritannien und Ruanda: „Schandhaft und grausam“
Großbritannien will Geflüchtete, die in Booten ankommen, nach Ruanda verlegen. Das UNHCR sieht einen Verstoß gegen internationale Verträge.
Die Maßnahmen sollen der Abschreckung dienen, um, so Patel, den Schleusergangs das Handwerk zu legen, die hinter vielen Überfahrten in Schlauchbooten aus Frankreich über den Ärmelkanal stecken. Zudem sollen die hohen Kosten der Unterbringung von Asylsuchenden – derzeit umgerechnet 5,6 Millionen Euro pro Tag – durch die Schnellüberstellung nach Ruanda gesenkt werden.
2021 waren rund 28.300 Menschen in kleinen Booten über den Ärmelkanal gekommen. Von der Küstenwache an Land gebracht, warten sie nun in Großbritannien auf den Ausgang ihres Asylverfahrens. Zurückschicken kann London sie seit dem Brexit nicht mehr. Dieses Jahr hält der Zustrom an, die britische Regierung schätzt, dass die Zahl sich verdoppeln könnte. Etwa zwei Drittel aller Menschen, die den Ärmelkanal überqueren, wird am Ende Asyl gewährt.
Das Programm, die Schutzsuchenden stattdessen nach Ruanda zu schicken, würde Menschenleben retten und Flüchtende in ein sicheres Land bringen, sagt die britische Regierung. Ruandas Außenminister Vincent Biruta betonte bei der Unterzeichnung des Flüchtlingsdeals mit Priti Patel in Kigali am Donnerstag vergangener Woche, Ruanda „begrüße“ diese Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich: „Hier geht es darum sicherzustellen, dass die Menschen geschützt, respektiert und befähigt werden, ihre eigenen Ambitionen voranzutreiben und sich dauerhaft in Ruanda niederzulassen, wenn sie dies wünschen.“
Ruanda soll dafür Geld und Bildungsangebote erhalten
Ruandas Regierung erhält dafür aus London 120 Millionen Pfund (144 Millionen Euro). Der sogenannte Ökonomische Transformations- und Integrationsfond soll vor allem für Sekundärbildung, Universitäts- und Berufsausbildung sowie Sprachangebote eingesetzt werden, nicht nur für Migranten. Davon profitiert das Land langfristig, weil sich das Bildungsangebot auch an Ruandas Jugend richtet, so die Regierung in Kigali. Ruanda sichert den Migranten wiederum eine Arbeitserlaubnis und freien Zugang zur Gesundheitsversorgung zu. Es sollen aus dem Fond langfristig auch Start-ups junger Unternehmer unterstützt werden, vor allem in Ruandas aufsteigender Tech-Szene.
Flüchtlingsaufnahme gegen Entwicklungshilfe – dieser Plan stößt allerdings auf breite Kritik. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR sprach von einem Verstoß gegen die UN-Flüchtlingskonvention. 160 britische Hilfsorganisationen erklärten geschlossen das Programm für „schandhaft und grausam“. Sie schätzen die wahren Kosten auf bis zu umgerechnet 1,7 Milliarden Euro pro Jahr.
Im britischen Parlament ging Patel am Dienstag Fragen nach den Kosten aus dem Weg. Der konservative Hinterbänkler Andrew Mitchell – ehemaliger Entwicklungsminister mit engen Beziehungen zu Ruandas Regierung – höhnte, es sei billiger, die Asylbewerber:innen ins Londoner Luxushotel Ritz zu stecken und ihre Kinder in der Eliteschule Eton auszubilden.
Die ehemalige Premierministerin Theresa May, selbst ehemalige Innenministerin mit einer harten Gangart gegen illegale Migration, hinterfragte die Legitimität, Zweckmäßigkeit und Effektivität des Programms. Nachdem Patel immer wieder wiederholte, dass es vor allem junge Männer beträfe, folgerte May, dass Schleuser sich wohl in Zukunft einfach auf Frauen und Kinder konzentrieren würden.
Der UNHCR nutzt trotz Kritik an Großbritannien ähnliche Methoden
Welche und wie viele Menschen eigentlich genau nach Ruanda geschickt werden sollen – dazu gab es von Patel keine genaue Antwort. Zwar sprach Patel von einem nach oben offenen Arrangement, tatsächlich gibt es in Ruandas Hauptstadt Kigali derzeit konkret nur eine Unterkunft für etwa 100 Personen und allenfalls Pläne für einen Ausbau auf bis zu 300 Personen.
Ruanda präsentierte sich in den vergangenen Jahren mehrfach als Aufnahmeland für Migranten. In Ruanda leben derzeit etwa 120.000 Geflüchtete, vor allen aus den Nachbarländern Burundi und Kongo. Patel will britischen Berichten zufolge die verletzlichsten dieser Geflüchteten im Austausch im Vereinigten Königreich aufnehmen.
Die Kritik des UNHCR am britisch-ruandischen Abkommen kontrastiert damit, dass das UNHCR selbst ähnlich verfährt. Seit 2019 landen in Kigali alle paar Monate UNHCR-Charterflüge aus Libyen. An Bord: Migranten und Geflüchtete, meist aus West- und Ostafrika, die vom UNHCR aus libyschen Lagern evakuiert wurden. Im November 2021 verlängerten Ruanda, die Afrikanische Union (AU) und UNHCR die entsprechende Vereinbarung bis Ende 2023. Bislang wurden auf diese Weise über 1.000 Menschen nach Ruanda ausgeflogen – zuletzt 100 im März. Sie haben die Wahl, in Ruanda zu bleiben, in ihr Heimatland zurückzukehren oder in ein weiteres Drittland umgesiedelt zu werden. 70 Prozent wählen eine der beiden letzteren Optionen, verlassen Ruanda also wieder. Derzeit leben rund 370 Migranten im UNHCR-Auffanglager in Gashora, rund 60 Kilometer außerhalb der Hauptstadt.
2016 berichtete die taz über einen geheimen Deal zwischen Ruanda und Israel. Ruanda nahm in Israel gestrandete Geflüchtete aus Afrika auf und bekam dafür Ausbildung für seine Geheimdienstagenten in Israel. Die meisten Aufgenommenen waren Eritreer, die dann weiter nach Uganda reisten, wo sie Familien hatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden