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Brandstiftung in SolingenStaatsanwaltschaft will nicht ermitteln

Wurde ein rechtsextremes Motiv vertuscht? Die Anwältin Seda Başay-Yıldız hatte Anzeige gegen die Polizei erstattet. Nun prüft sie weitere Schritte.

Bei dem Brandanschlag in Solingen im März 2024 waren vier Menschen ums Leben gekommen, viele weitere wurden verletzt Foto: Christoph Reichwein/dpa

Kaum eine Woche ist es her, dass die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız den Polizeipräsident und mehrere Be­am­t*in­nen des Polizeipräsidiums Wuppertal angezeigt hatte. Doch nun heißt es von der Staatsanwaltschaft Wuppertal bereits, sie lehne die Aufnahme von Ermittlungen gegen Beamtinnen und Beamte des Polizeipräsidiums Wuppertal ab, da ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten nicht vorliege. Başay-Yıldız wirft den Behörden vor, Beweismaterial im Prozess um eine tödliche Brandstiftung 2024 in Solingen zurückgehalten zu haben.

Es handelt sich um mehr als ein Dutzend Bücher mit Bezug zum Nationalsozialismus. Die waren im Haus des Angeklagten gefunden und dokumentiert, aber nicht zur Akte gereicht worden. Başay-Yıldız spricht von „Vertuschung“ und einem „Skandal“. Die Polizei rechnet die Bücher dem Vater des Angeklagten zu. Deswegen habe man sie wohl nicht für verfahrensrelevant gehalten, so die Staatsanwaltschaft in der Pressemitteilung.

Gegen die Ablehnung der Ermittlungen will die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Namen ihrer Man­dan­t*in­nen vorgehen. „Es ist Fakt, dass Beweismaterial vorenthalten wurde“, sagt Başay-Yıldız der taz. Die nur wenige Tage dauernde Überprüfung zeige, wie intensiv sich die Staatsanwaltschaft mit dem Tatvorwurf beschäftigt habe. „Wie man nach wenigen Tagen bereits sicher sein kann, dass hier kein strafbares Handeln vorliegt, ist mir schleierhaft“, so Başay-Yıldız. Sie will nun Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen und erreichen, dass das Vorgehen der Polizei durch die Behörden eines anderen Bundeslands geprüft wird.

Der Angeklagte Daniel S. hat bereits zugegeben, im März 2024 ein Mehrfamilienhaus in Solingen in Brand gesteckt zu haben. Die vierköpfige türkisch-bulgarische Familie Zhilova starb, 21 Personen wurden zum Teil schwerst verletzt. So auch die Man­dan­t*in­nen von Başay-Yıldız. Nun wird vor Gericht um ein mögliches Motiv gerungen. Der 40-Jährige Daniel S. steht im Verdacht, möglicherweise aus rechtsextremistischer Ideologie gehandelt zu haben. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft schon kurz nach der Brandstiftung in einer Pressekonferenz verlauten lassen, dass es keine Hinweise für ein „fremdenfeindliches“ Motiv gebe.

Richter zeigte sich erschüttert

Im Prozess drängt sich nun die Frage auf, ob das stimmt. „Mir ist früh aufgefallen, dass zum Motiv nicht so richtig ermittelt wurde“, sagt Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız. Das habe sie irritiert, vor allem weil der Angeklagte bereits 2022 am Jahrestag der Reichspogromnacht versucht hatte, das Gebäude anzuzünden. Das wäre ein Ansatz gewesen.

Zudem kam heraus, dass nicht alle Datenträger ausgewertet wurden, die konfisziert worden waren. Dem Gericht wurden Chatprotokolle vorgelegt, in denen sich der Angeklagte und seine Lebensgefährtin abfällig über Mi­gran­t*in­nen äußerten und deren Tod wünschten. Außerdem fand Başay-Yıldız heraus, dass der Angeklagte kurz vor der Tat „Mord Strafrecht“ gegoogelt hatte. Zusätzlich entdeckte Başay-Yıldız, auf einem Bild der Durchsuchungsmaßnahmen aus der Garage des Angeklagten im Hintergrund ein volksverhetzendes Pamphlet, das dort aufgehängt war. Schließlich gibt es eben noch die eingangs erwähnten Beweismittel – knallharte NS-Literatur.

Auch der Vorsitzende Richter Jochen Kötter hatte sich erschüttert gezeigt, als Başay-Yıldız die neu aufgetauchten Bilder in Augenschein nehmen ließ. Er könne da auch aus der Haut fahren, wenn er das sehe, sagte Kötter während des Prozesses. „Ich muss Ihnen zugestehen, dass das nicht passieren darf“, so der Richter weiter.

Başay-Yıldız will nach der Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal weitere Ermittlungen prüfen, auch gegen die Staatsanwaltschaft selbst. Am 15. April wird der Prozess fortgesetzt.

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16 Kommentare

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  • Ich will ja unser Rechtssystem nicht schlechtreden aber es kann gut sein dass da (mal wieder) der EMGR ein Machtwort sprechen muss.



    Die StAen sind ja weisungsgebunden und dürfen selbst über eine solche Weisung nichts verlautbaren lassen ...

  • Maßgeblich für das Strafmaß bei einem tödlichen Brandanschlag ist das Motiv, insofern liegt bei Unterdrückung von Beweismitteln Strafvereitelung vor.



    Politisch scheint es für die Wuppertaler Staatsanwaltschaft nicht opportun zu sein, dass ein rassistischer Mordanschlag wie der von 1993 in Solingen sich in 2024 ausgerechnet in derselben Stadt wiederholt.



    Das hatte die Justiz schon beim Anschlag in der Lübecker Hafenstraße 1996 mit 10 Toten so gehandhabt. Die aus Grevesmühlen stammenden Täter ließ man trotz mehrfacher Geständnisse laufen.



    de.wikipedia.org/w...cker_Brandanschlag



    Verwickelt war im Fall Lübeck auch ein V-Mann des LKA. Wie beim bis heute unaufgeklärten NSU-Mord in Kassel...

  • Die armen Polizisten jetzt wieder. Vielleicht konnten sie die Bücher ja einfach nicht als rechtsextrem einordnen, weil sie sie selbst in ihren Regalen stehen haben und deswegen dachten "ist doch voll normal". Man hat es halt oft nicht leicht als Rechts-hüter.

    • @Jalella:

      Ziemlich abfällige Bemerkung und meiner Meinung nach völlig überzogen

  • Hoffentlich hat Frau Başay-Yıldız vollen Erfolg. Hoffentlich werden jetzt einige Politker*innen wach und sehen sich im Polizeiapparat mal genauer um. Und hoffentlich wird auch das Justizministerium endlich aufmerksam.

  • Eìne Krähe hackt der anderen kein Auge aus.



    Rechtsstaat sieht anders aus.

    • @So,so:

      Ähm, auch der Richter gehört zum Rechtsstaat und der schien es nicht so toll gefunden zu haben.

  • Welcher Straftatbestand soll denn das bitte sein?

    • @Dr. McSchreck:

      Da kommt eigentlich nur Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung in Betracht. Vielleicht noch in Hergang mit Strafvereitelung im Amt.

      • @Sam Spade:

        Beides liegt evident nicht vor. Die Bücher wurden ja nicht "entzogen" oder gar "unbrauchbar gemacht" (sonst wüsste die Anwältin nicht davon), sondern sie wurden als irrelevant bewertet.



        Die Bücher sind auch keine Urkunden und wurden nicht "unterdrückt" im Sinne des § 274.

        Vom Vorsatz mal abgesehen, der sicher fehlt, wenn man Unterlagen als irrelevant einschätzt, die die Nebenklage für relevant hält.

        Die Strafe wird mit Sicherheit auch nicht vereitelt, im Gegenteil ist weiterhin nicht klar, was das Motiv war und es las sich bisher immer als Racheakt gegen die Vermieterin.

    • @Dr. McSchreck:

      Es geht ums Motiv, was gerade bei Tötungsdelikten bedeutsam ist.

      • @Andreas J:

        Meine Frage war darauf gerichtet, welches Delikt die Staatsanwaltschaft verfolgen soll. Wenn man eine Anzeige erstattet, wird man ja ungefähr eine Vorstellung haben, was die Vorwurf ist. Ein Motiv nicht aufklären ist keine Straftat.

        • @Dr. McSchreck:

          Den Beamten wird Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung vorgeworfen. Ob dafür ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, wird man ohne nähere Kenntnis der Akten kaum beurteilen können.

          www1.wdr.de/nachri...olizei-ab-100.html

          • @Barrio:

            Der WDR-Artikel (danke dafür) sagt doch sehr deutlich, dass die Bücher überhaupt nicht im Wohnbereich des Angeklagten waren und man sie trotzdem dem Staatsschutz vorgelegt hat. Damit ist weder etwas unterdrückt worden noch "unbrauchbar gemacht" noch ist im entferntesten ein Vorsatz erkennbar.

  • Jeden Tag 3 rechte Gewaltverbrechen. Und das OBWOHL soviel vertuscht oder als unpolitisch gedeutet wird. Wie hoch ist erst die Dunkelziffer?

    • @Lighfe:

      Das liegt im Dunkeln. Aber immerhin beruhigend, dass das auf jeden Fall alles nur Einzelfälle sind. Und die Drahtzieher sind mit Sicherheit abgelehnte Asylanten, das ist mal sicher. Und abgelehnt sind sie schon deswegen sicher weil das BAMF da hohe Ansprüche hat bevor es einen Fall anerkennt. Man kennt ja den Chef des BAMF und seine Ansichten inzwischen etwas besser.