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Bodo Ramelow über Corona-Skeptiker„Das ist Provokation“

Wenn sich Pegida, AfD und bürgerliche Sorgen vermischen, sei das toxisch, sagt Thüringens Ministerpräsident. Ihn ängstigen die Verschwörungsfantasien.

Hauptsache die Deutschlandfahne ist dabei...und ein Feindbild Foto: Carsten Thesing/Imago
Konrad Litschko
Interview von Konrad Litschko

taz: Herr Ramelow, am Wochenende gingen bundesweit tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren, auch in Thüringen. Was ist davon zu halten?

Bodo Ramelow: Das ist zuerst mal ein Kuriosum: Die Menschen behaupten, ihr Recht, sich zu artikulieren, sei eingeschränkt, aber sie tun und dürfen genau das. Diesen Widerspruch merken die Beteiligten offenbar selbst nicht. Das ist symptomatisch: Bei diesen Kundgebungen ist derzeit viel Unwahrheit und Motivation aus ganz anderen politischen Suppen dabei.

Wer geht denn da auf die Straße: Besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Rechtsextreme?

Man muss da differenzieren. Wir hatten in Thüringen Gastronomen, die Stühle vor ihre Restaurants gestellt haben, oder Reisebüro-Besitzer, die mit gepackten Koffern protestierten. Sie haben Sorgen artikuliert, weil sie wegen der Einschränkungen ökonomisch in die Knie gehen. Das ist etwas anderes als diese seltsamen Spaziergänge, die behaupten, ihre Meinungsfreiheit werde ihnen genommen, die von einer Weltverschwörung von Bill Gates bis zu Frau Merkel fabulieren oder über einen Impfzwang, über den niemand diskutiert. Die bewusst auf einen Mund-Nasen-Schutz verzichten und auf engstem Raum zusammenstehen. Das ist Provokation. Wenn auch Polizisten oder Journalisten angegriffen werden, ist das alarmierend.

Bei Ihnen in Thüringen demonstrierte in Gera nun auch der FDP-Landeschef Thomas Kemmerich mit. Wie bewerten Sie das?

Die Bilder, die es davon gibt, zeigen, dass Herr Kemmerich dort ohne Mund-Nasen-Schutz und ausreichenden Abstand mitgelaufen ist. Vorbildfunktion? Fehlanzeige. Dazu muss sich Herr Kemmerich fragen, mit wem er sich da in geistiger Kumpanei bewegt. Wer einfach so mitläuft, wo Menschen sich über Weltverschwörungen oder antisemitisch äußern, der macht sich dies zu eigen.

Sie selbst haben als Thüringer Ministerpräsident die Corona-Einschränkungen beschlossen. Wurden ebendiese zu wenig vermittelt, wenn die Leute jetzt so auf die Straße gehen?

Der Staat hat sich permanent erklärt. Aber die Entwicklungsdynamik ist derzeit so hoch wie noch nie. Wenn wir als Staat eine Erklärung zu den Maßnahmen abgeben, geht auf der einen Seite sofort das Gedonner los, warum wir das nicht längst beschlossen haben. Auf der anderen Seite kommt die Gegenbewegung, die alles für überzogen hält. Und dann haben wir in Thüringen noch die AfD, die einfach böswillig Unwahrheiten behauptet, etwa dass wir nun Bordelle öffnen, aber Kindergärten nicht – was schlicht nicht stimmt. Es ist doch klar, warum wir dies alles gerade tun: Wir tun es zum Schutz für Leib und Leben.

Im Interview: Bodo Ramelow

Der Politiker der Linkspartei ist Ministerpräsident des Freistaates Thüringen.

Und dennoch gehen nun Menschen auf die Straße. Wie muss die Politik, wie müssen Sie jetzt darauf reagieren?

Die Proteste sind das gute, legitime Recht der Menschen. Wir leben nicht in einem Polizeistaat, der so etwas untersagt. Wir in Thüringen haben als Erste das Demonstrationsrecht wieder zugelassen, noch vor dem Bund. Weil es ein wichtiges Grundrecht ist. Aber auf die Proteste reagieren, wie denn?

Noch mehr Dialog und Vermittlung?

Wie soll ich denn auf diese haltlosen Verschwörungen reagieren? Wie soll ich auf Impfgegner reagieren, wenn es gar keine Debatte über einen Impfzwang gibt, oder überhaupt erst ein Impfmittel? Das ist das Problem: Ich kann auf vieles gar nicht reagieren, was da gerade diskutiert wird. Ich kann nur akzeptieren, dass diese Menschen unterwegs sind. Aber wir müssen auf der Hut sein, wo sich Pegida und AfD, bürgerliche Sorgen und Existenzsorgen vermischen, das ist toxisch. Das darf man nicht unterschätzen. Die eigentliche Sorge, die ich habe, ist aber eine andere.

Und zwar?

Die vor einer zweiten Infektionswelle. Ich sorge mich vor dieser Verharmlosung und Leichtsinnigkeit, die diese selbsternannten Spaziergänger da gerade betreiben. Oder dass mir selbst gescheitere Leute dieses Verschwörungszeug zuschicken. In Sonneberg demonstrieren die Menschen, dass das Virus nicht vorhanden oder harmlos ist, und gleichzeitig müssen wir wegen der Krankheitsfälle die Klinik schließen. Diese Gleichzeitigkeit alarmiert mich, ja, sie macht mir richtig Angst.

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6 Kommentare

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  • Der Unterschied zu früher ist relativ banal: Heute meinen Teile der Gesellschaft nach wenigen Minuten "Recherche" im Netz, sie wären kompetenter als Wissenschaftler, die sich jahrelang mit dem jeweiligen Thema befasst haben. Und dabei ist es ziemlich schnuppe, um welches Thema es sich handelt. Es braucht für einen "Coronaskeptiker", "Impfskeptiker", "Evolutionsskeptiker" oder "Klimaskeptiker" (etc. pp.) genau zwei Dinge: Ahnungslosigkeit und ein übersteigertes Selbstbewusstsein.

    • @Kaboom:

      Sehen Sie, ich bin kein Wissenschaftler und kann mir nicht anmaßen, zu beurteilen, welche der sich teils sogar widersprechenden "wissenschaftlichen" Aussagen die richtigen sind. Erinnern Sie sich? Im Januar "raunten Verschwörungstheoretiker" daß Corona eine schlimme Krankheit wäre, was allgemein verlacht wurde. Nun haben beide Mannschaften offenbar das Spielfeld gewechselt, denn nun ist die schlimme Krankheit auf der Mehrheitsseite, während die "VT-Deppen" das behaupten, was vorher Allgemeinmeinung war, nämlich das das gar nicht so schlimm sei. Also ich bitte Sie. Das ist doch von keiner Seite akzeptabel. Da werden Meinungen und Auffassungen gewechselt und jeder behauptet, er wäre im Recht. Ich als Nicht-Virologe habe da also meine Zweifel.

    • @Kaboom:

      Einerseits ist es gut, dass alle mitreden und mit-tun und eine Meinung haben,



      das darf man dabei nicht vergessen.



      Andererseits fehlt die Einsicht, dass eine fundierte Meinung sehr gut begründet sein muss. Verlässliche Quellen, viele Fakten, Intelligenz sind da Grundvoraussetzungen.



      Gestern z.B. gab es in meiner Stadt Leute, die sich ohne Abstand und G-schutz in einen Fahrstuhl drängten, und damit Leute aus der Risikogruppe gefährdeten. Krasse Ignoranz, krasse Rücksichtslosigkeit.



      Das fängt ja schon beim Verfassungsgericht an, das gerade eine höchst dubiose Entscheidung zur EZB getroffen hat und damit die einzige Instanz geschwächt hat, die in dieser Krise an den wirklich wunden Punkten der Ökonomie noch helfen kann.



      Und das hört nicht bei den SUV-Fahrern und Vielfliegern auf, denen ja das Überleben der Gemeinschaft genauso schnurzpiepegal ist.

  • "diese selbsternannten Spaziergänger"!

    Dem Herrn Ramelow in seiner intellektuellen Bedürftigkeit möchte ich aber auch nicht unbedingt trauen müssen, der kann ja nicht mal richtig beleidigen...

  • Danke für das klare Benennen von Angst und auch dafür, zuzugeben, dass man nicht für alles eine Lösung oder wenigstens eine schlaue Antwort in einem solchen Interview hat. Finde das zutiefst authentisch und höchst symphathisch.

  • Also jetzt muss ich doch mal eine Lanze oder zwei für Verschwörungstheorien brechen. Zum einen sind sie im Regelfall wesentlich unterhaltsamer als banale Fakten. Zum anderen, wer erinnert sich denn noch an Gerhard Löwenthal und das ZDF Magazin? Damals hat Löwenthal doch hinter jeder linken politischen Aktivität und jedem Skandal den Stasi vermutet, das würde man heute wohl auch eine Verschwörungstheorie nennen. Viele Leute haben über ihn gelacht, Klaus Staeck hatte den bekannten Aufkleber produziert usw. Gut, nach der Wende stellte sich heraus dass Löwenthal sehr häufig genau richtig gelegen hatte und dass viele seiner Feinde wie Staeck tatsächlich Stasi-IMs gewesen waren. Ergo, man sollte die VTs nich in Bausch und Bogen verdammen, sondern gelegentlich mal genauer hinschauen.