Berliner Genossenschaft droht Pleite: Teures Lehrstück in bester Lage
Die Berliner Genossenschaft Möckernkiez wollte zeigen, dass Bauen auch selbstverwaltet, ökologisch und sozial geht. Jetzt braucht sie dringend Geld.
So sollte es längst sein, das Leben im Modellprojekt Möckernkiez an der Grenze zwischen Berlin-Kreuzberg und -Schöneberg. Stattdessen: Baustopp. Stillstand. Drohende Insolvenz. Bislang ragen neben den Birken nur vier trostlose Rohbauten in die Höhe. In den kommenden Monaten muss das Projekt einen Geldgeber finden, sonst ist die Genossenschaft pleite.
Ein Scheitern des Möckernkiez wäre ein kleines Drama – nicht nur für die betroffenen Mitglieder, die ihre Ersparnisse investiert haben. Der Möckernkiez ist das größte Neubauvorhaben einer Genossenschaft in Berlin. Sein Ende wäre auch ein trauriges gesellschaftliches Signal: Bauen in dieser Größenordnung, mit diesen Ansprüchen, das geht offenbar nur mit privaten Investoren, zu hohen Preisen. Und nur, wenn einige wenige dabei Profit machen können.
Oder liegt es doch an dieser einen Genossenschaft, dass sie in solchen Schwierigkeiten steckt?
„Anonyme Investoren oder wir?“
2007 hatten Leute aus der Nachbarschaft die Idee, auf dem Grundstück selbst etwas zu bauen. „Anonyme Investoren oder wir?“ lautete die Parole, mit der die Initiative um Mitstreiter warb. Ein buntes Gemisch von sozial-ökologisch bewegten Interessenten, darunter viele Akademiker, kam bald zusammen. Sie trafen sich Woche für Woche, entwickelten Ideen für das Zusammenleben und gründeten die Genossenschaft.
Es gibt Vorbilder für den Möckernkiez, die es geschafft haben.
Ein Beispiel: 1993 gründete sich in München die „Wogeno-Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen“. Sie kaufte erst einzelne Häuser auf.
Nach fünf Jahren wagte sich die Wogeno an 60 Wohnungen im Neubau. Inzwischen gehören 19 Häuser mit über 500 Wohnungen zu der Genossenschaft.
Wogeno-Mitglieder müssen wie beim Möckernkiez Pflichtanteile erwerben, also Geld einzahlen. Das Eigenkapital ist die tragende wirtschaftliche Säule, es macht rund 40 Prozent des Anlagevermögens aus.
Ein guter Teil der Wogeno-Wohnungen wurde mit öffentlichen Mitteln gefördert.
240 Mitglieder legten im Jahr 2010 ihr Geld zusammen, ohne zu wissen, was für Wohnungen sie am Ende bekommen würden. Sie brachten 8 Millionen Euro auf und kauften gemeinsam das 30.000 Quadratmeter große Baugelände am Park.
Heute meiden manche Genossen die Grünanlage lieber, zu unangenehm berührt sie der Anblick der Rohbauten. Nicht so Petra Seitz*. „Ist doch viel zu schön hier“, sagt sie. Die 50-jährige Pädagogin wohnt in einem Altbau um die Ecke, beim Möckernkiez war sie fast von Beginn an dabei. „Das Gemeinschaftliche, nicht an Eigentum Orientierte an dem Projekt fand ich total gut“, erzählt sie. Auch die geplante Barrierefreiheit habe sie überzeugt. „Ich möchte schließlich hier wohnen bleiben, auch wenn ich älter bin und die Treppen nicht mehr laufen kann.“
In langen Diskussionen entwickelten die Genossen ein Konzept: In 17 Häusern sollen insgesamt 464 Wohnungen entstehen, ein „selbstverwaltetes, Generationen verbindendes, barrierefreies, ökologisch nachhaltiges und sozial integratives Wohnquartier für breite Bevölkerungsschichten“, heißt es auf der Homepage.
Die ersten gemeinschaftlichen Aktionen starteten lange vor dem Bau: Ein Chor wurde gegründet, eine Runde zum Kartenspielen, man beteiligte sich an einem Straßenfest. „Es sind viele Freundschaften entstanden“, erzählt Seitz.
Das Vertrauen in die Genossenschaft war riesig, der Optimismus ungebremst.
Eigenes Geld einzahlen
Für das Bauvorhaben mussten aber nicht nur 8 Millionen, sondern 80 Millionen Euro finanziert werden. Mit dieser Summe rechnete zumindest der Vorstand. Um den Banken eine gewisse Sicherheit zu bieten, wurde der Eigenanteil eines jeden Mitglieds hochgesetzt. Wer in dem Viertel leben will, muss inzwischen 40 Prozent der Baukosten seiner Wohnung selbst aufbringen. Bei einer 100-Quadratmeterwohnung sind das immerhin 92.000 Euro.
Damit erwirbt man aber kein Eigentum, sondern Genossenschaftsanteile. Zusätzlich fällt eine Miete an: Je nach Lage der Wohnung – ob am Park oder an der Straße, im Erdgeschoss oder unterm Dach – zwischen 7 und 11 Euro pro Quadratmeter kalt.
Immerhin 33 Millionen Euro hat die Genossenschaft über die Eigenanteile von rund 550 Mitgliedern zusammenbekommen. Die Kehrseite: Für ärmere Menschen oder Hartz-IV-Empfänger, von denen nach wie vor viele in Kreuzberg leben, ist der Möckernkiez viel zu teuer.
Projekt der Mittelklasse
Seitz und ihr Lebenspartner konnten die 60.000 Euro aufbringen, die sie für ihre Wohnung zahlen müssen. „Wir haben all unser Erspartes da reingesteckt, unsere Alterssicherung“, erzählt sie. Sie weiß aber auch von anderen, die aus der Genossenschaft ausstiegen, weil sie sich das nicht leisten konnten. Von einem Quartier für „breite Bevölkerungsschichten“, wie es mal der Anspruch war, kann keine Rede sein. Der Möckernkiez ist ein Projekt der Mittelklasse, des alternativen Bürgertums.
In der öffentlichen Wahrnehmung wäre das eine Randnotiz geblieben, hätte es die Genossenschaft im vergangenen Jahr nicht mit einem viel größeren Problem zu tun bekommen: der fehlenden Finanzierung. Die Verhandlungen mit den Banken liefen schon lange. Um den steigenden Baupreisen ein Schnippchen zu schlagen, beschloss die Genossenschaft, mit dem Bau aus eigenen Mitteln zu beginnen – obwohl noch kein Kreditvertrag abgeschlossen war. Ein erhebliches Risiko. „Der Vorstand war zuversichtlich, dass die Zusagen der Banken kommen“, erinnert sich Seitz.
Das stellte sich als falsch heraus. Weil das Geld auszugehen drohte, musste die Baustelle im November 2014 stillgelegt werden. Nun steht die Genossenschaft mit dem Rücken zur Wand.
Manche Mitglieder sagen, der Vorstand – ein Rentner, eine Restauratorin, eine Politologin – habe schlicht unprofessionell gearbeitet, sei mit dem Riesenbauvorhaben überfordert gewesen. Immerhin hat sich die Genossenschaft inzwischen von der Idee verabschiedet, dass sich Laien Wissen aneignen und das Bauvorhaben selbst verwalten. Nach dem Baustopp gab es einen kompletten Personalwechsel.
Es geht ums Überleben
Bei der Mitgliederversammlung Ende Mai in einer roten Backsteinkirche von Berlin: Auf dem Podium sitzen vor allem Anzugträger mit Krawatten. Die alten Vorstände sind schon vorher abberufen und ein Immobilienfachmann und eine Projektmanagerin von außen geholt worden. Der Möckernkiez ist ihr Job, wohnen wollen sie dort nicht.
Die Genossen im Publikum – viele Ältere sind darunter, Frauen mit bunten Halstüchern, Jüngere in Kapuzenpullis – lauschen ihren Ausführungen. Früher wurde bei den Versammlungen ausgiebig diskutiert. Heute arbeitet man sich ruck, zuck durch die Tagesordnung. Es geht ums Überleben.
Bereits im Februar hatten die Mitglieder ein Stück Basisdemokratie geopfert. Nach der alten Satzung konnte nur die Mitgliederversammlung den Vorstand wählen und entlassen. Nun hat der Aufsichtsrat diese Rechte. An dessen Spitze steht inzwischen einer, der Zahlen nur so runterrattern kann – Werner Landwehr ist auch Leiter der Berliner Niederlassung der GLS-Bank.
Neubau ist teuer. Statt wie ursprünglich mit 80 Millionen Euro rechnet die Genossenschaft inzwischen – auch aufgrund der gestiegenen Baupreise – mit 120 Millionen Euro Gesamtkosten. Allein für den Stillstand am Möckernkiez zahlt sie jeden Monat einen fünfstelligen Betrag.
Bisher hatte der Vorstand die einzelnen Bauarbeiten selbst vergeben. Um den Banken mehr Sicherheit zu bieten, dass die Kosten nicht weiter explodieren, soll das nun ein Generalunternehmer managen. Vorstand Frank Nitzsche gibt sich zuversichtlich. „Erste Rückmeldungen von Kreditgebern liegen bereits vor.“
„Wieso haben die so viel Macht?“
Die Mitgliederversammlung beschließt, einen kleinen Teil des Grundstücks zu verkaufen. Dort sollte ein Hotel entstehen, das Behinderte beschäftigt. Petra Seitz zuckt mit den Schultern. „Das Hotel ist verzichtbar, aber warum der Verkauf nötig ist, verstehe ich nicht.“ Die Genossenschaft habe doch viel Eigenkapital aufgebracht. Überhaupt wundere sie sich über die Rolle der Banken. Sie fragt: „Wieso haben die so viel Macht?“
Bleibt die Frage, ob ein 120-Millionen-Euro-Projekt für eine neu gegründete Genossenschaft schlicht zu groß ist. „Im Grunde genommen geht das“, sagt Rolf Novy-Hui von der Stiftung Trias, die Initiativen für neue Wohnformen fördert. Er verweist auf die Genossenschaft „Wogeno“ in München, die „picobello“ laufe. Für Novy-Hui sind die Probleme des Möckernkiezes hausgemacht. „Die hätten an der ein oder anderen Stelle besser aufpassen müssen.“
Eigentlich wollte Petra Seitz schon 2014 in ihre neue Wohnung ziehen. Jetzt ist als frühester Termin 2017 im Gespräch. Seitz und ihr Lebenspartner können so lange in ihrer Mietwohnung bleiben. Für andere ist die Verzögerung ein größeres Problem: Familien, deren Kinder in zu kleinen Wohnungen heranwachsen. Genossen, denen die alte Bleibe gekündigt wurde. Die meisten arrangieren sich – Hauptsache, sie können irgendwann im Möckernkiez leben.
Sollte sich kein Kreditgeber finden, müsste die Genossenschaft Insolvenz anmelden. Dann würde das Grundstück mitsamt den Rohbauten und den Bauplänen verkauft. Interessenten dürfte es mehr als genug geben: Wer die anfängliche Investition stemmen kann, macht mit Eigentumswohnungen in bester Kreuzberger Parklage sicher einen dicken Gewinn.
*Name geändert
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