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Berichterstattung über CoronavirusWo bleibt die Empathie?

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Die europäische Berichterstattung über Corona macht viele Chines*innen wütend. Ihnen fehlt es an Mitgefühl.

Passant*innen tragen Atemschutzmasken in der Innenstadt von Hongkong Foto: Geovien So/dpa

A ls der Spiegel letzte Woche seine Cover-Story mit der Schlagzeile „Made in China“ anpries, zeigten sich viele Chines*innen enttäuscht und wütend. Sie halten solche Berichte für Belege westlicher Scheinheiligkeit. Oder wäre vor zehn Jahren ein Medium auf die Idee gekommen, bei der Vogelgrippe „Made in USA“ zu titeln?

Insbesondere bei den Artikeln der Peking-Korrespondent*innen aus dem englischsprachigen Raum schimmert nicht selten Schadenfreude darüber durch, dass die Kommunistische Partei in Peking nun angesichts des Virusausbruchs politisch in Bedrängnis gerät. Natürlich gibt es genügend Grund zur Kritik: Die chinesische Regierung sorgt durch Unterdrückung der Meinungsfreiheit und unabhängiger Berichterstattung für ein Klima der Verunsicherung. Die Parteikader aus Wuhan haben gar durch Verschleierungsaktionen den Virusausbruch deutlich verschlimmert.

Und dennoch ist der Mangel an Empathie gegenüber der Bevölkerung geradezu erschreckend: Für das Gros an Chines*innen ist die Situation belastend bis existenziell gefährdend. Die Quarantänemaßnahmen und massiven Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zerren an den Nerven, rauben Kleinunternehmern und Arbeitsmigrant*innen die wirtschaftliche Grundlage. Die Opfer, die die Leute mit teils beeindruckender Disziplin erbringen – auch weil die Regierung sie mit ihren drastischen Maßnahmen angeordnet hat –, sollten gewürdigt werden.

Die Quarantäne einer Provinz mit rund 60 Millionen Menschen ist schließlich einmalig in der Menschheitsgeschichte. Allzu schnelle Schuldzuweisungen sind da unangebracht.

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Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
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34 Kommentare

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  • Empathie hat noch nie geschadet. Für die Menschen auf jeden Fall - bei dem Regime eher nein.

  • Sehr interessant! Wusste bislang noch gar nicht, dass Empathie ein geeignetes Mittel gegen Corona-Viren sein könnte.

    • @Rainer B.:

      Es geht in dem Text um die Berichterstattung über die Epidemie, nicht um ein Mittel dagegen.

      • @Kolyma:

        Interessant! Die Berichterstattung ist also das eigentliche Problem und gar nicht so die Epidemie. Da bin ich aber beruhigt.

  • Meiner Meinung nach wird insgesamt wenig empathisch über China berichtet. Man liest viel über die chinesische Wirtschaftsexpansion, aber ganz wenig über das Leben der Menschen in dieser Diktatur. In vielen Artikeln wird der Anschein erweckt, die Menschen würden gut klarkommen mit der Überwachung und Repression, den vermutlich z.T. schauerlichen Arbeitsplätzen und der massiven Umweltverschmutzung - die Chines*innen wären halt irgendwie anders. Das große westliche Interesse am Covid-Ausbruch ist vielleicht eine Chance, insgesamt empathische auf China zu blicken.

    • @Kolyma:

      China ist auf dem Weg zum ersten Big Brother Regime mit allen negativen Folgen für das Individium.



      Positiv für China könnte man sagen den Menschen geht es besser als früher.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Kolyma:

      Sehr richtig.

      Wer sich nicht wirksam genug von den verbalen Auswürfen der Münchner Unsicherheits-Konferenz schützt, wird schnell auf die Quelle dieser zutiefst inhumanen Gesinnung stoßen.

      "Der Westen gewinnt" schwadronierte unlängst ein gewisser Herr Pompej (nomen est omen).

      Blöd nur, dass der Satz nicht zuende formuliert wurde. Ich übernehme das gerne mal:

      Der Westen gewinnt ... mit einer solchen Haltung keinen Blumentopf. Von Sympathie und Achtung ganz zu schweigen.

      Neulich hörte ich - ich zitiere - den Begriff "Gesocks". Passt.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Kolyma:

      Weil im Westen fast ausschließlich die Chinesen zu Wort kommen, die mit der Diktatur gut klar kommen.



      Die Leute werden dort allein gelassen, weil sich Geld mit ihrer Unterdrückung machen lässt. Aber ein Pakt mit dem Teufel kennt nur einen Gewinner.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Mit dem Gewinner meinen Sie sicher die Kirche - oder?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Die Frage der Headline ist leicht zu beantworten: im großen Maßstab gibt es keine Empathie. Weder China gegenüber, noch Russland oder anderen Ländern samt deren Bewohnern.

    Der Kapitalismus hat ganze Arbeit geleistet. Weltweit. Wahrlich kein Grund zur Freude.

    Aber als Trost: was im Großen fehlt, exisitiert durchaus - zumindest in Ausnahmefällen - im Kleinen. Auch bei Empathie.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ihre Antwort in Bezug auf die Headline bringt es auf den Punkt. Empathie gibt es nicht im großen Maßstab.

      Allerdings würde ich nicht den Kapitalismus dafür verantwortlich machen. Dazu ist der viel zu jung.

      Es liegt in der menschlichen Natur. Empathie ist nur im Kleinen möglich.

      Mit z. B. einer Million Menschen als Gesamtzahl fällt es schwer, Mitleid zu empfinden. Man muss sich schon dazu Einzelpersonen vorstellen.

      Darum schreiben Journalisten gern Portraitartikel.

  • ... [II] Ein weiteres Beispiel: In unserem Umfeld in Berlin hat ein chinesischer Koch wegen starker Umsatzeinbußen des Restaurants gerade seine Arbeit verloren - das chinesische Reiseverbot für chinesische Touristengruppen unter den Gästen hat Folgen.

    Deshalb nennen wir das Covid-19 Virus sarkastisch auch das„Job – Killervirus“. -

    Ganz im Sinne des Artikels: Ja, politische Analyse und Kritik in den Medien tun weiterhin not, und ja, sehr dringend gefragt sind unsere Empathie, unser Respekt, unsere Solidarität mit den betroffenenen Chines:innen!

    • @JCCharlotte:

      Interessanter Bericht!

  • Mit seinem Beitrag hat mir Chinakorrespondent Fabian Kretschmer aus dem Herzen gesprochen. Danke.

    Ich selbst bin Deutsche, habe aber familiäre Verbindungen in den Süden Chinas, in eine Metropole in der stark betroffenen Provinz Zhejiang. - Hier noch einzelne konkrete Beispiele: Am Telefon erfahren wir, wie das ist, wenn Ausgang nur im Radius eines Häuserblocks möglich ist – natürlich mit Mundschutz – und nur eine Person aus dem Haushalt alle zwei Tage für die Familie einkaufen gehen darf. Familienintern fällt die Wahl auf den Glücklichen, der das immer am liebsten und mit großem Sachverstand gemacht hat, in diesem Fall der Vater / Großvater. In einem Heft, das er dabeihaben muss, wird sein Gang nach draußen dort per Stempel dokumentiert. Statt Schulbesuch und privatem Malkurs löst die neunjährige Enkelin stattdessen von der schule gestellte Aufgaben am Computer. Dabei unterstützt sie die Mutter, die nun viel Zeit hat, weil ihr online – Laden brachliegt. Ob sie als lokale Kulturjournalistin – ihr anderer Job - Schreibaufträge hat, haben wir nicht erfragt, aber Musikveranstaltungen, Filmpremieren u.a. können ja nicht stattfinden. Nur ihr Mann, Polizist, muss Überstunden schieben. Die 94jährige Urgroßmutter am anderen, armen Ende der Millionenstadt kann nicht mehr mit den üppigen frischen Lebensmitteln versorgt und sonntags zum Familienessen vor Ort bekocht werden. Die Autos müssen ja stehen bleiben, Busse sowieso. (Die alte Dame wollte nie wegziehen aus dem angestammten Quartier, jetzt ein Nachteil.) Bestimmt kommt sie aber trotzdem klar. Sie hat nämlich schon Schlimmeres erlebt, zum Beispiel eine entsetzliche Hungersnot. Damals hat sie mit ihrem Mann zusammen alle vier Kinder glücklich durchgebracht. Das Erstgeborene war allerdings schon bei einem Bombenangriff im Bürgerkrieg gestorben [I] ...

  • Danke dafür, dass doch noch andere Perspektiven veröffentlicht werden. Ich bin mit einer Chinesin verheiratet und habe das Thema Respektlosigkeit und mit vielerlei Maße messen der Presse (und auch von vielen meiner Mitbürger) täglich zuhause.

    PS: Die Vogelgrippe mit 280.000 Toten Weltweit als harmlos zu Bezeichnen ist auch wiedermal ein gutes Beispiel wie in Deutschland argumentiert wird.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @TiMo74:

       

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.



      Die Moderation

    • @TiMo74:

      Zu Ihrem Post Scriptum:

      Das liegt vielleicht daran, dass die WHO bei der Vogelgrippe nur von 455 Toten seit 2003 spricht und Experten die Wahrscheinlichkeit, an H5N1zu erkranken, angeblich als äußerst gering einschätzen.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Guter Artikel!



    Empathielosigkeit scheint jedoch tatsächlich ein zunehmendes Kennzeichen "westlicher" Lebensart zu werden - um so mehr, wenn die Betroffenen irgendwie anders erscheinen als der - hm, sagen wir mal Durchschnittsbürger.

  • "Als „Der Spiegel“ letzte Woche seine Cover-Story mit der Schlagzeile „Made in China“ anpries, zeigten sich viele Chines*innen enttäuscht und wütend. Sie halten solche Berichte für Belege westlicher Scheinheiligkeit. Oder wäre vor zehn Jahren ein Medium auf die Idee gekommen, bei der Vogelgrippe „Made in USA“ zu titeln?"



    Mal davon abgesehen, dass die Vogelgrippe im Gegensatz zum Coronavirus für Menschen ungefährlich ist, bin ich anderer Meinung. Hätte ein gefährliches Virus den eindeutigen Ursprung in den USA oder Deutschland gehabt und sich international ausgebreitet, wäre auch die Chinesische Presse mit derartigen Titeln ganz vorne am Start.



    Eines ist jedoch sicher, gäbe es einen Leitartikel aus China á la "Made in Germany" in Zusammenhang eines Virus, wäre die Reaktion garantiert nicht "enttäuscht und wütend". Jahrzehntelange Selbstgeißelung der Deutschen Medienlandschaft härtet ab.

    • @Magumpus:

      Zu behaupten, sie hätten es wenn es andersrum währe genauso gemacht, ist eine Unterstellung und eine ganz schlechte Rechtfertigung für Empathiemangel.

  • Da ich überhaupt keinen Grund dafür sehe, dass das in Europa nicht genauso verlaufen sollte wie in China (dort gab es ja vor 6 Wochen auch erst eine Handvoll Fälle), werden wir in 6 oder 8 Wochen China vormachen können, wie wir das alles viel besser können.

    Und ich befürchte, dass das Land der Rettungsgassenblockierer und Feuerwehrleuteverprügler mit Quarantänemassnahmen, Ausgangssperren etc. eher viel schlechter zurechtkommt als die Chinesen.

  • Gerade für solche anderen Blickwinkel liebe ich die taz. Danke. Das autoritäre System ist das eine, die armen Menschen das andere.

    • @Oliver Tiegel:

      Ich habe viele Artikel gelesen, die von Empathie gegenüber Erkrankten und Chinesen im allgemeinen zeugen,



      Einen "anderen" Blickwinkel habe ich nicht bemerkt.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @rero:

        Ich vermute, dass Sie es nicht so gemeint haben.

        Für mich klingt Ihr Post nach Kalau: "Liebe Erkrankte und Chinesen".

        Oder unterschätze ich Ihren Humor?

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Bei den "Chinesen" hatte ich Restaurantbesitzer im Kopf, die auf ein Mal leere Räume haben, chinesische Studenten oder Familien, die nun unter Generalverdacht stehen, obwohl sie im letzten halben Jahr nicht mal in China waren, komplette Einreiseverbote für Chinesen, sowas halt.

          Und da haben andere Zeitungen tendenziell mehr drüber gebracht. Durchweg mitfühlende Artikel.

          Sorry, wenn ich mich da mißverständlich ausgedrückt habe. Als Kalauer war der Beitrag nicht gemeint. Auch wenn ich den Humor dafür hätte... :-)

        • @76530 (Profil gelöscht):

          ... nicht Kalau. Lübke.

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @jhwh:

            Bitte um Übersetzungshilfe. Habe schon zuviel gedacht und geschrieben.

            Die Siesta ruft ...

            • @76530 (Profil gelöscht):

              Hörbuchtipp "Heinrich Lübke spricht für Deutschland" (www.hoerbuchtipps.de/hb-t145.shtml)

              • 7G
                76530 (Profil gelöscht)
                @jhwh:

                Ach, der Lübke! Equal goes it lose!

                Ich dachte an Walter Lübcke ... und verlor das C in meinem Hirnkasterl ....

                Ich glaube, ich werde ab Aschermittwoch auch Fasten. Forumsfasten ...

                • @76530 (Profil gelöscht):

                  Dann fasten Waldorf und Statler zeitversetzt. Ich wurde genötigt, mich ab morgen nach 37 Jahren noch einmal für eine Woche auf Bretter zustellen. Natürlich kam genau dazu kürzlich so ein fieser Tom-Comic. Der nächste Kommentar also aus dem Krankenhaus von Sestriere ;(

  • Ich fand die Meldung in der tagesschau gestern auch daneben. Es klingt immer wieder diese westliche Arroganz durch, ja wir mit unserer "ach so tollen Demokratie". Möcht mal sehen, wie wir in D ein Krankenhaus mit tausenden Betten in 2 Wochen aus dem Boden gestampft hätten, wo wir nicht mal den Brandschutz für einen Flughafen in über 10 Jahren hinkriegen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Katrina:

      Eine 'Kultur' solcher Ausprägung wie die hiesige erzeugt bei mir nur eines: einen tiefen, archaischen Wunsch nach angemessener Bestrafung.

      Ich hätte vielleicht einen schlechten Witz gemacht. À la: den 3D-Drucker können die jetzt wegschmeißen oder ins Museum stellen.

    • @Katrina:

      Exakt. Und wer meint, dass diese Art der Vertuschung ja nur "im korrupten Kommunismus" möglich sein möge sich den relativ aktuellen Fall Wilke [1] zu Gemüte führen.

      Mensch mag zum autoritären System in China wie auch immer stehen: Schadenfreude ist sicher nicht angebracht.

      [1] taz.de/Hygienemaen...rstfirma/!5633805/

      • @tomás zerolo:

        Ich glaube nicht, dass hier ein Professor, wenn er einen neuartigen oder mutierten Krankheitserreger entdeckt vom Staatsdienst einbestellt wird und unter Druck zur Widerrufung seiner Aussagen und zum Stillschweigen verdonnert wird.

        Schadenfreude ist definitiv nicht angebracht. Ist sie nie, sobald es sich um ein ernstes Leid handelt und nicht irgendeine Schusseligkeit oder den Fall von Diktatoren und Sadisten.