Bauernprotest in der Coronakrise: Genug Essen trotz weniger Düngung
Bauernprotest-Führer wollen auch mit der Angst vor Versorgungsengpässen die neue Düngeverordnung verhindern. Experten widersprechen.
Der Verein „Land schafft Verbindung“ (LsV), der in den vergangenen Monaten die größten Bauernproteste seit langem organisiert hat, hatte in einem Offenen Brief an die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, vor Engpässen gewarnt. Wenn der Bundesrat am Freitag wie geplant die Düngeverordnung verschärfte, würde das „zu etlichen Betriebsaufgaben führen und damit zwangsläufig zu einer Gefährdung der Versorgung mit Nahrungsmitteln“, schrieben die Landwirte. „Damit wäre der Selbstversorgungsgrad für Grundnahrungsmittel in Deutschland erheblich gefährdet – fatal in Krisensituationen wie der Aktuellen!“
Die Stickstoffverbindung Nitrat aus Düngern ist potenziell gesundheitsschädlich und verschmutzt das Grundwasser, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. Außerdem trägt zu viel Dünger zum Artensterben und zum Klimawandel bei. Deutschland droht eine hohe Geldstrafe der EU, weil die Nitratgrenzwerte immer wieder überschritten werden. Deshalb plant die Bundesregierung, die Düngung vor allem in besonders belasteten Gebieten stärker zu begrenzen. Dort müssten die Bauern 20 Prozent weniger düngen als bislang erlaubt.
48 Prozent mehr Kartoffeln als nötig
Viele Landwirte befürchten, dass sie dann weniger ernten, Getreide schlechtere Qualität hat und sie die Gülle ihrer Tiere nicht mehr so leicht entsorgen könnten. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft kritisiert, dass auch Biobauern in den belasteten Gebieten nicht mehr Mist und Kompost auf oberflächlich gefrorenen Böden ausbringen dürfen sollen. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft moniert, dass auch „unschuldige“ Bauern in diesen Gebieten weniger düngen müssten. Diese Organisationen erkennen jedoch an, dass die Landwirte im Schnitt mehr düngen, als die Pflanzen aufnehmen können. Weite Teile von „Land schafft Verbindung“ sehen das anders – und ziehen jetzt die „Corona-Karte“.
„Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent zum Beispiel bei Kartoffeln (148 Prozent), Käse (126 Prozent), Frischmilchprodukten (116 Prozent), Getreide (107 Prozent) oder Schweinefleisch (119 Prozent)“, antwortete darauf das Agrarministerium. Diese Kennzahl gibt an, wieviel Prozent des Verbrauchs ein Land selbst produziert. „Vor diesem Hintergrund entbehrt die Behauptung, dass es durch die Novellierung der Düngeverordnung zu Versorgungsengpässen aufgrund verringerter Erntemengen käme, jeder Grundlage“, so das Ministerium.
Regierung will Frist um 3 Monate verlängern
Agrarwissenschaftler Taube sagte: „Das Argument von LsV mit der Versorgungssicherheit ist nicht stichhaltig“. Bis auf Eier und Ölsaaten wie Soja liege der Selbstversorgungsgrad in Deutschland bei „durchweg deutlich über 100 Prozent“. Bernhard Osterburg vom bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut hat geschätzt, dass die Erträge der Ackerkulturen im Durchschnitt nur um 5 Prozent sinken, wenn sie mit 20 Prozent weniger Stickstoff gedüngt werden, als bislang erlaubt ist. Zwar enthält Getreide dann tendenziell weniger Protein, aber neuere Untersuchungen zeigten laut Taube, dass die Backeigenschaften darunter kaum leiden – die Backqualität sei also gegeben.
Dennoch kommt die Regierung den Kritikern nun etwas entgegen: Die Bundesministerinnen für Landwirtschaft und Umwelt, Julia Klöckner (CDU) und Svenja Schulze (SPD), versprachen, die EU-Kommission um eine längere Frist für die Umsetzung der Düngeverordnung zu bitten. Statt 6 sollen 9 Monate Zeit bleiben – bis 1. Januar 2021.
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