BGH-Urteil zu Cum-Ex-Geschäften: Kriminelle Steuertricks
Die Cum-Ex-Geschäfte sind nichts anderes als Steuerhinterziehung und damit strafbar, bestätigt der BGH. Etlichen Beteiligten droht nun Gefängnis.
Beim Cum-ex-Skandal geht es um Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Die Beteiligten ließen sich Kapitalertragssteuer zweimal erstatten, obwohl sie nur einmal bezahlt wurde. Komplexe Aktienverkäufe rund um den Dividendenstichtag tarnten den Trick. Die Täter hatten damit dem Fiskus rund 10 Milliarden Euro Schaden verursacht. Mitbeteiligt waren Anwälte, Investment-Profis und Banken.
In einem Pilotprozess hatte das Landgericht Bonn im März 2020 zwei junge Londoner Investmentbanker verurteilt. Martin Sh. erhielt wegen Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Bei Nick D. betrug die Bewährungsstrafe ein Jahr wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Der Haupttäter Sh. hatte in Zusammenarbeit mit der Hamburger Warburg-Bank in den Jahren 2007 bis 2011 einen Schaden von 166 Millionen Euro angerichtet und in Zusammenarbeit mit speziell gegründeten Fonds einen Schaden von weiteren 225 Millionen Euro. Verglichen damit war die Bewährungsstrafe für Sh. sehr milde. Doch damit wurde belohnt, dass Sh. und D. die Aufklärung maßgeblich unterstützt und auch vor Gericht umfangreich über die Machenschaften ausgesagt hatten.
„Griff in die Steuerkasse“
Der BGH bestätigte nun das Bonner Urteil in vollem Umfang. Die Verteidigungslinie der noch nicht geständigen Täter, man habe doch gar nichts Verbotenes gemacht, ist damit endgültig nicht mehr haltbar. „Es gab hier weder ein legales Steuergestaltungsmodell noch das zulässige Ausnutzen einer Gesetzeslücke“, betonte der Vorsitzende BGH-Richter Rolf Raum. Er sprach vielmehr von einem „Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler einzahlen“.
Die Beteiligten hätten auch genau gewusst, dass sie kriminell handeln, so Raum. „Die Geschäfte machten wirtschaftlich gar keinen Sinn“, betonte der Richter. Profite hätten sich nur ergeben, indem die Steuererstattung doppelt kassiert wurde. Die Beteiligten hätten auch vorab vereinbart, wie die erzielten Profite verteilt werden. Raum zitierte einen Insider: „Alle Fakten haben auf dem Tisch gelegen“.
Bei Martin Sh. hatte das Landgericht Bonn die Einziehung von Profiten in Höhe von 14 Millionen Euro angeordnet, bei der Warburg-Bank von 166 Millionen Euro plus 10 Millionen erwirtschafteter Zinsen. Beides bestätigte nun der Bundesgerichtshof. Eine mögliche Verjährung der steuerrechtlichen Rückforderung stehe dem nach einer Gesetzesänderung von Ende 2020 nicht mehr entgegen.
Banken mitverantwortlich
Die Warburg-Bank hatte sich insbesondere darauf berufen, dass sie gar nichts Böses geahnt habe. Darauf komme es bei der Vermögensabschöpfung nach Straftaten aber gar nicht an, betonte der BGH. Es genüge, dass Martin Sh. „für die Bank“ gehandelt habe.
Abgelehnt wurde allerdings auch die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie wollte, dass die Warburg-Bank die 176 Millionen Euro allein bezahlen muss. Es bleibt nun aber bei der vom Landgericht Bonn angeordneten „gesamtschuldnerischen Haftung“. Das heißt, Einziehungen bei Martin Sh. und anderen Beteiligten reduzieren den Betrag, den die Bank zahlen muss.
Mit diesem Grundsatzurteil dürfte sich die juristische Aufklärung des Cum-Ex-Skandals nun deutlich beschleunigen. Allein bei der Staatsanwaltschaft Köln, wo die federführende Anklägerin Anne Brorhilker seit 2013 die Dinge vorantreibt, laufen über 60 Ermittlungsverfahren mit 900 bis 1.000 Beschuldigten.
Nachdem der BGH die Rechtslage nun rechtskräftig festgestellt hat, dürfte es für viele Beschuldigte naheliegen, Geständnisse abzulegen und auf eine relativ milde Strafe zu hoffen. Bewährungsstrafen dürften nun aber nicht mehr die Regel sein, weil die Aufklärung weitgehend geleistet ist.
Am 1. Juni wurde beim Landgericht Bonn zum ersten Mal ein Banker verurteilt. Der Ex-Generalbevollmächtigte der Warburg-Bank erhielt eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. Staatsanwältin Brorhilker fand auch das noch zu milde und legte Revision zum BGH ein, über die erst in einigen Monaten entschieden wird. Einer der Haupttäter, der Anwalt Hanno Berger, der sich viele der Cum-Ex-Modelle ausgedacht hatte, sitzt derweil in der Schweiz in Auslieferungshaft. Seine Auslieferung nach Deutschland hängt davon ab, ob Schweizer Gerichte die Cum-Ex-Tricksereien als Betrug einstufen. Wegen Steuerhinterziehung liefert die Schweiz niemand aus. Das BGH-Urteil brachte hierzu keine neuen Erkenntnisse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen