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Auto fährt in DemonstrationSchock und Trauer in München

Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit 28 Verletzten steht die Landeshauptstadt unter Schock. Die Union erneuert ihre migrationspolitischen Forderungen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, 2.v.r) und Dieter Reiter (SPD, r) stehen am Einsatzort. Die Union fordert mehr Härte Foto: Christoph Trost/dpa

München taz | Auch zwei Stunden nach der Tat steht der ramponierte beigefarbene Mini mit offenem Kofferraum auf der Münchner Seidlstraße. Zerfetzte Kleidungsstücke, zerrissene Wärmedecken liegen drumherum. Die Polizei ist im Großaufgebot da.

Das Auto war am Donnerstagvormittag in eine Demonstra­tions­gruppe gerast. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte zum Protest aufgerufen. Nach vorläufigen Angaben wurden 28 Menschen verletzt, darunter zwei sehr schwer. Auch Kinder sind unter den Opfern. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass es ein Anschlag war, auch die Behörden gehen davon aus.

Die Polizei hat den Fahrzeugführer am Tatort festgenommen. Bei ihm handelt es sich offenbar um den afghanischen Staatsbürger Farhad N. Der Spiegel berichtet, der Tatverdächtige habe in der Vergangenheit islamistische Posts abgesetzt. Gesichert ist, dass er 2016 als Flüchtling nach Deutschland kam, sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aber abgelehnt. Zuletzt soll er mit einer Duldung hier gelebt haben. Das Bamf wollte sich auf taz-Anfrage zunächst nicht zu dem Fall ­äußern. N. ist polizeibekannt wegen Drogendelikten und Ladendiebstählen.

Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München bestätigte der taz, dass die bayerische Zentralstelle für Ex­tre­mis­mus und Terrorismus die Ermittlungen übernommen hat. Es gebe „Anhaltspunkte für einen extremistischen Hintergrund“ der Tat. Zu möglichen islamistischen Posts des Verdächtigen sagte der Sprecher nichts. Der für schwere staatsgefährdende Straftaten zuständige Generalbundesanwalt hat den Fall bei Redaktionsschluss noch nicht an sich gezogen.

Union erneut Forderungen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich am Donnerstagnachmittag knapp zu dem Vorfall, den er als „furchtbar“ bezeichnet. Der Täter „muss bestraft werden, und er muss das Land verlassen“, so Scholz. Die Bundesregierung plane weitere Abschiebeflüge nach Afghanistan.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagt am frühen Donnerstagnachmittag: „Jetzt geht es darum, Leben zu retten und alle Hintergründe aufzuklären.“ Es brauche nun die Härte des Rechtsstaats: „Wir haben die Gesetze für die Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen massiv verschärft, jetzt müssen sie mit aller Konsequenz durchgesetzt werden.“ Als einziger Staat in Europa schiebe Deutschland nach Afghanistan ab. „Wir werden das weiter tun“, so Faeser. Sie wird am Donnerstagabend in München erwartet.

Auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz äußert sich: „Die Sicherheit der Menschen in Deutschland wird für uns an erster Stelle stehen“, schreibt er auf X. „Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen.“ Und: „Es muss sich etwas ändern in Deutschland.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht direkt am Ort des Geschehens. Auf der Straße, im kalten Münchner Nieselregen, stellt er den Vorfall in eine Reihe mit vorangegangen Fällen: „Wir hatten im Januar Aschaffenburg und nun München.“ Er spricht von „Betroffenheit, die wir alle spüren“ und von „Entschlossenheit“, die man zeigen müsse. „Es reicht einfach.“

In Aschaffenburg hatte ein wohl psychisch kranker Asylbewerber aus Afghanistan ein Kleinkind und einen Erwachsenen erstochen und zwei weitere Personen verletzt. Danach hatte die Union erstmals mit der AfD im Bundestag zusammen einen Antrag im Bundestag beschlossen, um die Migrations- und Asylpolitik weiter massiv zu verschärfen.

Flüchtlingsrat warnt

Davor hatte es weitere Gewalttaten gegeben, bei denen die Tatverdächtigen Ausländer oder Asylbewerber waren. So fuhr ein wohl psychisch kranker Mann mit saudischer Staatsbürgerschaft kurz vor Weihnachten 2024 in einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg und tötete sechs Menschen. Im Herbst 2024 erstach ein Geflüchteter aus Syrien in Solingen drei Menschen. Anfang 2024 erstach ein Asylbewerber aus Afghanistan in Mannheim einen Polizisten.

Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat warnt am Donnerstag davor, dass „vorschnelle und vereinfachende Schlüsse“ aus der Tat gezogen werden, sie „für rassistische Hetze missbraucht wird“. Die Ursachen für Gewalttaten wie die von München seien komplex und vielschichtig. Umso mehr appelliert der Flüchtlingsrat an Po­li­ti­ke­r*in­nen, Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen und Zivilgesellschaft, „jetzt besonnen zu reagieren. Gewaltverbrechen dürfen nicht für politische Stimmungsmache oder den Wahlkampf missbraucht werden“, so Weidhaase.

Die getroffene Menschenmenge in München war ein Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi im Zusammenhang mit einem Warnstreik der Er­zie­he­r*in­nen. Angemeldet waren 2.500 Teilnehmer*innen. Der Verdi-Vorsitzende Frank Wer­neke zeigte sich „zutiefst bestürzt und schockiert über den schwerwiegenden Vorfall während eines friedlichen Demonstrationszugs von Verdi-Kolleginnen und -Kollegen“. Er dankte den Sicherheits- und Rettungskräften. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) drückt den Opfern sein Mitgefühl aus. Warum es gerade die Demonstrierenden traf? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt, es sei wohl Zufall gewesen. Der Täter war da, eine Menschenmenge war da.

Auf Herrmann dürften in den nächsten Tagen noch unangenehme Fragen zukommen. In München gilt derzeit eine erhöhte Alarmbereitschaft wegen der bis zum Wochenende dauernden Münchner Sicherheitskonferenz, zu der zahlreiche ranghohe Politiker aus der ganzen Welt erwartet werden. Auch die Verdi-Demonstration wurde von mehreren Polizeiwagen begleitet. Der Täter fuhr offenbar einige Zeit hinter einem Polizeiwagen her. Dann beschleunigte er und fuhr in die Menge.

Nach der Tat ist die breite Straße im Stadtviertel Maxvorstadt noch stundenlang gesperrt. Ein Polizeiwagen steht hinter dem anderen, ebenso Feuerwehrautos und Rettungssanitäter. Auch der bekannte große Löwenbräukeller mit Biergarten ein paar Meter weiter ist von ihnen zugeparkt. Am Tatort liegen die gelben Kittel der Ordner von der Verdi-Demonstration am Rand. Auch einige rot-weiße Fahnen mit Holzstielen und dem Verdi-Schriftzug wurden dort abgestellt.

Die Opfer werden notversorgt, über ihren Zustand ist vorläufig nichts Näheres bekannt. Auch psychologische Kriseninterventionsteams sind da. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) verweist per Mitteilung auf das telefonische Angebot an Menschen, die in dieser akuten Situation psychische Unterstützung benötigen. Rund um die Uhr könne man mit geschulten Helfern reden, in 120 Sprachen.

Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist an den Tatort geeilt und stellt sich den Fragen, spricht in Mikrofone, schaut in Kameras. Später steht Reiter noch Weile in einer Seitenstraße unter einem ­Hauseingang. Er sei „entsetzt“, sagt er. „Das ist ein echt schwarzer Tag für München.“ Man merkt ihm an, wie sehr ihn der Vorfall trifft. Doch weitere Auskünfte kann zunächst auch er nicht geben.

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3 Kommentare

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  • Es ist eine Schande, dass es einfach keinen vernünftigen Diskurs darüber gibt, wie solche Taten Menschenrechtskonform verhindert bzw. minimiert werden können. Dabei wird die Gefahr die von absoluter Perspektivlosigkeit v.a. bei jungen Männern kaum ernst genommen. Als der Täter nach Deutschland kam habe ich in der Jugendhilfe mit minderjährigen Flüchtlingen gearbeitet. Da waren Jugendliche, die ohne Eltern mit dem letzten Geld der Familie über gefährlichste Wege nach Deutschland vor Gewalt geflohen sind. Jeden Tag liefen sie nach der Schule mit Angst erfüllten Gesichtern zum Briefkasten um zu schauen ob sie hier noch länger bleiben dürfen oder gehen müssen. Oft waren die Jungs kaum ansprechbar da sie pausenlos auf ihre Handys starrten, weil sie seit Tagen nichts von einem Familienmitgliedern gehört hatten. Ständig gingen Gerüchte um wo gerade bombardiert und gekämpft wird. Im Kopf waren die meisten bei ihren Angehörigen. Beim Arzt kamen sie immer erst als aller letztes dran. Jetzt sind es junge Männer ohne eine Heimat, oft vor sich hinvegetierend in engen Unterkünften. Kein Geld.



    Keine intakte Familie... alleine, der Propaganda vom Handy ausgeliefert. Selbstwirksamkeit durch Gwalt

  • Da der Täter von München (warum eigentlich schon wieder in Bayern?!) wohl 2001 geboren wurde und 2016 nach Deutschland kam, stellt sich für mich die Frage, warum sich diese Leute in Deutschland radikalisieren. Wer treibt sie zu solchen Taten? Was tun unsere Behörden, um das zu verhindern? Warum reagiert innerhalb der Behörden niemand auf Warnsignale, die es ja jeweils durchaus gab?

    Unsere Strafgesetzgebung ist nicht auf präventive Maßnahmen ausgerichtet. Sie geht größtenteils davon aus, dass Täter nach ihren Tat bestraft werden und eine gewisse Einsichtsfähigkeit haben. Was jedoch viel stärker als bisher stattfinden muss, ist Prävention, denn einfach mit Grenzschließungen und Zurückweisungen, wie sich das manche vorstellen, werden wir keine Erfolge erzielen.

    • @Aurego:

      Danke, sehe ich auch so!