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Außenministerin in GriechenlandDie Kritik ist sorgsam verpackt

Annalena Baerbock kritisiert in Athen die Praxis der Pushbacks als Menschenrechtsverletzung. Insgesamt setzt sie auf nicht allzu viel Konfrontation.

Athen: Baerbock in einem Flüchtlingslager (mit dabei: Griechenlands Migrationsminister Mitarachi) Foto: Annette Riedl

Athen taz | Ein bisschen Klartext hat die Außenministerin auf ihre Reise nach Griechenland auch mitgebracht. „Jede Grenze hat auch eine Tür und jeder Mensch hat in der EU das verbriefte Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen“, sagt Annalena Baerbock während ihrer Pressekonferenz im 1. Stock des griechischen Außenministeriums.

Es ist Freitagmittag, gerade kommt sie aus einem Gespräch mit ihrem Amtskollegen Nikos Dendias. „Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es zu keinen Menschenrechtsverletzungen kommt und dazu zählen illegale Pushbacks“, sagt sie jetzt vor den Kameras, bevor sie rasch zur gedämpften Tonlage zurückkehrt. Klassische Sandwich-Methode: Die Kritik ist sorgsam verpackt, in Rücksicht und Verständnis für die Nöte der Griechen.

Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt ist Baerbock nach Griechenland gereist, dessen Regierung einmal mehr wegen Skandalen in der Flüchtlingspolitik im Fokus steht. Seit Jahren ist die Praxis der Pushbacks bekannt, bei denen griechische Sicherheitskräfte Flüchtlinge über die Landgrenzen und das Meer zurückdrängen. Am Donnerstag erscheinen pünktlich zum Baerbock-Besuch neue Schlagzeilen: Der Spiegel berichtet von einem internen EU-Report mit Belegen zu den Menschenrechtsverletzungen – inklusive Beteiligung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. So wird die Reise der Außenministerin zum Praxistest: Wie gehen die Grünen, die seit jeher auf Humanitität an den EU-Außengrenzen pochen, in der Regierungsverantwortung mit dem Problem um?

Zunächst: Mit einem ungewöhnlich dicken Programm. Noch vor den Regierungsgesprächen macht sich Baerbock bei Vor-Ort-Terminen in Athen und Umgebung ein Bild von der Lage. In einem vertraulichen Gespräch fragt sie die Sorgen von NGOs aus der Flüchtlingshilfe ab, die über die restriktivere Linie der konservativen Regierung klagen. Am Hafen von Piräus besucht sie die örtliche Frontex-Dependance – um „zu verstehen, was eigentlich Grenzsicherung auf offener See bedeutet“. Zuvor besichtigt sie ein Flüchtlingscamp am Stadtrand von Athen.

Die Pushbacks? Unbestätigte Einzelfälle

Während sich die Außenministerin dort mit drei Bewohnerinnen und deren Kindern über das Leben im Camp unterhält, redet ein paar Schritte weiter Notis Mitarakis auf den deutschen Pressetross ein. Der griechische Migrationsminister nutzt die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge loszuwerden. Die Pushbacks? Unbestätigte Einzelfälle. Das eigentliche Problem aber: Die EU-Partner ließen den Grenzstaat mit dem Flüchtlingsproblem alleine. Einen funktionierenden Verteilmechanismus gebe es immer noch nicht. Nötig sei eigentlich Bewegungsfreiheit innerhalb der EU für alle anerkannten Flüchtlinge.

Das entspricht der gewohnten Verteidigungslinie der griechischen Regierung gegen Push-Back-Vorwürfe. Baerbocks Umgang damit am Tag darauf im Außenministerium: Nicht zu viel Konfrontation. Lieber Gemeinsamkeiten bemühen. Belehrungen aus Deutschland, weit weg vom Mittelmeer, hätten die Griechen in jüngerer Vergangenheit zu genüge gehört.

„Wir haben in Deutschland viel zu lange gedacht, dass wir die Staaten an der EU-Außengrenze mit Grenzschutz, Flucht und Migration alleine lassen können“, sagt Baerbock. Unsolidarisch und kurzsichtig sei das gewesen. Volle Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge stellt sie dann zwar nicht in Aussicht, aber immerhin habe man mit einigen anderen EU-Staaten gerade erst freiwilligen Kontingenten zugestimmt. Ein paar Tausend Flüchtlinge könnte die Bundesrepublik aus Griechenland aufnehmen. Mittelfristig fordert Baerbock zudem eine „funktionierende europäische Seenotrettung“, die nicht von Ak­ti­vis­t*in­nen organisiert, wie heute, sondern von Staaten getragen wird.

Von Konsequenzen, die die Pushbacks für Griechenland im Hier und Jetzt haben könnten, spricht sie dagegen nicht. Möglichkeiten gäbe es eigentlich: Die EU könnte Frontex-Missionen bei Grundrechtsverstößen aussetzen, die Kommission könnte ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. „Eine Überprüfung des Einsatzes in Griechenland ist dringend notwendig“, schrieb am Vortag Julian Pahlke, neu für die Grünen im Bundestag und als privater Seenotretter vor kurzem selbst noch im Mittelmeer unterwegs.

In Griechenland dagegen bleibt Baerbock aber auch auf Nachfrage bei der ausgestreckten Hand. Von „Einzelfällen“ sprach sie am Donnerstag nach dem Frontex-Besuch. „Wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, müssen wir das gemeinsam als Europäer aufklären“, sagt sie dann am Freitag im Außenministerium. Mit der griechischen Regierung sehe sie da nach ihren Gesprächen überhaupt keinen Dissens.

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13 Kommentare

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  • Das Sein bestimmt das Bewußtsein......

    Nachdem Annalena schon geäußert hat, dass wir "nicht kriegsmüde werden dürfen" warte ich jetzt darauf, dass sie als nächstes feststellt, dass wir nicht alle Flüchtlinge aufnehmen können....

    Na ja, die Sachzwänge eben... oder sollte es einfach nur Heuchelei sein? Zumindest ging der Wandel sehr schnell ... da steht sie dem Robert in nichts nach.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Griechen wollen Reparationszahlungen von Deutschland, 77 Jahre nach Kriegsende!



    Was soll man dazu sagen? Zumal die damalige betrügerische Regierung sich in die EU geschmuggelt hat. Auch hat die EU denen den A gerettet. Merkel mit Hakenkreuzbinde.

  • Besserwisserei aus Deutschland kommt in Griechenland richtig gut an. Bevor die deutsche Regierung Ratschläge erteilt, soll sie erstmal die Kriegsschulden bezahlen.



    Zum Thema RU Aussengrenze habe ich einen pragmatischen Vorschlag. Griechenland soll die Grenze sofort öffnen und den Geflüchteten sofort die Weiterreise per Bus oder Flugzeug nach Deutschland gestatten. Dann ist sofort Schluss mit den Menschenrechtsverletzungen an der Grenze und den Zuständen in den Lagern. Die Wahrheit ist nämlich, dass die Geflüchteten gar nicht in Griechenland bleiben müssen, sondern in die sicheren Häfen nach Berlin etc. Wollen.

    • RS
      Ria Sauter
      @V M:

      Aha, haben Sie auch Lösungen für das Wohnungsproblem? Sozialausgaben?



      Es geht nur ,wenn nicht alle nach D möchten.



      Das könnte gelingen, wenn innerhalb der EU die gleichen Sozialleistungen gezahlt werden, ebenso gleiche Löhne.



      Wir schaffen das nur gemeinsam muss es heissen.

      • @Ria Sauter:

        Kommen Sie doch bitte in der Realität an. Es wird keine "Verteilung" in Europa geben. Zielland ist Deutschland und dazu sind wir auch moralisch verpflichtet!



        Wo die Wohnungen herkommen sollen: Verstaatlichen wäre da ein Weg

        • RS
          Ria Sauter
          @V M:

          Genau das ist das Problem. Alle wollen nach D.



          Ich fühle mich dazu nicht moralisch verpflichtet.

    • @V M:

      Sind Syrienflüchtlinge etwa auch in Russland nicht sicher?

  • Ich frage mich, warum es offenbar Unterschiede in der Behandlung von flüchtenden Menschen gibt. Wer aus der Ukraine kommt, scheint ein 1.-Klasse-Flüchtling zu sein. Alle anderen sind wohl nur 2. oder 3. Klasse. Diese Menschen, die auch vor Krieg flüchten, werden über Jahre in Griechenland in Lager gesperrt, wo sie pünktlich zur Weihnachtszeit (oder im Sommerloch) von diversen Politikern besucht werden. Dann trieft es wieder vor Bestürzung und Anteilnahme, eine Handvoll Kinder und Frauen dürfen evtl. nach Überwindung bürokratischer Abläufe nach Deutschland einreisen. Dieses Jahr vielleicht nicht, es geht uns ja gerade so schlecht und wir können unser Gas nicht auch noch mit Geflüchteten teilen.



    Wann immer ich von dieser verdammten europäischen Heuchelei gegenüber flüchtenden Menschen lese, wird mir schlecht vor Wut.

    • @Felis:

      Es gibt schlicht eine bestehende breite Palette an Abkommen zwischen der EU und der Ukraine. Mit Menschen 1. und 2. Klasse hat das nüscht zu tun.

  • Wo ist denn mein Kommentar geglieben?

    Mal wieder unterdrückt?

    Zur Cancel-Culture der taz kommt mir immer wieder ein Satz von Risa Luxemburg in den Sinn:

    "Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat".

    Mein gecancelter Kommentar:

    Da fällt mir doch ein SZ-Bericht zu vdLeyens letztem Besuch in Griechenland ein.

    "EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich entschieden hinter das harte Vorgehen Griechenlands gegen Migranten an der Grenze zur Türkei gestellt.

    "Diese Grenze ist nicht nur eine griechische Grenze, es ist auch eine europäische Grenze". Sie dankte dem Land dafür, in diesen Zeiten der "europäische Schild" zu sein.

    Auch ihr Kollege, Ratspräsident Charles Michel, lobte die Arbeit der griechischen Regierung und der Sicherheitskräfte. "Was Ihr tut, ist wichtig für Griechenland. Es ist auch entscheidend für die Zukunft der Europäischen Union."

    www.sueddeutsche.d...1-200303-99-163084

    Kein europäisches Land wird weitere Migranten aus Drittländern mehr aufnehmen, es sei denn, Deutschland zahlt dafür viel Geld oder macht andere Deals. Wir kennen das.

    In Italien ist die bisherige noch relativ lockere Praxis (doch lange nicht so locker wie hier) einer der Gründe dafür, dass die Neo-Faschisten auf dem Weg zur Macht sind.

    Und GB hat deswegen die EU verlassen.

    60 Prozent von denen, die es nach Deutschland schaffen, sind einfache Zuwanderer aus Drittländern, weniger als 40 Prozent Flüchtlinge und nur ein bis zwei Prozent echte Asylberechtigte.

    Die Welt wächst täglich netto um etwa 225.000 Menschen, fast 10.000 die Stunde, die meisten in ärmeren Länder, vorwiegend Afrika. Die EU und Deutschland werden sich sehr schnell etwas einfallen lassen müssen.

    Hier braucht es großes, neues, mutiges Denken.

    Weder bei Scholz, noch Baerbock oder vdLeyen, noch ihren Kollegen sehe ich da Lösungsansätze.

  • Ich denke Annalena Baerbock hat recht, wenn sie sagt, dass sie nicht mit der griechischen Regierung im Dissenz stehe. Beide wollen die systematische und von allen EU-Statten gedeckte Praxis der Pushbacks, einschließlich daraus resultierender möglicher Todesfälle, schlichtweg fortsetzen als maximale Strategie der Abschreckung gegen Geflüchtete. Beide wollen, was bewiesen und nicht schnell vergessen wird, unter der Überschrift "Einzelfälle" abhandeln. Annalena Baerbock hält Kriegsmüdigkeit für die große Gefahr, der wir nicht anheimfallen dürfen.

    Mittelfristig will Annalena Baerbock, dass Regierungen die Ertrinkenden retten, aber die Leute ertrinken doch ganz aktuell, was meint sie mit mittelfristig?

    Bei Betrachtung der Pushbacks, der Verbrechen an der spanischen Grenze, wo jetzt die Opfer gerichtlich verurteilt werden, oder der Toten im Mittelmeer (die vielleicht mittelfristig gerettet werden sollen), könnte alternativ überlegt werden, ob die größte Gefahr nicht in einem Opportunismus besteht, der jede Menschlichkeit vergessen lässt und ob womöglich nicht auch Annalena Baerbock genau hiervon bereits befallen ist.

  • In der letzten Monitor Sendung kam Baerbock nicht so glimpflich davon wegen der Pushbacks im Mittelmeer, insbesondere in Libyen.



    Warum unterscheidet sich Politikerhandeln immer so extrem in der Opposition und in der Regierung?

  • Hier in Deutschland muss man "für den Frieden frieren" aber für den absolut korrupten Frontex, der bekanntermaßen das Geld in dubiosen Kanälen versickert lässt oder in den privaten Luxus seiner obersten Beamten steckt, ist immer Geld da.