Aussage im Prozess gegen Lina E.: Der Mann, der gerne Kronzeuge wäre

Im Prozess gegen die Leipziger Linke Lina E. sagt ein früherer Weggefährte gegen sie aus. Doch viele seiner Behauptungen bleiben Spekulation.

Eine Angeklagte hält sich eine Mappe ins Gesicht. Um ihr Herum stehen Männer in Roben

Vier Personen sind im Fall Lina E. seit Sept. 2021 vor dem Oberlandes­gericht Dresden angeklagt Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Und dann ist er da. Am Donnerstagmorgen betritt Johannes D. den Saal des Oberlandesgerichts Dresden. Kurz geschorene Haare, blaues Hemd, Faltenhose – und keine Maskerade, wie einige erwarteten. Dafür aber mit Anwalt und gleich sechs Personenschützern der Polizei. Im Saal herrscht angespannte Stille, eine Zuhörerin beginnt zu weinen.

Denn Johannes D. könnte nicht nur den Angeklagten hier schaden. Der 30-Jährige ist zum überraschenden Belastungszeugen im Prozess gegen Lina E. geworden, bereits im Mai packte er bei der Polizei aus, ganze sieben Tage lang. Und das auch gegen etliche weitere Szeneangehörige.

Bereits seit November 2020 sitzt Lina E. in Haft, seit September wird in Dresden gegen die Leipzigerin und drei Mitangeklagte verhandelt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen die Bildung einer linkskriminellen Gruppe und sechs schwere Angriffe auf Neonazis in Leipzig, Wurzen und Eisenach vor. Doch der Prozess zieht sich. Zeugen konnten die vermummten Angreifer nicht identifizieren, die Angeklagten schweigen. Nun aber packt Johannes D. aus.

Wie nervös seine Aussage erwartet wurde, lässt sich am frühen Morgen erkennen. Schon da ist die Polizei überall um das Gericht postiert, am Himmel kreist ein Helikopter. Auf einer linken Kundgebung schimpft eine Rednerin über das „widerwärtige Verhalten“ von Johannes D. Aus der Szene wurde er schon vor Monaten verstoßen und mit Foto und vollem Namen geoutet, ihm wird Vergewaltigung vorgeworfen. Nun gilt er auch als „Verräter“. Aber es bleibt ruhig, auch im Gericht.

Antifa-Video mit versteckter Drohung?

Johannes D. sitzt dort nicht auf der Anklagebank, aber er gehört zu den mindestens fünf weiteren Linken, welche die Bundesanwaltschaft der Gruppe zurechnet. So soll er bei einem ihrer Angriffe dabei gewesen sein, im Dezember 2019 auf den Eisenacher Neonazi Leon Ringl, ein Kampfsportler und Kneipenwirt.

Im Saal nun wirkt Johannes D. angespannt, er fingert an einem Kugelschreiber herum, blickt nicht zu den Angeklagten, seinen früheren Bekannten. Die lassen keine Rührung erkennen. Johannes D. sagt zunächst nur, dass er 30 Jahre alt sei und gelernter Erzieher – dann beantragt er den Ausschluss der Öffentlichkeit, weil er bedroht werde.

Mittlerweile wurde der Ex-Autonome in ein Zeugenschutz­programm aufgenommen

Zuvor war etwa ein Antifa-Video in Solidarität mit Lina E. publik geworden, in dem ein Graffiti auftauchte, „9mm für 31er“. Die 31 steht für Verräter, die 9mm für eine Pistolenpatrone. D. versteht dies offenbar als Morddrohung. Nach längerer Diskussion hinter verschlossenen Türen zieht der Berliner aber seinen Antrag zurück – und legt los.

Wie sein Kontakt zur Polizei zustande kam, lässt Johannes D. zunächst offen. Klar ist: Das Bundesamt für Verfassungsschutz vermittelte und der Ex-Autonome wurde in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.

Taugt D. wirklich als Kronzeuge?

Johannes D. erklärt nur, dass das Outing der Grund gewesen sei, warum er heute hier sitze. Er sei bereits im Sommer 2021 nach Warschau verzogen, habe dort als Kindergärtner gearbeitet. Nach dem Outing aber hätten ihn einmal polnische Rechtsextreme bedroht, dann sei er gekündigt worden und Szenefreunde hätten ihm „verboten“, in Berlin, Leipzig oder seiner Heimat Nürnberg aufzutauchen. Die Vorwürfe gegen ihn würden so nicht stimmen, behauptet D. Es sei aber klar gewesen, dass sie ihn immer wieder einholen würden. „Deshalb musste ich eine Entscheidung treffen.“

Johannes D. räumt ein, dass er als militanter Autonomer aktiv und auch bei dem Angriff auf Ringl dabei gewesen sei, hier aber nur als „Scout“, weil er damals unter Bewährung stand. Johann G., der bis heute abgetauchte Verlobte von Lina E., habe ihn dafür über den verschlüsselten Messenger Jabber rekrutiert. Ziel sei es gewesen, Ringl „nachhaltig“ zu verletzen, auch mit Hämmern, weil dieser eine „national befreite Zone“ anstrebte.

Mit einem weiteren Berliner Autonomen sei er dann, nach einer Kita-Weihnachtsfeier, nach Leipzig gefahren, mit dem Auto von Philipp M., der in Dresden mitangeklagt ist. Dort habe er auch Lina E. getroffen, sei mit ihr und Johann G. sowie weiteren Leipzigern und Weimarern nach Eisenach gefahren. Er selbst habe dort das Bulls Eye, die Szenekneipe von Ringl, ausgespäht und dessen Abfahrt per Handy an Johann G. gemeldet.

Bei dem Überfall selbst – bei dem Ringl unversehrt blieb, aber drei Begleiter von ihm verletzt wurden – sei er dann nicht dabei gewesen, so Johannes D. Er habe nur gemerkt, dass etwas schief gelaufen sei, weil er später keinen Kontakt mehr zu Johann G. hatte.

Das hatte einen Grund: Nach dem Überfall hatte die Polizei zwei Fluchtautos gestoppt, in einem saß Lina E. Es war die Tat, welche die Polizei auf ihre Spur brachte. Zu ihrer Rolle kann Johannes D. aber zumindest am Donnerstag nicht viel sagen. In Eisenach habe er einmal auch mit ihr telefoniert, ergänzt er noch. Als Anführer schildert er aber ihren Verlobten Johann G., der auch schon bei einem früheren Angriff auf Ringl dabei gewesen sei und dort verletzt Blut am Tatort zurückgelassen habe. Zwei weitere beteiligte Autonome benennt er noch konkret, sonst bleiben ihm nur Vermutungen oder er kann sich nicht erinnern.

Mehrmals ermahnen ihn die Verteidiger:innen, nicht zu spekulieren. Schon bei seinen Aussagen bei der Polizei habe D. dies „zuhauf“ getan, kritisieren sie. Seine Aussage sei daher „mit äußerster Vorsicht“ zu genießen. Und tatsächlich will Johannes D. bei keiner anderen angeklagten Tat dabei gewesen sein. Ob er damit wirklich als Kronzeuge taugt, bleibt an diesem Tag fraglich.

Das Urteil gegen Lina E. aber rückt damit einmal mehr in weite Ferne. Allein für D.s Aussagen sind fünf weitere Tage freigeräumt, insgesamt wurden Prozesstermine bis November angesetzt. Und auch Johannes D. droht noch ein Prozess – für den er sich mit seinen Aussagen einen Strafrabatt erhoffen dürfte.

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