piwik no script img

Aufklärung von „NSU 2.0“-DrohmailsDas laute Schweigen der Grünen

Wegen des Skandals um „NSU 2.0“-Drohmails steht der hessische Innenminister schwer in der Kritik. Die Grünen sind auffällig leise.

Gegen ihn haben die Grünen sich noch nicht positioniert: Hessens Innenminister Peter Beuth Foto: Arne Dedert/dpa

Frankfurt am Main taz | Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU, stolpert seit zwei Wochen durch eine schwere Vertrauenskrise. Mit Spannung wird sein Auftritt bei der Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses erwartet, für den die Abgeordneten am Dienstag die Sommerpause unterbrechen. Denn bislang ist dem Minister kein Befreiungsschlag gelungen.

Erst musste er Medienberichte bestätigen, dass die Linken-Politikerin und Fraktionschefin Janine Wissler seit Monaten unter dem Absender „NSU2.0“ von Rechtsextremisten mit dem Tod bedroht wird. Dann räumte er ein, dass ihre Daten von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Dass er selbst davon angeblich erst von Journalisten erfahren hat, lastete er in einer wütenden Attacke zunächst dem Landeskriminalamt an. Dann machte er seinen Landespolizeipräsidenten für die Panne verantwortlich, feuerte ihn, ernannte einen Sonderermittler und dazu gleich noch einen neuen Polizeichef.

Inzwischen hält der Minister sogar für möglich, was er stets kategorisch ausgeschlossen hatte, dass es nämlich in der hessischen Polizei rechte Netzwerke geben könnte. „Der Verdacht wiegt schwer“, so Beuth. Die Landtagsopposition attestiert dem Minister längst Totalversagen, zumal die Reihe der Drohmails gegen Politikerinnen, Journalistinnen und andere nicht abreißt.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder legt dem Minister daher den Rücktritt nahe. „Was muss denn noch alles passieren, um zu beweisen, dass der Staat auf dem rechten Auge blind ist? Was Sachsen und Thüringen im Osten waren, ist Hessen gegenwärtig im Westen. Und wenn jetzt der Feind sogar in den eigenen Reihen steht, hat das natürlich eine noch tiefgreifendere Dramaturgie“, so der Politikprofessor gegenüber der taz.

Um 21 Monate verschlafen

Doch vom grünen Koalitionspartner, zu dessen politischem Programm der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehört, ist bis heute kein kritisches Wort gegen den Minister überliefert. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen erklärte sich zwar „zutiefst besorgt“, sprach vom „Fehlverhalten Einzelner“, versicherte aber gleichzeitig dem zurückgetretenen Polizeipräsidenten ihren Respekt.

Vom grünen Koalitionspartner ist bis heute kein kritisches Wort gegen den Minister überliefert.

Erst nach zwei Wochen fand am Freitag mit Landtagsfraktionschef Mathias Wagner erstmals ein Grüner aus der ersten Reihe deutliche Worte. Der Wechsel an der Spitze der Landespolizei reiche nicht aus, lautete Wagners Botschaft. „Ein Neuanfang ist unerlässlich, damit sich die Opfer der Drohschreiben darauf verlassen können, dass sie geschützt werden und alles zur Ermittlung der Täter getan wird“, sagte er. Und räumte damit indirekt ein, dass in den 21 Monaten seit den ersten NSU-Drohmails gegen die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız offenbar nicht genug getan wurde.

Wie erklärt sich angesichts dieser bitteren Bilanz die demonstrative Zurückhaltung der Grünen? Das fragen sich nicht nur die Oppositionsparteien. Auch der grüne Ex-Justizminister von Hesssen, Rupert von Plottnitz, wundert sich: „Ich verstehe nicht, dass man offenbar fast zwei Jahre nach dem ersten Fall keine sichere Methode entwickelt hat, den Urheber von rechtswidrigen Datenabfragen von Polizeicomputern identifizieren zu können“, sagte er gegenüber der taz. Er wundere sich außerdem, dass der Beamte, der zum Zeitpunkt der Abfrage der Daten der Linken Politikerin Wissler eingeloggt war, im Ermittlungsverfahren offenbar von Anfang an und bis heute nur als Zeuge geführt wird.

„Keine Bereitschaft für Konflikte“

Der Kassler Politikprofessor Wolfgang Schroeder hat eine einfache Erklärung für die grüne Zurückhaltung trotz der brisanten Sachlage. „Da gibt es die tiefe Überzeugung, dass grüne Regierungsfähigkeit darin besteht, diese besondere Kooperation mit der Union unfall- und aufmerksamkeitsfrei zu gestalten“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Es gibt keine Bereitschaft, große Konflikte auf offener Bühne auszutragen. Umfragen und Wahlergebnisse bestätigen sie darin auch“.

Die offenkundigen Querelen zwischen LKA und Polizeiführung wollen CDU und Grüne jetzt mit einer umstrittenen Gesetzesänderung beenden. Künftig soll an der Spitze des LKA eine politische BeamtIn stehen. Anders als jetzt soll dann die Präsidentin ohne Angaben von Gründen abgelöst werden können. Der grüne Exminister von Plottnitz findet auch das befremdlich. „Ich erinnere mich daran, dass wir in rot-grünen Regierungszeiten bestrebt waren, den politischen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden zurückzudrängen“, sagt er und äußert einen schlimmen Verdacht: „Ich will nicht hoffen, dass es einen Anlass für diese Gesetzesänderung gibt, etwa die Befürchtung, dass die gegenwärtige LKA-Führung nicht entschieden genug gegen mögliche rechtsextremistisch Netzwerke in der Polizei vorgeht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Außer Berlin fällt mir ehrlich gesagt kein grüner LV ein, der für das eigene Programm einsteht.



    Im Gegenteil.



    Hamburg: Lautes Schweigen während G20 und zur rassistischen Hetzjagd der Parteiführung gegenüber 2 türkischen Abgeordneten.



    Kiel: Unterstützung von Massentierhaltung und Wolfsjägern bei gleichzeitiger Distanzierung vom grössten Umweltverbamd, Stop des Windkraftausbaus und Tolerierung einer autozentrierten Verkehrspolitik durch die FDP.



    In Hessen gab ja schon zuvor den Wahlbetrug der Grünen bzgl des Flughafenausbaus.



    In Bayern und BW wird eine engagierte Umweltpolitik von BIs über Volksentschiede gegen die Landesregierungen durchgesetzt.

  • Macht korrumpiert. Das sollten die Grünen seid Joschka Fischer wissen. Natürlich gehört Pragmatismus auch zum täglichen tun, und es gibt Dinge die dem Kompromiss zuliebe, über Bord geschmissen werden. Aber wenn man gleich das ganze Steuerrad abmontiert, auf den Grund des Ozeans befördert und nur noch schlingernd rum-tingelt, je nachdem woher der Wind bläst, dann liebe Grüne seid ihr bei eurer CDU gut aufgehoben.



    Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar wieso dieses Polizeiproblem in Hessen nicht angegangen wird. Ist es die Angst davor dass zu viele "politische Leichen" aufkommen wenn man mal anfängt zu buddeln?

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - NSU 2.0 - grünes Hessen -

    “ Ver - Schluss Sache. taz.de/Aufklaerung...rohmails/!5695799/







    Nu kiek Di dat an: taz.de/Aufklaerung...bb_message_3985357

    • @Lowandorder:

      Sie meinen es gibt einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen regierender Partei und dem Vorkommen von Rechtsextremismus und Ramelow/Linkspartei ist verantwortlich für das Vorkommen von Rechtsextremisten in Thüringen?



      Ich glaube, Sie haben an meinem verlinkten Beitrag nichts verstanden.

  • "Ich verstehe nicht, dass man offenbar fast zwei Jahre nach dem ersten Fall keine sichere Methode entwickelt hat, den Urheber von rechtswidrigen Datenabfragen von Polizeicomputern identifizieren zu können"

    Das Internet bzw. Intranet scheint für manche immer noch Neuland zu sein. Bei jenen die sich kritisch fragen, wie man mit den richtigen Zugangsdaten an Informationen kommt ohne seine Visitenkarte hinterlassen zu müssen und bei Behörden, die die Zugriffe auf sensible Daten nicht loggen.

    • @Rudolf Fissner:

      Wie solche Vorgänge ablaufen zeiger die sogenannte Keylogger Affäre bei der taz vor 5 Jahren recht schön. Technische Lücken und menschliche Dummheit waren die Voraussetzung dafür, dass ein taz-Mitarbeiter über ein Jahr mindestens 23 Kollegen ausspähte. de.wikipedia.org/w...g#Keylogger-Affäre

      • @Rudolf Fissner:

        Ich will die beteiligten Personen bei der taz zu dem Thema nicht verurteilen, denn ich habe mich mit der "Keylogger-Affäre" nicht ausreichend beschäftigt.



        Allerdings würde ich auch gerne erwähnt wissen, dass natürlich in der Belegschaft jedes Unternehmens ein gewisses grundsätzliches Vertrauen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen gibt. Ein Arbeitsklima, das von Misstrauen geprägt ist, ist ja auch von niemanden gewollt.



        Natürlich braucht auch die taz eine aufmerksame IT – ich hoffe, sie hat aus daraus gelernt!

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Und nicht eine kritische Stimme von grünen Abgeordneten im Landtag? Wird einfach durchgewunken, wenn Beuth, der offensichtlich versagt hat, auch noch die Kompetenz zur Absetzung der LKA-Spitze zugeschustert werden soll?

  • Tja das eigene Nest will halt niemand beschmutzen, gelle?

    • @joaquim:

      So sieht's aus.

      Und es geht hier nicht um ein bisschen dreckiges Abwasser im Main oder üble Luftverhältnisse an der Bockenheimer Landstraße.

      Sondern um Drohmails von rechtsextremen oder gar rechtsterroristischen Strukturen mit direkter Verbindung zum Polizeiapparat.

      Seit Walter Lübcke weiß man, wie das enden kann.

      • @Jim Hawkins:

        Tja, größten Kritiker der Elche sind heute selber welche.

        Still werden die Kritiker immer dann, wenn Sie selber in Verantwortung sind. Die Welt sieht in der Realität halt anders aus als am Stammtisch oder in den Kommentarspalten. Das ist normal.



        Deshalb ist Ramelow als the one and only MP von Linkspartei in DE auch die stillste Maus im Land und bringt seitens Thüringen keine eigene Untersuchung bzgl. Racial Profiling in Th. in die Pötte.

        Seit Lübke weiß man übrigens, wie es enden kann, wenn man auf "Scheiß Staat" Sprüche mit Sätzen wie "Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen" antwortet.

        • @Rudolf Fissner:

          Was würde die Grünen denn daran hindern, das Maul aufzumachen?

          Look back in the 90th. Die Berliner AL beendete nach der äußerst brutal durchgeführten Räumung der besetzten Häuser in der Friedrichshainer Mainzer Straße die Koalition mit der SPD.

          Wenn man an der Macht klebt, wie die Scheiße an den Schuhen, ist das nicht immer gut.

          • @Jim Hawkins:

            "Was würde die Grünen denn daran hindern, das Maul aufzumachen?"

            Dass sie aus Angst davor, in Fettnäpfchen zu treten, lieber gar keine Schritte wagen.

          • @Jim Hawkins:

            "Scheiße an den Schuhen", "an der Macht kleben". Das ist nicht weit entfernt von den Sprüchen ("Scheiß Staat"), die sich auch Walter Lübcke anhören musste.



            Und sich aus "der Macht" zu verkrümeln, das ist auch so ein typisches Ding von Leuten, denen es zu viel wird wenn es problematisch wird.

            • @Rudolf Fissner:

              Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

              “ R.F @Jim H..: "'Scheiße an den Schuhen', 'an der Macht kleben'. Das ist nicht weit entfernt von den Sprüchen ('Scheiß Staat'), die sich auch Walter Lübcke anhören musste." Solche (geistigen) Kurzschlüsse musste erst mal bringen. Da muss mal ein(e) Elektriker:in ran und nachisolieren.. Scheiße ist halt immer Scheiße.



              Scheiße aber auch.“

              kurz - Ist der Wahn. Die Reu ist lang.



              Scheiße aber auch.

            • @Rudolf Fissner:

              Nett, dass Sie mich in die Nähe von Nazi-Terroristen rücken.

              Na gut, sollen die Grünen halt zu allem Ja und Amen sagen und als Dank dafür irgendetwas Gutes für die Umwelt bewirken, was eh keiner merkt.

              Hauptsache Macht.

              • @Jim Hawkins:

                " irgendetwas Gutes für die Umwelt bewirken"

                Hessen ist nach dem Saarland auf dem vorletzten Platz beim Ausbau der Windenergie (hr info heute morgen). :-(((

                Merck belastet im Ried das Grundwasser mit seiner ehemaligen Vitamin C Produktion bis heute (veraltet Kläranlagen... ?)



                Das HR- Fernsehen bekommt kein Interview mit dem Umweltministerium - nur eine schriftliche Stellungnahme.

                Grüne Hessen so nicht!!!



                So braucht kein Mensch die Grünen !!!

              • @Jim Hawkins:

                Nö. Es war nicht von Ihnen die Rede sondern von den Parallelen in der Wortwahl. Ein Mindestmaß an Empathie bei der Wortwahl, wenn man sich auf Walter Lübke beruft - auch wenn dessen politische Position einem völlig wumpe ist und dem Begriffe wie "Scheiß Staat" vor seinem Tod im Täterzusammenhang entgegengebracht wurden, halte ich schon noch für angebracht.

                • @Rudolf Fissner:

                  Was wissen Sie schon was mir "wumpe"ist.

                  Sie sind der Meister im Drechseln und Verdrehen.

                  Glauben Sie, ich würde den Mord an einem aufrechten Demokraten für was auch immer instrumentalisieren?

                  Sie kennen keine Grenzen und keinen Anstand und tun mir leid.

                  Und bitte, tun Sie mir den einen Gefallen: Antworten Sie mir nicht.

              • @Jim Hawkins:

                Nú. Fissi - ist halt zügig - großzügig - 👻 -



                Normal.

                • @Lowandorder:

                  Ja das ist er.

                  Deshalb: Contenance.

                  Sonst mache ich irgendwann die Grätsche und sitze einen Monat auf der Bank.

                  Muss ich nicht haben.

                  • @Jim Hawkins:

                    Bin da ganz bei ehna.

      • @Jim Hawkins:

        Eigentlich weiß man das schon spätestens, seit die beiden Uwes tot im Wohnwagen lagen. Und in Hessen dauert es nur noch 114 Jahre, dann kommt auch dort der Bericht des Verfassungsschutz dazu endlich ans Licht der bestimmt dann noch sehr daran interessierten Öffentlichkeit...