Hessischer Polizeiskandal: Brecht die Schweigemauer!

Prominente Frauen werden bedroht – mit Daten, die offenbar von Polizeicomputern abgerufen wurden. Ein ungeheuerlicher Vorgang.

Ein Polizist steht vor seinem Fahrzeug. Man sieht nur seinen Oberkörper

Wer hat die Daten abgerufen? Ein Polizist in Griesheim, Hessen, vor seinem Fahrzeug Foto: rheinmainfoto/imago-images

Ein ungezügelter Hass spricht aus den Mails, die die Frauen lesen mussten. Stumpfe sexistische Beschimpfungen, Drohungen, man werde sie oder die namentlich genannte Tochter „schlachten“, erklärte „Todesurteile“. Um den Ernst der Drohungen zu unterstreichen, wird die Wohnadresse genannt. Solche Botschaften erhielten die Linke-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner, Anne Helm, die Anwältin Seda Başay-Yıldız und die Kabarettistin Idil Baydar zuletzt, in ihren privaten Mails oder auf ihre Handys, unterzeichnet mit „NSU 2.0“.

Schon das ist widerlich genug. Aber es kommt ein ungeheuerlicher Verdacht hinzu: Haben Polizisten etwas mit den Hassbotschaften zu tun? Denn, so wurde dieser Tage öffentlich, zumindest zu Başay-Yıldız, Wissler und Baydar wurden vor den Drohschreiben ihre Privatdaten an Polizeicomputern in Hessen abgefragt, offenbar ohne dienstlichen Bezug. Es ist ein Verdacht, der schwerwiegender nicht sein kann. Das schafft einen Vertrauensverlust, der weit über die Betroffenen hinausgeht. Da hilft auch der Rücktritt des hessischen Landespolizeipräsidenten Udo Münch nicht weiter.

Inzwischen schließt selbst der hessische CDU-Innenminister ­Peter Beuth nicht mehr aus, dass es ein rechtsextremes Netzwerk in der Landespolizei gibt. Umso erstaunlicher, wie ruhig es bleibt. Wie das Problem als rein hessisches behandelt wird.

Dabei steht der Verdacht im Fall von Seda Başay-Yıldız bereits seit August 2018 im Raum. Wer ihre Daten in einem Polizeirevier in Frankfurt am Main abfragte, ist bis heute nicht geklärt. Auch weil die infrage kommenden Beamten dazu eisern schweigen. Aufgespürt wurden dafür rechtsextreme Chatgruppen Dutzender Polizisten. Im Fall von Wissler und Baydar sind dagegen zwei Beamte bekannt, unter deren Log-ins die Daten abgefragt wurden. Sie selbst wollen die Abfragen dennoch nicht getätigt haben. Die Ermittler führen sie nur als Zeugen, von Durchsuchungen ihrer privaten Datenträger ist nichts bekannt.

Was kommt von Seehofer?

Das ist zu wenig. So können Ermittlungen bei diesen Vorwürfen nicht geführt werden. Und tatsächlich fühlt der oder die Täter sich davon nicht im mindesten abgeschreckt – sie legen vielmehr immer weiter nach, erst dieser Tage wieder. Die Ermittlungen gehören damit längst auf eine andere Ebene. Warum schaltet sich Bundesinnenminister Seehofer nicht ein? Warum übernimmt nicht die Bundesanwaltschaft? Klar ist: Die Ermittlungen sollten nicht mehr von den überforderten – oder nicht weiter gewillten? – hessischen PolizistInnen, sondern von außerhalb angeführt werden.

Auch weil das Problem eben kein rein hessisches ist. Auch in Berlin wurde kürzlich bekannt, dass ein Beamter Polizeidaten an eine Neuköllner AfD-Chatgruppe weitergab, zu der auch ein Verdächtiger einer rechtsextremen Anschlagsserie im Bezirk gehörte. Oder 2017 schon verschickte ein Berliner Polizist Drohschreiben an mehrere Linke mit ihren Fotos und Adressen.

In Mecklenburg-Vorpommern wiederum soll ein Beamter persönliche Daten von Bürgern in eine rechte Facebook-Gruppe eingestellt haben. In dem Bundesland legte auch die unter Rechtsterrorverdacht stehende Preppertruppe „Nordkreuz“ Feindeslisten an, bis hin zum Wohnungsgrundriss eines Betroffenen. Anführer der Gruppe war: ein Polizist. Dieser Datenmissbrauch der Polizisten ist indes nicht nur Imageschädigung – er ist ein Vergehen, das schwerste Gewalttaten gegen die Betroffenen nach sich ziehen kann.

All dies zeigt, dass es längst ein bundesweites Vorgehen braucht. Und zwar so, dass es von den Beamten tatsächlich als Stoppsignal verstanden wird. Aber auch jeder Polizist und jede Polizistin selbst sollte sich fragen, was da in den eigenen Reihen los ist – und was er oder sie dagegen tun kann. Es ist nicht zu viel verlangt, von ihnen das Benennen von KollegInnen einzufordern, die mit Rechtsextremen paktieren oder selber welche sind. Die Mauer des Schweigens im Apparat muss gebrochen werden. Jetzt!

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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