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Aufklärung von Hanau-AnschlagAngst vor den Unfehlbaren

Solange die Polizei nicht gegen sich selbst ermittelt, muss man sich vor ihr fürchten. Für die Wahrheit kämpfen nur die Angehörigen der Opfer von Hanau.

Fil­me­ma­che­r*in­nen auf der Berlinale gedenken im Februar 2024 der Opfer von Hanau Foto: Reuters

I ch habe Angst vor der deutschen Polizei. Manche würden das sicher irrational nennen. Ich glaube, es ist sehr vernünftig. Denn bei der Polizei kommen zwei Dinge zusammen: Sie besitzt im Namen des Staats das Gewaltmonopol. Und: Dieser Staat zieht sie nicht zur Rechenschaft, wenn sie Fehler macht. Das ist keine gute Mischung.

Am Freitag letzter Woche sprach der Comedian Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ über das Verhalten beziehungsweise über verhängnisvolle Fehler der hessischen Polizei im Zusammenhang mit den rassistischen Anschlägen von Hanau. Zwar waren einige neue Details dabei. Gleichzeitig bestätigte die Sendung vor allem: Polizei und Behörden helfen nicht bei der Aufklärung der Tat, sondern behindern sie.

Die Angehörigen der Ermordeten von Hanau kämpfen seit Jahren darum, dass endlich aufgeklärt wird, was in dieser Nacht passiert ist. Warum Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sterben mussten. Man könnte denken, dass es das größte Anliegen der Polizei sei, bei dieser Aufklärung zu helfen.

Zwei Tage nach der Sendung gab die Bildungsinitiative Ferhat Unvar eine Stellungnahme heraus. Serpil Temiz Unvar gründete nach dem Tod ihres Sohnes in seinem Namen diese Bildungsinitiative. In ihrer Stellungnahme schreibt die Initiative, dass es die Familien der Opfer nicht überrascht, erst durch Medien von neuen Erkenntnissen zum Versagen der Behörden zu erfahren.

Wer die Polizei kritisiert, gilt sofort als linksradikal

Dabei sollten sie solche Informationen eigentlich von den Ermittlungsbehörden erhalten. Ein Satz, der besonders schmerzt: „Als Familien können wir nicht über die Medien erfahren, wie offensichtlich unsere Kinder ermordet wurden.“

Nein, wer einen geliebten Menschen verloren hat, sollte nicht am späten Freitagabend in einer Comedysendung erfahren, dass dieser Mensch vielleicht noch leben würde, wenn nicht ein BKA-Beamter den ohnehin schon völlig überlasteten Notruf besetzt hätte.

Oder dass der Täter Jahre vor den rassistischen Morden dem Generalbundesanwalt eine Mail mit rassistischen Fantasien geschrieben und sogar eine Antwort erhalten hat – aber die Behörden ihn trotzdem legal eine Waffe tragen ließen. Der Polizeinotruf funktionierte nicht – der dafür verantwortliche Beamte wurde danach sogar befördert. Der Notausgang in einem der Anschlagsorte war verschlossen, was vermutlich mehrere der Opfer das Leben kostete – keine Konsequenzen.

Warum kommt diese Aufklärung nicht von den Behörden? Weil die Polizei in Deutschland als unfehlbar gilt. Und auch weiterhin gelten soll. Wer die Polizei kritisiert, gilt als Linksextremist oder als Anarcho. Dass es Ausdruck demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrolle ist, Fehlverhalten in der Polizei zu untersuchen und zu sanktionieren, wird dabei von der Po­li­ti­k sehr erfolgreich weggewischt.

Behörden verhindern Studien zur Polizei

Strafwürdiges oder falsches Verhalten hat in polizeilichen Strukturen nur in seltenen Fällen Konsequenzen. Diese postulierte Unfehlbarkeit, die sonst nur dem Amt des Papstes zugestanden wird, ist eine Katastrophe für einen Rechtsstaat. Weil es bedeutet, dass vor dem Recht nicht alle gleich sind.

Natürlich gibt es dazu kaum Statistiken. So verhindern Landes- und Bun­des­in­nen­mi­nis­te­r:in­nen seit Jahren umfassende Studien zur Polizei. Der Nimbus der Unfehlbarkeit darf keinen Kratzer bekommen. Wie antidemokratisch eine solche Haltung ist, scheint nicht zu stören. So kann man sich nur an Annäherungen orientieren, zum Beispiel durch wissenschaftliche Untersuchungen zu Polizeigewalt.

Im Jahr 2019 veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum einen solchen Bericht. Einige Zahlen: In 86 Prozent der Fälle wurde ein Strafverfahren gar nicht erst angestrengt. Nur 9 Prozent der Befragten erstatteten überhaupt Anzeige. Und das Dunkelfeld schätzten die For­sche­r:in­nen auf etwa sechsmal höher als das Hellfeld.

Für die Polizei gelten ganz offenbar andere Regeln als für den Rest der Bevölkerung. Denn bei Verdacht auf rechtswidriges Verhalten werden im Falle von Po­li­zis­t:in­nen keine normalen Ermittlungen geführt. Das ist auch gar nicht möglich. Denn die Polizei ermittelt gegen sich selbst. Solche Ermittlungen sind nicht unabhängig und entsprechen damit nicht den gängigen rechtsstaatlichen Prinzipien. So verwundert es nicht, dass in der Untersuchung der Ruhr-Universität viele Betroffene als Grund dafür, keine Anzeige erstattet zu haben, angaben, dass sie ohnehin kaum Chance hätten, zu gewinnen.

Angst vor der Polizei ist eine rationale Reaktion

Das ist korrekt. Denn, nochmal: Für die Polizei gelten andere Regeln. Allein dadurch wird jedes Problem bei der Polizei systematisch. Die Theorie der „Einzelfälle“ wird folglich irrelevant. Egal, wie viele oder wie wenige „Einzelfälle“ es gibt.

Ich habe Angst vor Menschen, die sich für unfehlbar halten. Oder die sagen: „Ja, ich mache auch mal Fehler“, nur um sich dann nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Fehler sind unschätzbar wertvoll. Sie sind wie Wegweiser. Sie zeigen uns, woran wir arbeiten müssen. Sie zeigen uns, wo wir besser werden können.

Wer stolz darauf ist, keine oder nur wenige Fehler zu machen: Herzlichen Glückwunsch. Das bedeutet aber auch, dass man nicht lernt, nicht wächst, nicht dazugewinnt. Wie arm jene, die alles „richtig“ machen. Wie verloren jene, die lieber wegschauen.

Wer der Institution der Polizei am meisten schadet, sind jene, die sie für unfehlbar erklären. Dieser Staat sollte den Angehörigen der Ermordeten von Hanau die Füße dafür küssen, dass sie so unermüdlich, so unerbittlich und trotz großen Schmerzes im Herzen für Aufklärung kämpfen. Sie sind die Einzigen, die die Polizei verbessern wollen. Sie sind die Einzigen, die noch dafür kämpfen, Vertrauen in einen Staat zu erschaffen, der vertuscht, anstatt aufzuklären. Solange das aber anhält, wird es weiterhin vernünftig sein, Angst vor der Polizei zu haben.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Und vielen Dank an die Autorin für den Artikel und den Hinweis auf die 'ZDF Magazin Royal'-Sendung.

  • Ich habe mir die Sendung anlässlich des Kommentars von Frau Sahebi angetan und stelle fest, dass Jan Böhmermann regelrecht zu einem Hassprediger mutiert. Er folgt einem einfachen Konzept, welches Tatsachen und Spekulationen sowie direkt und indirekt wirkende Begleitumstände miteinander vermengt. Er kreiert aus diesen Zutaten das Bild einer Polizei, die überhaupt nicht vor hat rassistische Verbrechen zu verhindern oder zu beenden. Die Präsentation ist überladen mit hasserfüllter Mimik, Gestik und Intonation. Wenn man diese Vorführung unreflektiert auf sich einwirken lässt, kann man die Polizei und alle, die mit dem Staat "unter einer Decke stecken", eigentlich nur noch abgrundtief hassen. Das selbe Muster wenden die sogenannten Hassprediger jeden Tag auf ihren unzähligen Kanälen an. Gesunde Kritik an Fehlern der Polizei oder deren arbeitstaktischen Konzepten sieht so nicht aus. Übrigens laufen in Deutschland zigtausend Gewaltstraftäter und Gefährder frei herum. Über 100 Femizide pro Jahr, begangen von Männern, gegen die oft reichlich Anzeigen vorliegen, die polizeilich bekannt sind, werden nicht effektiv verhindert. Die Beispiele lassen sich endlos fortsetzen und zwar auch schon vor Hanau. So schrecklich und verachtenswert die Morde von Hanau sind, so berechtigt Kritik an Justiz, Staat und Gesellschaft im Umgang mit gefährlichen Menschen ist, so wenig ist legitim, derartige Hetze und Aufstachelung zum Hass ggü. einem Feindbild Staat und Polizei zu betreiben.

    • @Klaus Kuckuck:

      Vielleicht nochmal in Ruhe anschauen, ist ja oben verlinkt: Böhmermann regt sich zu Recht über den Umgang mit Hanau auf: Notruf nicht besetzt, völlig unkoordinierter Einsatz, die Vorgeschichte des Täters, von der Polizei angeordnete verschlossene Fluchtwege. Und die Verantwortlichen werden befördert. Außer natürlich die beiden Hubschrauber-Piloten.

      Ich kann da nur sagen: Danke Jan Böhmermann für die Zusammenfassung.

  • Es stimmt doch schon seit Jahrzehnten nicht, dass die Polizei als unfehlbar gilt.

    Die Polizei wird am laufenden Bande von allen möglichen Leuten kritisiert.

    Um die Kritikmöglichkeiten zu demokratisieren, wurden bzw. werden verschiedene Stellen eingerichtet.

    • @rero:

      Geht's auch etwas konkreter?



      Soweit ich weiss gibt es bisher noch keine unabhängige Untersuchungsstelle.

  • Ein paar Korrekturen und Ergänzungen:

    "wenn nicht ein BKA-Beamter den ohnehin schon völlig überlasteten Notruf besetzt hätte."

    Es waren laut Sendung 2 LKA Beamte, die für eine Datenauskunft den Notruf gewählt und besetzt haben, in der Tatzeit.

    Und "überlastet" ist zwar kein völlig falsches Adjektiv, aber "unterbesetzten" passt besser. Der Notruf hatte nur 2 Telefone und 1 Mitarbeiterin!!!!

    "Der Notausgang in einem der Anschlagsorte war verschlossen"

    Hier fehlt mir der wichtige Hinweis, dass dies laut einer Zeugin, auf Anweisung der Polizei geschah. Die Polizei wollte Razzien in der Bar besser durchführen und habe aus dem Grund den Betreiber aufgefordert den Notausgang zu verschließen.

    Das könnte auch eine Erklärung für das schnelle Ende der "Ermittlungen" sein...

    Und es gab Sanktionen bei der Polizei, gegen 2 Polizisten, die sich über Fehlverhalten, beim Einsatz, (intern) beschwert und damit das Ansehen der Polizei geschädigt haben, gab es Disziplinarverfahren.

  • Müssen Bürger auch Angst vor Staatsanwaltschaften und Richtern haben, die aus falsch verstandenen Chorpsgeist Missständen bei der Polizei nicht genügend nachgehen?



    Ein systemischer Missstand, der bis in die Weimarer Republik zurückreicht?

    In der Weimarer Republik gab es einen Staat im Staat bei Polizei und Justiz, der die Demokratie regelrecht bekämpfte.



    Die Justiz nach dem zweiten Weltkrieg war trotz Säuberungen durch die Allierten durchsetzt mit ehemaligen Nazirichtern und Nazi-Staatsanwälten, die bei genauer Rechtssprechung niemals hätten in der Justiz weiterarbeiten dürfen. Sie prägten die nächste Generation junger Juristen in der BRD.

    Zitat Wikipedia

    "34.000 deutsche Juristen, 8.000 davon durchgängig, blieben zwischen 1933 und 1965 in Justizämtern. 1954 waren 74 Prozent der Juristen an Amtsgerichten, 68 Prozent an Landgerichten, 88 Prozent an Oberlandesgerichten und 75 Prozent am BGH schon in der NS-Zeit als Juristen tätig gewesen".

    Laut der Geschichtsprofessorin Annette Weinke sei der westdeutschen Justiz von Ende der 1940er- bis Mitte der 1950er-Jahre eine "kollektive Selbstentlastung" gelungen.

    Dr. Martin Borowsky, Richter am Landgericht Erfurt, befasste sich mit einer "Ahnengalerie" am Bundesarbeitsgericht. In einem nicht offen zugänglichen Konferenzraum im zweiten Stock des Erfurter BAG-Gebäudes hängen Fotos der ersten BAG-Richtergeneration. Borowsky hält nach dreijähriger Forschung die Hälfte von 25 untersuchten Richter:innen für "erheblich bis schwer belastet".

    Borowsky kritisierte den Arbeitsrechts-Professor Peter Hanau, der zum 60. Geburtstag des BAG 2014 eine Chronik verfasste und behauptete, man könne stolz auf diese Ahnen sein.

    Staatsanwälte und Richter, die vor allem in Sachsen und Thüringen, Sachsen-Anhalt, sehr nachsichtig Verbrechen von Neonazis verfolgten, müssen sich fragen lassen, in wie weit sie durch die oben beschriebene tradierte NS-DNA in der BRD-Justiz geprägt wurden.

  • Sehr lesenswerter Text. Danke!

  • Zu so einem wichtigen Thema ausgerechnet die Satiresendung (O-Ton ZDF) eines "Comedian Jan Bö..." anzuführen ist schon etwas haarsträubend. Und die (durchaus wichtige und berechtige) Kritik an der Arbeit der Polizei bekommt sehr viel mehr Gewicht, wenn man denn die eigene Arbeit ernst nimmt: Ein kurze Suche bei einem marktbeherrschenden Suchmaschinenanbieter später hätte man dann rausgefunden, dass die Kreisverwaltungen in Hessen die Waffenscheine ausstellen und nicht die Polizei. Dass es einen Untersuchungsausschuss gegeben hat dürfte indes sogar ohne Suche bekannt sein. Da dieser von Abgeordneten des Landesparlaments und nicht von Polizisten besetzt wird kann man wohl kaum davon sprechen, dass "die Polizei gegen sich selbst ermittelt". Das Ergebnis dieses Ausschusses kann man ebenfalls sehr leicht selbst recherchieren. Dass es einem möglicherweise nicht gefällt ändert nichts an dessen Legitimation.

  • Das strukturelle Problem geht m. E. noch weiter und ist deshalb noch schwerer zu lösen:

    Nicht "die Polizei" macht Fehler, sondern der einzelne Beamte / die einzelne Beamtin. Ein nicht gerechtfertigtes Verhalten = Machtmissbrauch = Verfassungsbruch. Ein falsch verlegtes Rohr im Handwerk wird nacherfüllt, der Geselle/ die Gesellin fliegt nicht gleich raus und, wenn sich das Handwerksunternehmen nicht ganz blöd anstellt, kommen künftig wieder Aufträge.

    Warum wollte und will die Polizei Wiesbaden die Waffenverbotszone bzw. warum werden Kontrollen nicht nach HSOG durchgeführt?

    Welchen Machtmissbrauch will ich mir gefallen lassen, als Gegenwert zu einer fehlerhaften aber lernfähigen Polizei?

    Ich finde den Polizeibeauftragten einen guten ersten Schritt in die richtige Richtung.

  • Erwähnenswert wäre mMn noch, dass 20 Beamte eines SEK zum Tatort geschickt wurde; später kam raus, dass 13 der 20 Beamten in Rechtsextremen Chat-Gruppen aktiv waren.