Atomwaffen in Belarus: Minsk und Moskau rüsten verbal auf
Putin will Atomwaffen in Belarus stationieren, dabei war das Land einst Vorreiter bei der Abrüstung. Kritiker warnen vor einer Gefahr für ganz Europa.
Mit der Entscheidung verstoße man nicht gegen internationale Verträge zur Nichtverbreitung von Atomwaffen, behauptete Putin. Auch verbleibe die Kontrolle über die Waffen weiterhin in Moskau. Technisch habe man bereits Vorbereitungen getroffen, so habe Russland Belarus bereits den Iskander-Komplex übergeben, der als Atomwaffenträger dienen kann.
Gleichzeitig kündigte Putin den Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran in der Ukraine an, sollte Kijiw dergleichen vom Westen erhalten, und bezog sich auf die Ankündigung von Großbritannien, Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine zu liefern. Dieses ist weit weniger radioaktiv als angereichertes Uran und wird zur Erhöhung der Durchschlagskraft panzerbrechender Geschosse verwendet.
Es ist nicht das erste Mal, dass mit abgereichertem Uran versetzte Munition eingesetzt wird: Die Gronauer Firma Urenco hatte in den vergangenen 20 Jahren Zigtausende von Tonnen von „Depleted Uranium“ nach Russland geliefert. Bei den Luftangriffen auf Jugoslawien hatte die Nato zehn Tonnen von Uranmunition eingesetzt.
Lukashenkos nukleare Träume
In seiner 1994 demokratisch verabschiedeten Verfassung hat Belarus sein Hoheitsgebiet zu einer kernwaffenfreien Zone erklärt. Alexander Lukaschenko hatte dies wiederholt als Fehler bezeichnet. Bei der feierlichen Eröffnung des ersten Blocks des Atomkraftwerkes Astravez im November 2020 hatte er denn auch geschwärmt, nun werde Belarus Atommacht.
Im Februar 2022 hatte der Machthaber laut der oppositionellen belarussischen Plattform zerkalo.io gesagt, im Falle einer Bedrohung durch den Westen könnten in Belarus Atomwaffen zum Einsatz kommen. Und am 22. März, so zerkalo.io weiter, habe Lukaschenko in Chatyn die Ankündigung Großbritanniens mit den Worten kommentiert: „Russland wird uns Munition mit echtem Uran liefern.“
Die nuklearen Pläne von Belarus und Russland stoßen auf viel Kritik. Die schärfste Form kommt von dem früheren stellvertretenden Außenminister Andrei Sannikow. Sannikow war zwischen 1992 und 1995 Leiter der belarussischen Delegationen bei Abrüstungsverhandlungen.
Diese Pläne stellten eine „tödliche Gefahr“ dar, zitiert das oppositionelle belarussische Portal charter97.org den seit 2012 im britischen Exil lebenden Oppositionspolitiker. Die Republik Belarus sei der erste Staat der Welt, der freiwillig auf den Besitz von Kernwaffen verzichtet hatte.
Panisch oder wahnsinnig?
„Dieser Beitrag von Belarus zum internationalen Frieden und zur Sicherheit war von der internationalen Gemeinschaft hoch geschätzt worden“, so Sannikow. Den Status einer kernwaffenfreien Zone habe Lukaschenko mit seinem „illegalen und manipulierten ‚Referendum‘ vom 27. Februar 2022“ aufgehoben. Jeder Versuch, den atomwaffenfreien Status zu ändern, müsse als aggressiver Akt betrachtet werden, so Sannikow weiter.
Mit ihren Plänen bedrohten „zwei Schurkenstaaten“ nicht nur die Bevölkerung von Belarus, sondern auch ganz Europa. Nun gelte es, so Sannikow, den UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung einzuberufen, um „die wahnsinnigen Pläne des Kremls und Lukaschenkos zu stoppen.“. Dort müssten „dringende und harte Entscheidungen getroffen werden, um einen Atomkrieg zu verhindern, der die gesamte Menschheit zu vernichten droht“.
Belarus solle zu einer Zone internationaler Verantwortung erklärt werden, die von UN-Friedenstruppen garantiert wird. „Die internationale Gemeinschaft hat nicht das Recht, es bei Besorgniserklärungen zu belassen, wenn Wahnsinnige die Menschheit zu vernichten drohen.“
Weniger dramatisch sieht der Politikwissenschaftler Arkady Moshes vom finnischen Institut für internationale Beziehungen die russisch-belarussische Entscheidung. Wenn Russland Atomwaffen in der Nähe zur Nato stationieren möchte, so Moshes, hätte es diese doch auch nach Kaliningrad verlegen können. Er sehe weder militärisch noch militärpolitisch in dieser Entscheidung einen Sinn, zitiert zerkalo.io Moshes. Dies zeige, wie „nervös, um nicht zu sagen panisch“ die Stimmung im Kreml sei.
Unwillen der Bevölkerung
Auch in der Ukraine wird die Entscheidung von Putin und Lukaschenko kritisiert. „Der Kreml hat Belarus als nukleare Geisel genommen“, zitiert das Portal strana.news den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Alexei Danilow. Mit diesem Schritt werde die Lage in Belarus weiter destabilisiert.
Nun werde die Gesellschaft in Belarus Russland und Putin noch mehr ablehnen, ist sich Danilow sicher. Das Land werde von Russland seit Kriegsbeginn als Aufmarschgebiet genutzt. Von hier aus schießt Russland regelmäßig Raketen ab. Gleichwohl: Offiziell ist kein einziger belarussischer Soldat im Krieg gegen die Ukraine im Einsatz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo