Deutschlandtag der Jungen Union: Alter Mann gewinnt Streit um die Rente mit der Jugend
Bei ihrem jährlichen Treffen bejubelt die Junge Union Friedrich Merz, als habe der die Wahl schon gewonnen. Jenseits der Show gibt es etwas Zwist
Aber es gibt auch einige Dinge, die anders sind. Eines fällt beim Besuch der Frauentoilette auf. Aushänge weisen auf Menschen mit leuchtend blauen Armbinden hin, die ansprechbar seien. Sie gehören zum Awareness-Team und bieten im Fall von Belästigungen Hilfe an. Das wäre vor Jahren bei der Jungen Union noch undenkbar gewesen.
Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich, als am Samstagnachmittag der Hauptredner in die Halle einzieht: Friedrich Merz, CDU-Parteichef und Kanzlerkandidat der Union. Da macht sich bei der JU eine bemerkenswerte Siegessicherheit breit, ganze elf Monate vor der Bundestagswahl.
Auf der riesigen Leinwand oberhalb der Bühne steht auf schwarz-rot-goldenem Grund in Großbuchstaben „Kanzler“. Merz wird als „nächster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ angekündigt. „Kanzler, Kanzler“-Rufe schallen durch die Halle. Dazu Bässe, Nebelmaschine und JUler*innen, die jubelnd die schwarz-rot-goldenen Kanzler-Plakate in klein hochhalten. Ganz so, als hätte Merz die Wahl schon gewonnen. Das alles ist Inszenierung, klar. Aber die Nachwuchspolitiker*innen der Union scheinen sich bereits lustvoll dem Siegesrausch hinzugeben.
Merz will staatstragend klingen
Dabei hatte Jens Spahn, Dauergast beim Deutschlandtag, am Morgen noch davor gewarnt, sich trotz der guten Umfragewerte zu früh in Sicherheit zu wiegen. Die Union müsse im Wahlkampf vorsichtig bleiben, so Spahn, eine Wahl könne sich auch wenige Wochen vor dem Termin noch drehen. Manch einer aber habe bereits „das Gefühl, das wäre alles schon gelaufen“. Es ist genau dieses Gefühl, dass am Samstagnachmittag durch die Messehalle zieht. Als Merz sagt: „Wir sind fest entschlossen, wieder Regierungsverantwortung in Deutschland zu übernehmen“, gibt es tosenden Applaus.
Dann spricht der Kanzlerkandidat über die soziale Marktwirtschaft, über Industriearbeitsplätze und eine Leistungsgesellschaft, die „Freude macht“. Er kündigt an, dass er das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium zusammenlegen will, nennt als Vorbild den Sozialdemokraten Wolfgang Clement, der ein solches „Superministerium“ einst innehatte, und lässt keinen Zweifel daran, was dabei seine Prioritäten sind: „Arbeitsmarktpolitik ist Wirtschaftspolitik, nicht Sozialpolitik.“
Merz fordert, dass die Anzahl der Menschen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, reduziert werden muss und – ein weiteres Mal – Zurückweisungen an den Grenzen. Er kündigt einen Einstellungsstopp in den Bundesministerien an, die unter der Ampel viel zu viel Personal hinzugefügt hätten, schießt gegen Olaf Scholz und Robert Habeck und schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD erneut aus. Es ist aber keine polternde Rede, die Merz da hält. Er will staatstragend klingen. Das BSW und die schwierige Regierungsbildung in Sachsen und Thüringen erwähnt Merz nicht.
Für den CDU-Chef ist der Deutschlandtag der JU ein Heimspiel, nicht nur weil viele in ihm schon den nächsten Kanzler sehen. Hier dominieren seit Jahren die Merz-Ultras. Der Unionsnachwuchs hatte die Mitgliederbefragung vorangetrieben, mit deren Hilfe Merz es im dritten Anlauf endlich zum Parteichef brachte, die Mehrheit der JU hat ihn bei allen drei Versuchen unterstützt, das gilt auch für den JU-Chef und dessen Vorgänger. Doch es gibt ein Thema, dass die JU anders sieht als der CDU-Vorsitzende: die Rente.
Merz will bei der Rente nichts anbrennen lassen
JU-Chef Johannes Winkel, ein 32-jähriger Wirtschaftsjurist aus Düsseldorf, will die Partei im Wahlkampf zu einem klareren Kurs in der Rentenpolitik zwingen, daran hat er in seiner Rede am Freitagabend keinen Zweifel gelassen. Winkel bewirbt sich damit für seine Wiederwahl als JU-Vorsitzender. Das von der Ampel geplante Rentenpaket II nennt er einen „Anschlag auf die junge Generation“, die JU will notfalls dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.
Das Renteneintrittsalter, sagt Winkel, müsse an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden. „Ja, dann müssen wir auch länger arbeiten“, ruft er in den Saal. In harten Zeiten brauche man auch eine harte Politik. Da klatschen die Delegierten.
Diese Passage steht so auch im neuen Grundsatzprogramm der CDU, dafür hatte Winkel sich stark gemacht. Jetzt will er sie ins Wahlprogramm der Union bugsieren. Merz aber hat bereits vor Wochen versucht, das Thema in einem Interview abzuräumen und ein Renteneintrittsalter mit 70 ausgeschlossen. Winkel hält bereits vor Beginn des Deutschlandtags dagegen. Merz habe sich in der Vergangenheit auf die JU verlassen können, sagte er in einer Pressekonferenz. „Wir müssen uns natürlich auch im Gegenzug auf ihn verlassen können.“
Merz spricht in Halle schon eine knappe halbe Stunde, als er zum Thema Rente kommt. Und er sagt ganz klar: „Das Renteneintrittsalter sollte bei 67 bleiben.“ Die Anreize für Beschäftigte, die länger arbeiten wollen, will er verstärken. Und früher in Rente zu gehen, soll teurer werden. „Wer früher geht, muss akzeptieren, dass es größere Abschläge gibt“, sagt Merz. Das ist weniger als das, was Winkel und seine JU wollen. Kurz vor Merz Auftritt hatten die Delegierten in ihrem Leitantrag dazu einstimmig zwei Forderungen beschlossen: Die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung sowie langfristig eine Absenkung des Rentenniveaus.
Doch Merz macht auch klar, dass er hier keine Angriffsfläche im Wahlkampf bieten will. Die Vorstellung, dank Union länger arbeiten zu müssen, könnte Wähler*innen abschrecken – und der SPD in die Hände spielen.„Wenn wir uns auf diesem Weg gemeinsam verständigen, dann nehmen wir den Sozialdemokraten jedes Potenzial, gegen uns eine infame Kampagne zu führen, die da lautet: mit der CDU und mit Merz wird es in Deutschland Rentenkürzungen geben“, sagt Merz. Und: „Nein, es wird keine Rentenkürzungen in Deutschland geben.“ Trotzdem bekommt er auch hier Applaus. Und als der CDU-Chef seine Rede beendet, singen die JUler*innen minutenlang „Oh, wie ist das schön“. In der folgenden Fragerunde spricht niemand das Thema Rente an.
JU-Chef Winkel will im kommenden Jahr selbst für den Bundestag kandidieren. Die JU hat ihn bereits am Freitagabend für zwei weitere Jahre zu ihrem Vorsitzenden gewählt. 90,5 Prozent der Stimmen hat er bekommen, noch einmal mehr als bei seiner ersten Wahl im November 2022. Einen Gegenkandidaten gab es damals wie heute nicht. Der Zuwachs könnte Winkel Rückendeckung geben, bei der Erstellung des Wahlprogramms in den kommenden Monaten um seine Position bei der Rente zu kämpfen. Viel Spielraum hat Merz ihm in Halle nicht gelassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln