Debatte um Waffenlieferungen an Israel: Letzte Warnung aus Washington
Die USA drohen Israel wegen dessen Kriegsführung mit einem Waffenembargo. Jerusalem reagiert mit Angriffen, muss aber womöglich bald einlenken.
Ungewöhnlich detailliert listet das Schreiben eine umfassende Kritik auf. Die Armee habe 1,7 Millionen Menschen in dem „extrem überfüllten“ Küstengebiet al-Mawasi zusammengedrängt, wo sie tödlichen Infektionskrankheiten ausgesetzt seien. Soldaten hätten fast 90 Prozent der humanitären Missionen zwischen Nord- und Süd-Gaza be- oder verhindert. Das Volumen von Hilfslieferungen sei im September auf den niedrigsten Stand binnen eines Jahres gefallen.
Damit verbunden ist eine Reihe von Forderungen: So soll Israel mindestens 350 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag in den Gazastreifen lassen und humanitäre Pausen einhalten, um diese zu verteilen. Die Menschen in al-Mawasi müssten vor dem Einbruch des Winters ins Inland umsiedeln können. Eine Zwangsvertreibung der Bewohner des nördlichen Küstenstreifens soll ausgeschlossen werden. Andernfalls droht eine Prüfung, ob die Militärhilfe noch im Einklang mit US-Gesetzen stehe.
Die israelische Armee ist auf die Waffenlieferungen angewiesen: Die Munition für das Raketenabwehrsystem Iron Dome kommt ebenso aus den USA wie die bunkerbrechenden Bomben, mit denen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im September in Beirut getötet wurde. Offizielle Reaktionen gab es am Mittwoch zunächst nicht. Die israelische Behörde Cogat meldete jedoch erstmals seit zwei Wochen, dass mehrere Dutzend Lastwagen mit Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens fahren konnten. Die regierungsnahe israelische Zeitung Israel Hayom schreibt unter Berufung auf Sicherheitskreise, es gebe „kaum eine Wahl, als einzulenken“.
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Angespannte Stimmung
Bereits im April hatten die USA angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza indirekt gedroht, den militärischen Nachschub zu unterbrechen. Damals hatte die israelische Regierung schnell reagiert und die Hilfslieferungen nach Gaza deutlich erhöht, bevor sie diese schrittweise wieder zurückfuhr. Auch jetzt gibt es Anzeichen, dass Israel sich seinen Kurs nicht aus Washington diktieren lassen will.
Entgegen ausgesprochenen Warnungen der US-Führung erschütterten am Mittwoch erstmals seit knapp einer Woche neue Luftangriffe den Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Die Armee teilte mit, ein Waffenlager angegriffen zu haben. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind an einem politischen Tiefpunkt. US-Präsident Joe Biden soll Netanjahu laut dem US-Journalisten Bob Woodward bereits im Mai als „verdammten Lügner“ bezeichnet haben. Es dürfte daher kein Zufall sein, dass der Brief stattdessen an Verteidigungsminister Joav Galant adressiert war.
Vor der US-Wahl in weniger als einem Monat könnte Netanjahu darauf setzen, dass der republikanische Kandidat Donald Trump gewinnt, von dem er sich mehr Handlungsspielraum erhofft. Die 30-tägige Frist liegt zwar bereits nach dem Wahltag, Trump käme aber selbst im Falle eines Sieges erst im Januar ins Amt. Zum anderen könnte er sich darauf verlassen, dass sich die militärische Unterstützung der USA während des gesamten Krieges als zuverlässig erwiesen hat.
Erst Anfang der Woche traf in Israel das US-Raketenabwehrsystem Thaad ein. Der New-York-Times-Kolumnist Nicholas Kristof spottete bei X, Bidens „Spezialität sind Warnungen, die (Netanjahu) ignoriert – und anschließend weitere Waffenlieferungen“.
Olaf Scholz verspricht Unterstützung
Angesichts der zuletzt maßgeblich von Israel vorangetriebenen Eskalation wächst die Kritik an Israels Kriegsführung. Frankreich, Italien und Großbritannien haben zum Teil Waffenlieferungen an Israel ausgesetzt, allerdings fällt deren Volumen neben den US-Lieferungen kaum ins Gewicht.
In Berlin bemüht man sich derzeit, jeglichen Zweifel an der Unterstützung der Bundesregierung an Israel auszuräumen. Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte am Mittwoch Israel weitere Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrormilizen Hamas und Hisbollah zu. „Es gibt Lieferungen und wird auch immer weitere Lieferungen geben. Darauf kann sich Israel verlassen“, sagte Scholz in einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel.
„Israel kann sich auf unsere Solidarität verlassen – jetzt und in aller Zukunft.“ Scholz betonte aber auch: Es müsse weiterhin Hilfe für die Menschen in Gaza geben und die Regeln des Völkerrechts müssten eingehalten werden. Die Versicherung im Parlament kommt nicht von ungefähr.
In den vergangenen Tagen hatten Medienberichte für Furore gesorgt, in denen Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck vorgeworfen wird, Waffenlieferungen an Israel blockiert zu haben. Nach Scholz’ Ankündigung ist nun klar, dass weiter geliefert wird – von einem Waffenembargo kann jedenfalls keine Rede sein.
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