Raketen mit hoher Reichweite: Selenskyj will Go von Verbündeten
Der Winter naht, die Energieversorgung in der Ukraine steht unter Beschuss. Präsident Selenskyj drängt auf mehr Unterstützung bei den Verbündeten.
So auch in der Nacht zu Freitag. In der nordöstlichen Grenzregion Sumy sowie in Winnyzja im Westen waren Berichten zufolge Explosionen zu hören. Auch nahe der westukrainischen Großstadt Lwiw habe es nach einem abgewehrten Drohnenangriff gebrannt, berichtete Bürgermeister Andrij Sadowyj via Telegram. Für Entsetzen sorgte Anfang der Woche ein Raketenangriff auf die Region Poltawa mit über 50 Toten und Dutzenden Verletzten, der vor allem einem militärischen Ausbildungszentrum galt.
Wie brenzlig die Lage ist, zeigt der Besuch Selenskyjs bei der Kontaktgruppe der rund 50 Verbündeten auf dem US-Stützpunkt in Ramstein in Rheinland-Pfalz. Zum mittlerweile 24. Treffen der Gruppe hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin eingeladen. Für ihn ist Selenskyj ein „special guest“ an diesem Freitag. Denn: In der Regel nehmen nur die jeweiligen Minister:innen teil, die für Rüstung und Verteidigung in ihren Staaten zuständig sind oder ranghohe Militärs. Nun taucht Selenskyj also persönlich auf.
Er will die Verbündeten davon überzeugen, den ukrainischen Streitkräften Angriffe auf Ziele auch in Russland zu erlauben. Mit westlichen Waffen, konkret mit Langstreckenraketen, mit weitreichenden Waffensystemen. Selenskyj will sich im Rahmen der Selbstverteidigung bewegen, aber eben nicht mehr in der Defensive sondern in die Offensive gehen.
Geht das Geld für die Ukraine-Hilfe aus?
Angriffe auf russisches Territorium gelten als „rote Linie“ für die USA – und auch für die Bundesregierung. Selenskyj trifft an diesem Freitag Kanzler Olaf Scholz in Frankfurt am Main. Das weitere militärische Vorgehen sei das Thema, sagte ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin. Vermutlich wird auch die zukünftige finanzielle Unterstützung aus Deutschland für die Ukraine besprochen. Angesichts angespannter Haushaltsverhandlungen liegt auch dieser Posten auf dem Verhandlungstisch.
Um Sorgen von ukrainischer Seite bereits vor dem Treffen mit dem Kanzler abzufedern, stellte Verteidigungsminister Boris Pistorius klar, dass 4 Milliarden Euro im nächsten Jahr bereits eingeplant sind. Und er hat ein konkretes Angebot in Ramstein im Gepäck. Deutschland wird 12 moderne Panzerhaubitzen an die Ukraine liefern, sechs noch in diesem Jahr, die restlichen sechs dann 2025. Deutschland sei nach wie vor der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den USA, betonte Pistorius.
Rein geografisch sind Sachsen und Thüringen hunderte Kilometer von Kyjiw entfernt, doch die Ergebnisse der Landtagswahlen in den beiden Ost-Bundesländern am vergangenen Sonntag werfen Fragen auf. Haben doch sowohl die rechtsextremistische AfD als auch das Bündnis Sahra Wagenknecht den Krieg in der Ukraine zum Topthema im Wahlkampf gemacht – und offenbar auch damit in der Bevölkerung gepunktet. Tut sich dort ein Trend auf, der die deutschen Waffenhilfen für die Ukraine zunehmend in Frage stellt? Auch hier wiegelt Pistorius ab.
Die Ergebnisse dürften niemand gefallen, man rede aber von rund 10 Prozent der Wahlberechtigten bundesweit. Das Mehrheitsbild sei ein anderes und man arbeite daran, dass dies so bleibe. „Wir werden die Ukraine unterstützen, solange wie das notwendig ist. Wir tun das letztlich auch in unserem eigenen Interesse“, so Pistorius.
Waffen-Versprechen gebrochen
Selenskyj drängelt auch bei einem weiteren Punkt: Der Luftverteidigung. Vollmundig wurden Abwehrsysteme für die Ukraine versprochen, zuletzt beim Nato-Gipfel Mitte Juli in Washington. Der ukrainische Präsident spricht jedoch von einer beträchtlichen Anzahl an Luftabwehrsystemen, die bisher nicht geliefert wurden. Aus Deutschland kamen bisher 3 Patriot-Systeme, wie Pistorius am Freitag bestätigte. Aber der deutsche Verteidigungsminister ist ebenso wie Selenskyj enttäuscht, dass andere Staaten nicht nachziehen.
Aus Rumänien kam am Donnerstag die Bestätigung, ein weiteres Patriot-System zu liefern. Selenskyj appellierte erneut an die Verbündeten, Vereinbarungen zur Lieferung von Luftabwehrsystemen schnell umzusetzen. „Wenn Entscheidungen in Kraft treten, hat Russland keine Zeit diesen entgegenzuwirken.“ Es gehe nicht nur um den Schutz ukrainischer Städte und Gemeinden vor den Angriffen Russlands, um die Unterstützung der Soldat:innen und die Widerstandsfähigkeit des Landes und seiner Bevölkerung. „Es geht um die Verteidigung einer Welt, die sich an Regeln und internationale Gesetze hält und nicht sich dem Wahnsinn der „Putins“ und ihrer Launen ergibt.“
Aber: Selenskyj steht mitnichten mit leeren Händen da. US-Präsident Joe Biden will weitere Hilfen in Höhe von 250 Millionen US-Dollar genehmigen. Großbritannien sagte 650 Raketen zur Flugabwehr zu. Die Lightweight Multirole Missiles können von Land, See und aus der Luft abgefeuert werden und sollen Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge als auch Angriffe von kleineren Schiffen abwehren. Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron verhandelt Selenskyj über weitere Hilfen sowie die gemeinsame Produktion von Waffen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte humanitäre Hilfe in Höhe von rund 40 Millionen Euro an – für Strom, Heizung und Unterkünfte. Der Großteil soll in die Ukraine fließen, ein kleiner Teil nach Moldau gehen und dort ukrainischen Geflüchteten zugute kommen.
Selenskyj auf Werbetour
Viel Hoffnung liegt allerdings auf der Freigabe von knapp 50 Milliarden Euro. Das Geld soll aus eingefroren Zinserträgen russischer Vermögen im Ausland losgeeist werden. Beim G7-Gipfel in Italien einigten sich die Staaten darauf, die Voraussetzungen für die Freigabe zu schaffen. Die Verhandlungen laufen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs – und Pistorius gab sich am Freitag zuversichtlich, dass in den kommenden Monaten dieses Geld mobilisiert werden könnte.
Nach der politischen Sommerpause ist das Ramstein-Treffen der Auftakt für Selenskyjs Werbetour für weitere Hilfen für sein Land im Krieg. Nächster Stop ist Italien. Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte Systeme für die Luftverteidigung zugesagt. Selenskyj will weiter verhandeln.
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