Nabu-Chef Jörg Andreas Krüger: „Wir riskieren, den Wald zu verlieren“

Deutschen Wäldern geht es schlecht. Um sie zu retten, müssen Waldbesitzer stärker in die Pflicht genommen werden, sagt Nabu-Chef Jörg Andreas Krüger.

Wir wollen Holz aus unseren Wäldern, aber es könne im Wald nicht mehr allein um die Nutzung gehen, sagt Jörg-Andreas Krüger Foto: M. Wuchenauer/imago

taz: Herr Krüger, wie sieht der ideale Wald aus – lässt sich dort noch wandern und Rad fahren, auch mal querfeldein?

Jörg Andreas Krüger: Querfeldein fahren hat seine Grenzen. Kann jeder überall fahren, wird der Boden zu sehr belastet. Die Tiere brauchen Rückzugsräume.

55, ist seit 2019 Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) Der studierte Landschaftsarchitekt, Jäger und Vogelkundler, ist auch Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Er sitzt zudem im Rat für nachhaltige Entwicklung, der auch die Bundesregierung berät.

taz: Der grüne Bundeswaldminister Cem Özdemir will die Bewirtschaftung und Freizeitnutzung der Wälder neu regeln. Die Bike-Branche warnte, im Wald komme ein Radfahr-Verbot.

Krüger: Das bezog sich auf einen ersten nicht offiziellen Entwurf für das neue Bundeswaldgesetz. Nach der jetzt offiziell vorgelegten Version ist das Befahren des Waldes auf Wegen gestattet. Das ist auch richtig. Wir Menschen brauchen den Wald zum Erholen, gegen Stress.

taz: Özdemir schafft die perfekte Mensch-Natur-Beziehung?

Krüger: Er novelliert das Gesetz. Das ist gut. Aber er bleibt bisher leider zu allgemein. Er regelt nicht klar, was die Waldbesitzer tun müssen. Da steht viel zu oft, sie „können“ und „sollten“. Sie können so weiterhin Waldflächen mit Fichten aufforsten, die Hitze und Dürre in Zeiten des Klimawandels nicht lange standhalten, und kassieren dafür womöglich noch staatliche Fördergelder.

taz: Waldbesitzer sagen, sie wüssten ganz gut, welche Bäume die richtigen seien.

Krüger: Der Zustand des Waldes spricht dagegen.

taz: Sie haben die schnell wachsenden Fichten in den 50er Jahren gepflanzt, weil Baumaterial gefragt war.

Krüger: Die Wälder, die wir jetzt haben, sind der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte geschuldet, stimmt. Es geht auch nicht um Schuldzuweisungen. Seit Beginn der 90er Jahre wissen wir aber, dass wir weg müssen von der Fichte hin zu klimastabileren Laubbäumen. Nun hat Deutschland allein in den vergangenen sechs Jahren 600.000 Hektar Wald verloren. Hitze, Dürre, Stürme haben sie geschwächt, der Borkenkäfer fraß sich durch. Damit ist ein Landschaftsökosystem in vielen Regionen in die Knie gegangen, das für uns Menschen lebenswichtig ist.

taz: Lebenswichtig?

Krüger: Der Wald ist ja nicht nur Zufluchtsort für Erholungssuchende, er spendet Sauerstoff, filtert Trinkwasser, kühlt die Landschaft, verhindert Hochwasser, speichert Treibhausgase.

taz: Sie wollen doch nur alles dem Umwelt- und Naturschutz unterordnen – so in etwa sagen das Ihre Gegner.

Krüger: Das ist aber falsch. Auch wir wollen Holz aus unseren Wäldern. Es ist ökologisch ja nichts gewonnen, wenn Deutschland mit Holz versorgt wird, für das rumänische Urwälder oder Tropenwälder abgeholzt werden. Nur kann es im Wald nicht mehr allein um die Nutzung gehen, so wie es in der aktuellen Fassung des Bundeswaldgesetzes steht. Die kommt aus dem Jahr 1975. Damals hat noch niemand vom Klimawandel geredet.

taz: Welcher Passus fehlt im Entwurf?

Krüger: Da geht es nicht um einen Satz, sondern um Konkretisierungen an vielen Stellen. Wer im Wald großflächig kahl schlagen will und keine Genehmigung hat, soll dafür zum Beispiel ein Bußgeld fürchten …

taz: … ursprünglich waren Gefängnisstrafen angedacht.

Krüger: Bußgeld ist schon in Ordnung, entscheidend ist vielmehr, dass ein Kahlschlag auf einer Fläche von bis zu einem Hektar ohne Genehmigung erlaubt bleiben soll, dabei ist er allenfalls auf 0,5 Hektar noch vertretbar.

taz: Ein halber Hektar macht den Unterschied?

Krüger: Eine kahle Fläche im Wald ist besonnt, Frost ausgesetzt, das typische Waldklima damit weg. Heimische Baumarten werden da nicht schnell einwandern. Für sie müssen erst Vogelbeere, Schwarzer Holunder und andere Pioniere den Boden bereiten. Das wird schon bei ein paar hundert Quadratmetern Fläche ein Problem, ein Hektar sind aber 10.000 Quadratmeter. Da sind 0,5 Hektar bereits ein Kompromiss. Wir riskieren, den Wald und sein Klima für etliche Jahrzehnte zu verlieren.

taz: Warum keine Bäume pflanzen?

Krüger: Naturverjüngung, also die selbstständige Erneuerung des Waldes, bringt klimaangepasste, langfristig stabilere Wälder hervor. Außerdem ist das Pflanzen deutlich teurer.

taz: Sie haben das mit anderen Umweltverbänden vorgeschlagen, sich aber nicht durchgesetzt. Was lernen Sie von der Lobby der Forstleute?

Krüger: Ich will von ihr eigentlich nichts lernen. Das war bisher eine sehr destruktive Kampagnenarbeit, die weitgehend ohne Sachargumente auskam und die tatsächlichen Probleme des Waldes verschleppt.

taz: Slogan: „Finger weg vom Bundeswaldgesetz“ …

Krüger: … sehr zugespitzt, aufgeregt. Wir müssen aber gemeinsam zu neuen Lösungen kommen, sonst kippen immer mehr Wälder weg.

taz: Wie die Waldbesitzer überzeugen?

Krüger: Schon heute können Waldbesitzer pro Hektar bis zu 100 Euro für ein klimaangepasstes Waldmanagement und vor allem die Speicherung von CO₂ erhalten. Wald ist aber zum Beispiel auch ein idealer Grundwasserspeicher. Künftig sollten auch solche ökologischen Leistungen honoriert werden. Das ist ja im Interesse der Waldbesitzer. Je nachdem, wie gut der Wald bewirtschaftet wird, könnten das etliche hundert Euro pro Hektar werden.

taz: Bisher bemisst sich der Wert des Waldes am Holzpreis. Woher kommt das Ökogeld?

Krüger: Das Geld dafür kann nicht nur aus öffentlichen Haushalten, sondern muss auch aus der Wirtschaft kommen. Schon heute wollen viele Unternehmen die Speicherung von CO₂ in Wäldern, Mooren und Agrarlandschaften finanzieren, um ihre Emissionen auszugleichen. Ähnliches erwarten wir für den Schutz des Grundwassers.

taz: Wie geht’s weiter?

Krüger: Ende des Jahres soll die Waldgesetz-Novelle im Bundestag verabschiedet werden. Das Agrarministerium stimmt sich nun mit den anderen Ministerien ab. Im September werden alle Verbände angehört. Wir werden das Gespräch mit den beiden großen Organisationen der Waldbesitzer, also der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Waldbesitzer und dem Deutschen Forstwirtschaftsrat suchen. Ich hoffe, wir können jetzt konstruktiv diskutieren.

taz: Den Deutschen wird ein romantisches Verhältnis zum Wald nachgesagt – macht es das leichter?

Krüger: Der Wald interessiert nach wie vor. Nur sieht selbst eine Kiefernmonokultur erst einmal grün aus und kann im Spätsommer zauberhaft schön sein. Sie wird es aber über die nächsten 150 Jahre nicht schaffen. Die Wälder der Zukunft werden lichter sein, weniger Nadeln haben, mehr Laubblätter. Vielleicht wird sich die Esskastanie stärker durchgesetzt haben, womöglich auch die Walnuss, andere Eichenarten oder der Bergahorn. Darüber werden wir reden müssen.

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