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Kontroverse im sächsischen WahlkampfDanke, aber bitte so nicht

Campact unterstützt vier Direktkan­di­da­t:in­nen von Linken und Grünen in Sachsen. Drei von ihnen haben das Geld des Kampagnenvereins abgelehnt. Warum?

Kritisiert das Vorgehen von Campact: Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) Foto: Benedict Bartsch/imago

Berlin taz | Campact hat eine Kampagne zu den Landtagswahlen in Sachsen gestartet und ruft zu „strategischer Erststimmenabgabe“ auf. So empfiehlt der in Niedersachsen ansässige Verein, die Leipziger Linken-Direktkan­di­da­t:in­nen Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen zu wählen. Ebenso unterstützt Campact die Wahl von zwei grünen Direktkandidat:innen: Claudia Maicher aus Leipzig und Thomas Löser aus Dresden.

Mit den je zwei Direktmandaten für die Linkspartei und die Grünen soll erreicht werden, dass die beiden Parteien auch dann in den Landtag einziehen, wenn die die Fünfprozenthürde verfehlen sollten. So soll eine Sperrminorität der AfD verhindert werden.

Wenn eine Partei mehr als ein Drittel der Parlamentssitze erreicht, kann sie wichtige Entscheidungen blockieren. Der Verfassungsblog hat am Beispiel von Thüringen untersucht, welche Spielräume eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hier hätte. Juliane Talg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Verfassungsblog und sagt, man könne diese Ergebnisse auf Sachsen übertragen. „Ich sehe die größte Gefahren in Sachsen darin, dass die AfD die Wahl von Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen über viele Jahre hinweg blockieren könnte“, sagt sie.

Um das zu verhindern, baut Campact auf die Grundmandatsklausel in der sächsischen Verfassung. Eine Partei, die zwei Direktmandate gewinnt, kann die Fünfprozenthürde umgehen und trotzdem mit so vielen Abgeordneten ins Parlament einziehen, wie ihr nach den Zweitstimmen zusteht. Das ist für Grüne und Linke interessant, denn für sie könnte es bei den Landtagswahlen in Sachsen knapp werden. Die Linkspartei liegt in Umfragen bei um die 4 Prozent, die Grünen bei 6 Prozent. Wenn sie nicht in den Landtag einziehen sollten, gingen ihre Parlamentssitze prozentual auch an die AfD über.

Campact wollte die grünen und linken Kan­di­da­t:in­nen nach eigenen Angaben mit Social Media Ads, Postwurfsendungen, Mailings und Geldspenden unterstützen. Doch drei von vier haben die Geldspende abgelehnt. Warum? „Wir wurden nur über die Kampagne informiert und vor vollendete Tatsachen gestellt“, kritisiert die Linke Juliane Nagel. Es entstünde das Gefühl, dass ein Verein aus dem Westen über die Köpfe der Zivilgesellschaft und Politik im Osten hinweg entscheiden wolle.

Campact verteidigt das Vorgehen

Es habe Gespräche gegeben, in denen die Parteien signalisiert hätten, dass sie mit der Auswahl der Personen und Wahlkreise nicht zufrieden seien, berichtet Nagel. „Ich finde es gut, dass der Verein sich Gedanken macht“, sagt Nagel. „Aber ich hätte mir gewünscht, dass er auf uns zukommt und nicht über uns hinweg entscheidet.“

So hätten es beide Parteien lieber gesehen, wenn es um Wahlkreise gegangen wäre, in denen Grüne oder Linke aussichtsreich gegen Kan­di­da­t:in­nen der AfD antreten. In den von Campact ausgesuchten Wahlkreisen in Leipzig und Dresden stünden jedoch Linke und Grüne gegeneinander. Auf die Kritik sei der Kampagnenverein jedoch nicht eingegangen. Das bestätigt auch ein Sprecher der Grünen.

Campact verteidigt auf taz-Anfrage das Vorgehen. Man habe gegenüber den Landesvorsitzenden der beiden Parteien die Sorge geäußert, dass Grüne und Linke aus dem sächsischen Landtag fliegen könnten, und vorgeschlagen, dass sich die Parteien in den „vier sicher gewinnbaren Direktwahlkreisen“ in Leipzig und Dresden beim Erststimmenwahlkampf „absprechen“. Grüne und Linke hätten also Kan­di­da­t:in­nen der jeweils anderen Partei unterstützen sollen. „Leider haben die Parteien dies abgelehnt“, so eine Sprecherin. Deshalb habe Campact sich entschieden, eine Wahlempfehlung an die Wäh­le­r:in­nen auszusprechen. „Wir unterstützen die Kandidat*innen, die in ihren Wahlkreisen die größten Chancen auf Erfolg haben, sodass beide Parteien je zwei Direktmandate gewinnen.“

Nam Duy Nguyen hat als einziger Kandidat das Geld von Campact angenommen. Der Linke hat im Gegensatz zu den drei anderen Kan­di­da­t:in­nen noch kein Mandat und dadurch weniger Ressourcen. „In Absprache mit der Partei habe ich mich dazu entschieden, das Geld anzunehmen. Selbstverständlich unter der Bedingung, dass Campact keinen Einfluss auf die Inhalte meiner Kampagne hat“, sagt Nguyen. Er kritisiert, dass Campact sich für den Weg über die Grundmandatsklausel entschieden hat. Er hätte sich eine Zweitstimmenkampagne gewünscht.

Diese Strategie verfolgt Campact in Thüringen. Dort ruft die Organisation zu einer strategischen Zweitstimmenabgabe für die Grünen auf, weil diese aus dem Landtag fliegen könnten. Und in Sachsen rufen nun auch die Grünen selbst auf Flyern dazu auf, strategisch die Grünen zu wählen, statt „Kleinstparteien“, die an der Fünfprozenthürde scheitern könnten. Dies zielt offensichtlich auch auf mögliche Linken-Wähler:innen.

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18 Kommentare

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  • Absolute richtige und durchdachte Kampagne von Campact, um sowohl Grüne als auch Linke mit Garantie in den Landtag zu bringen!



    Wie schade und dumm von den beiden Parteiführungen in Sachsen, dies nicht (zumindest öffentlich) zu unterstützen. Folglich klingt es nach dem klassischen Gefangenendilemma, wonach die beste Lösung für die Gruppe (in diesem Fall das gesamte progressive Lager in Sachsen) durch mangelnde Kooperation der Einzelnen nicht erreicht wird, weil jeder nur an sich denkt.



    Man kann jetzt nur hoffen, dass in den benannten Wahlkreisen genügend Menschen die Campact-Wahlempfehlung umsetzten!

  • Campact hat völlig richtig gehandelt.

    • @Gerhard Krause:

      Und die drei Kandidaten auch.

      • @rero:

        Das liegt in der Natur der Sache, dass man immer ein auch noch so vernünftiges Angebot ablehnen darf.

  • Wer bezahlt populist peter hahne???

  • leider sind die freien kreativen und aktivisten immer noch kreativer, aktiver und auch solidarischer als die gezähmten berufspolitiker ...

  • Strategische Spielchen

    Das Vorgehen von Compact werden all jene begrüßen, die die AfD zum Teufel wünschen. Solche Manöver und strategische Kombinationen gehören in Frankreich seit ewig zum politischen Spiel, - als „Désistement“ im 2. Wahlgang. Bei den jüngsten Parlamentswahlen, von Macron in einem Anflug politischer Umnachtung anberaumt, hat dies dem RN einen Dämpfer verpaßt, was allerdings v. a. der republikanischen Disziplin der linken NFP-Kandidaten zuzuschreiben war, die sich konsequent als Drittplatzierte zugunsten eines bürgerlichen RN-Gegners mit einer „strategischen Stimmempfehlung“ zurückzogen, was überproportional vielen Kandidaten des Macron-Lagers zum Sieg verhalf, signifikant mehr als in umgekehrter Konstellation: In dem honorablen 2. Platz Macrons stecken also viele Stimmen originärer Linkswähler, die sich beim Wahlakt die Nase zugehalten haben, nur um einen noch größeren Gestank zu verhindern. Hingegen gaben bei manchen RN-Siegen Stimmen der Macronisten den Ausschlag.

    Auf hiesige Verhältnisse übertragen, könnte die CDU durch Wahlbeihilfe für aussichtsreiche Kandidaten von Grünen, Linken und BSW der AfD schaden, sollte dies dann auch wirklich gewollt sein…

  • Na klar sollte mensch Grüne oder Linke wählen, wenn man deren Einfluss als segensreich ansieht. So viele Parteien stehen aktuell nicht für Klimaschutz und soziale Politik handfest ein.

    Campacts Handeln hat dabei ein Geschmäckle, das ist die Richtung Politik durch Kampagnenorganisationen à la USA, die ich generell ungern sehe.



    Auch sollten beide Parteien als Ziel haben, die 5% zu überschreiten. Eben weil sie für viel mehr stehen, für rund 95 % der Bevölkerung, denen es durch Klimaschutz und durch sozialere Steuergesetzgebung besser ginge.

  • Das war es für uns mit campact.



    Was ist das für ein Demokratieeverständnis.

  • "Es entstünde das Gefühl, dass ein Verein aus dem Westen über die Köpfe der Zivilgesellschaft und Politik im Osten hinweg entscheiden wolle"

    LOL, jaja, wenn die AfD wahrscheinlich aus der Schweiz und möglicherweise aus Russland finanziert wird, ist das kein Problem. Aber wenn die Linke aus dem Westen finanziert wird, das ist gaaanz schlimm.

    • @Kaboom:

      "Aber wenn die Linke aus dem Westen finanziert wird, das ist gaaanz schlimm."

      Natürlich. Denn weder Schweizer noch Russen nannten uns Ossis Neonazis, whitesupremacists, Dunkeldeutsche, islamophob, homophob........ usw. usf.

      1989 haben wir die Kommunisten in einer friedlichen Revolution abgesetzt. U.a. weil wir Bananen wollten.

      Hätten wir damals geahnt das wir mit den Bananen auch noch die passende Republik kriegen - vielleicht hätten wir die Dinge damals anders gehandhabt.......

      Will sagen: der AfD Erfolg gerade im Osten spiegelt nur die in nicht in Worte zu fassende Enttäuschung über euch links-grüne-west-Kommunisten wieder.

  • So langsam verstehe ich warum die Machtergreifung im Deutschen Reich 1933 passieren mußte.

    In Sachsen ist die Ausgangssitituation zu den Wahlen anders als in Brandenburg und Thüringen. Kretschmer (CDU) kommt bei den letzten Umfragen auf 34% und die SPD und Grüen auf jeweils 6% - also zusammen auf 12%. Damit fehlen nur ganz wenige Prozentpunkte für eine Koalition aus CDU- SPD - Grüne um eine Regierungsmehrheit zu erreichen.

    Die Linken haben kaum/keine Chancen in den Landtag zu kommen - im Gegensatz zu den Grünen und SPD, die aller Vorraussicht nach mit ihren jeweils 6% sowieso eine Koalition mit der CDU bilden können/bilden werden.

    Die Frage lautet: Warum links wählen wenn die Stimme sicher im Papierkorb landet - und damit eine rechtsradikale Landesregierung indirekt gewählt werden würde?

    Einen Aufruf der Linken die Grünen/SPD zu wählen würden sowieso nicht alle Linkenwähler befolgen - aber der Aufruf wäre ein erfolgreicher Ansatz die CDU - SPD - GRÜNE Koalition zu einer Mehrheit zu verhelfen - um Rechtsradikal zu verhindern.

    • @zartbitter:

      Ihr Vergleich hinkt gewaltig.

      Die Linke heute will nicht wie die stalinistische KPD früher die Demokratie abschaffen. Es gibt heute eine dezidierte deutliche liberale antifaschistische Mehrheit.

      Sie können getrost weiterhin die Linke oder auch die CDU wählen

  • Ich bezweifele sehr stark, dass sich die Probleme von Grünen und Linken in Sachsen mit Geld lösen lassen.

  • >Um das zu verhindern, baut Campact auf die Grundmandatsklausel in der sächsischen Verfassung.

    Dazu müsste Campact vielleicht auch mal angeben, in welchem Artikel der Verfassung die Grundmandatsklausel gewährleistet wird (in Artikel 41 der Landesverfassung , in den es hineingehören würde, jedenfalls nicht), damit jeder überprüfen kann, ob das überhaupt stimmt oder es nur in § 6 des Landeswahlgesetzes steht ...

    Es stimmt ja in jedem Fall, dass es die Grundmandatsklausel gibt und dass man sie strategisch nutzen kann, aber ihr Verfassungsrang zuzusprechen sollte man nur, wenn das auch der Wahrheit entspricht. Das würde auch die Glaubwürdigkeit des ganzen Artikels erhöhen.

  • Mir schwant, dass wird nach hinten losgehen. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Naja, das Zeil die Gemeinnützigkeit Wiederzuerlangen hat man scheinbar aufgegeben.

    • @unbedeutend:

      In drei Sätzen drei Gemeinplätze. Vielleicht macht Campact ja aus der Not eine Tugend, und gibt die Heuchelei vor den Machthabern(über die Entscheidung von Gemeinnützigkeit) auf, und geht mehr auf Effizienz. Ich bin 72 Jahre und habe die Folgen der Nazizeit noch hautnah miterlebt. Übrigens erleben wir alle diese Folgen immer noch hautnah mit, oder eben nicht. Die Haut ist noch taub, vom entsetzlichen Erleben der systematischen Entmenschlichung, der Nationalsozialismus ist mitnichten verarbeitet, und deshalb muss man, bevor jemand wieder das Haus anzündet, schauen, dass man rechtzeitig den Zündlern habhaft wird. Indem man sie wirkungslos macht. Und die AFD verhindert. Die meisten ihrer Anhänger wissen nicht wirklich, was sie bewirken.

  • Scheinbar hat in Niedersachsen keiner ein Gespür dafür wie die Wähler hier ticken. So ist das direkt eine Steilvorlage für die AfD. So ein Elfmeter wird dann auch sicher verwandelt werden im Wahlkampf. Die AfD kann hier inzwischen einen Besensteil aufstellen und ihm ein Schild umhängen "Einer von uns" und wird damit gewinnen.



    Wer den Parteien hier im Wahlkampf helfen will, reduziert Berliner Politprominenz und generell Einflussnahme aus dem Westen auf ein Minimum. Wir haben hier ja intern immer über die CDUler gelächelt, die während der Merkeljahre die eigenen Parteioberen auf Knien angefleht haben, bloß nicht im Wahlkampf aufzutauchen oder sich irgendwie zur Region zu äußern.



    Es sollte beim Kampf gegen die AfD hier im Osten viel mehr darauf abgestellt werden, dass diese Partei aus dem Westen finanziert und gesteuert wird. Das zöge viel mehr als die jetzigen Ansätze. Scheinbar brauchen aber viele Wähler hier die reale Erfahrung von der AfD genauso fremdbestimmt zu werden wie von den anderen Parteien.